Erfreuliche Überraschung
Erfreuliche Überraschung
Wenn man glaubt, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her ...
Als Liebhaber dieser Oper ist man ja einiges gewohnt an dürftigen Darbietungen, gerade was die äußerst anspruchsvollen Titelpartien anbelangt. Zu meiner Schande muss ich nun gestehen, dass meiner Aufmerksamkeit diese Aufnahme jahrelang entgangen ist und ich nur zufällig auf sie aufmerksam wurde, denn sie ist in mehrfacher Hinsicht sehens - und hörenswert!
Zunächst ist die Inszenierung äußerst gelungen. Endlich einmal keine Vergewaltigung von Text und Musik durch Regisseure mit Profilneurose, sondern einfache, klare und angemessene Bilder: angedeutete Schiffsrippen im ersten Akt, keltische Steinsetzungen in den beiden anderen Akten. Passend zeitlose Kostüme (nur Tristans Schwert passt nicht zu seinem Kostüm - aber egal). Im Hintergrund Meeres- und Küsteneinblendungen. So ergeben sich stimmungsvolle Bühnenräume und Bilder, in und vor denen sich das Musikdrama entfalten kann, ohne dass der Zuschauer (und vor allem Zuhörer!) zu sehr durch die Optik von der Akustik abgelenkt wird (man vergleiche nur die absurde Katharina-Wagner-Inszenierung).
Iordanka Derilova gibt eine anfangs etwas spitz und scharf, später mit mehr Wärme und Fülle singende Isolde, die mit ihrer sehnigen Stimme an Waltraud Meier erinnert. Darstellerisch überzeugt sie vollkommen, denn sie verkörpert die beleidigte Königstochter zu Beginn ebenso wie die Liebende in den weiteren Akten impulsiv und leidenschaftlich.
Richard Decker ist ein recht guter Heldentenor, der die Aufführung nicht nur irgendwie bewältigt, sondern sowohl die lyrischen wie auch die dramatischen Passagen gut singt (!) und nicht schreit, wie mancher andere. In der Darstellung wirkt er etwas reserviert, aber mir ist der Gesang wichtiger. Erfreulich bei ihm ist (wie bei seiner Partnerin) die gute Textverständlichkeit - leider heute auch keine Selbstverständlichkeit mehr.
Die übrigen Sänger schlagen sich gut, Alexandra Petersamer singt die Brangäne sogar sehr gut mit wunderbaren Legato-Bögen im 2. Akt.
Ein Grund, warum die Sänger nicht nur gut hörbar sind und sich nicht so sehr stimmlich gegen die Orchesterklangfluten aufreiben müssen, ist die Platzierung der Musiker hinter (!) den Sängern (vor dem Bühnenhintergrund). So bleiben die Stimmen stets präsent, während die Musik jedoch nicht zur "Hintergrundmusik" degradiert wird. Golo Berg und die Anhaltische Philharmonie Dessau machen ihre Sache gut.
Insgesamt eine schöne, stimmige, werkgetreue Aufführung mit guten bis sehr guten Sänger- und Musikerleistungen, die sich nicht vor großen Star-Darbietungen zu verstecken braucht. Manchmal sticht sogar die "Provinz" die "Top-Häuser" aus!