von Schirach irrt
Das Buch gibt ein Gespräch wieder, das FvS und Alexander Kluge anläßlich der Coronainfektionspräventionsmaßnahmen geführt haben. FvS findet es gefährlich, wie sich die Bevölkerung den von der Bundesregierung und den Landesregierungen angeordneten Beschränkungen fügt und fürchtet, dass damit autoritäre Strukturen etabliert werden könnten. Er wird gerade, nach den "Lockerungen", von der Realität widerlegt. Die Demonstranten, die jetzt, nach teilweiser Aufhebung der Beschränkungen, die Einschränkung ihrer Grundrechte beklagen, machen sich verbreitet gemein mit Interessenten, die eigentlich genau dies im Sinn haben und dafür zudem Verschwörungstheorien verbreiten.
Über meine Grundrechte kann ich in einem Staat wie dem unseren selbst bestimmen. Ich brauche keine Regierung, die mir sagt, was vernünftig ist. Was vernünftig ist, kann ich aus den zugänglichen Informationen selbst ableiten. Ich brauche auch keine Regierung, die mir "Lockerungen" gewährt, die aus wirtschaftlichen Gründen vielleicht viel zu früh kommen. Ich kann selbst entscheiden, wie ich mit meinen Grundrechten umgehe, ohne mich zum willfährigen Untertan zu machen. Die vermeintlich auf Grundrechte Pochenden nutzen ihre Freiheiten eventuell auch gar nicht so klug, wie es geboten wäre. Freiheit hat manchmal auch zwei Seiten, wovon eine ziemlich unwillkommen sein kann. Die Corona-Pandemie fordert Solidarität in der Gesellschaft, weil sie sich andernfalls unkontrolliert verbreitet. Ohne Einsicht jedes Einzelnen funktioniert dies nicht, weil jeder Einzelne eine potenzielle Infektionsgefahr für andere darstellt. Und dies ist auch der wesentliche Unterschied zu dem Argument, das mit der Zulassung des Strassenverkehrs gegen die Absolutheit des Lebensschutzes eingewandt wird. Strassenverkehr ist nicht unkontrolliert, sondern geregelt, anders könnte man ihn in einer Gesellschaft tatsächlich nicht zulassen. Todesfälle im Strassenverkehr geschehen nicht schicksalhaft, sondern zumeist aufgrund menschlichen Versagens, dem durch strassenverkehrsrechrliche Vorschriften entgegengewirkt werden soll. Auch im Strassenverkehr geht es nur mit gegenseitiger Rücksichtnahme, die auf Einsicht beruht. Es wird auch niemand wegen der Einschränkung seiner Grundrechte demonstrieren gehen, weil er andere nicht totfahren darf. Die Einschränkungen, die jeden für die Teilnahme am Strassenverkehr auferlegt sind, unterscheiden sich nicht so sehr von den Coronainfektionspräventionsmaßnahmen, die eine zudem unkontrollierte Gefahr zumindest kontrollierbar machen sollen. Obwohl FvS in diesem Gespräch (wegen persönlicher Betroffenheit ?) ungewohnt abgehoben und realitätsfern argumentiert, bietet das Buch einen kleinen Exkurs über die Aufklärung und ist daher TROTZDEM interessant zu lesen.