Feministischer Kitsch
Literaturkritik und Literaturpreise. Sind so eine Sache. Mich interessieren sie nur am Rande, ich wusste von daher weder, dass der Roman auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, noch, dass er von der Mehrheit der Rezensionen verrissen worden ist. Nach nur 30 Seiten habe ich dann doch nach Rezensionen gesucht und die haben meinen Eindruck bestätigt: Eines der schlechtesten Bücher, das ich in letzter Zeit gelesen habe. Vor dem Urteil: Feminismus ist heute immer noch notwendig, Frauen sind immer noch nicht gleichberechtigt. Die Literatur kann sich dieses Themas annehmen. Aber bitte nicht so. Die Geschichte: Die Ich-Erzählerin berichtet von ihren Leben auf einer abgelegenen Insel, auf der sie Außenseiterin ist und das Patriarchat brutal herrscht. Die Ältesten bestimmen das Leben und verhängen drakonische Strafen, Frauen müssen arbeiten, dürfen nicht lesen lernen. Das Setting gemahnt an griechische Inseln, ist aber verfremdet: Von zentraler Bedeutung ist eine Religion, die deutlich aus Motiven real existierender Weltreligionen zusammengesetzt ist, und die sich als im Sinne des Patriarchat verfälscht erweist. Das Urteil: Dieser Roman verkitscht das Anliegen des Feminismus inhaltlich wie sprachlich, bewegt sich auf erbärmlichem intellektuellen Niveau, reproduziert kulturelle Vorurteile. Die Begründung: Personencharakteristik: Im Wesentlichen schwarzweiß, Männer z.B.sind entweder brutale, grobe Monster, die Frauen und Kinder schlagen, oder fein, weich und dann "gut" oder selber Außenseiter. Das sind mit dir differenziertesten Charaktere des Buches. 2 oder 3 gibt es. Der Rest, Zitat: "Die Tausendaugen". Sprache: archaisierend ohne echte Funktion, Anschaulichkeit mit Pleonasmen und Aufzählungen verwechselnd, nach dem 10. Trikolon auf 2 Seiten möchte man nicht mehr, klischeebeladen. Eine Kostprobe: Die Ich-Erzählerin beschreibt ihren Geliebten: "Yael mit den langwimprigen Augen. Die sind zum Ertrinken da." Spätestens hier sind wir auf Twilight-Niveau angekommen. Der Plot und das Setting: missraten. Das Dorf wirkt in der Verfremdung wie eine Parabel, eine Reagensglassituation. Der Bezug zur Moderne wird immer wieder hergestellt. Hier soll es also anscheinend gleichnishaft um unsere Welt gehen, um unsere Probleme. Und die kommen auch vor: Kindesmissbrauch, sexualisierte Gewalt, Unterdrückung der Frauen, insbesondere ihrer Sexualität usw. Aber dieses Konzept funktioniert nicht. Die gezeigte Welt ist zu archaisch, sie hat zu wenig Ähnlichkeit mit unserer, die Probleme werden zu schwarzweiß dargestellt. Die Benachteiligung von Frauen ist bei uns wesentlich subtiler. Wie Köhler diese Fragen angeht, zeigt nichts Neues, sondern gibt nur Klischees wieder. Die Dynamik der Gewalt, die immer wieder im Buch vorgestellt wird, kennen wir schon tausendfach aus allen möglichen Medien: Die Ausgrenzung von Außenseiterinnen, ihnen die Schuld an Unglücksfällen und Katastrophen zuzuschreiben, das "böse" Dorf mit seiner unbarmherzigen Sozialkontrolle, alles schon unendlich oft (und besser) gesehen und gelesen. Auch wenn es tatsächlich noch solche Auswüchse gibt (Es gibt sie bestimmt), ändert das wenig: Es geht um Literatur, nicht um Reportage. Und in der Literatur wirken Klischees tödlich. Damit schadet Köhler den berechtigten Anliegen des Feminismus. Am Ende bleibt der fade Geschmack, dass hier kulturelles Bashing gegen traditionelle Gesellschaften vorliegt: Das Dorf wirkt zu sehr wie ein Abziehbild traditioneller mediterraner Kulturen, Assoziationen mit Hexenverfolgungen werden evoziert . Seht her, so scheint das Buch zu rufen, wie patriarchalisch-brutal es da zugeht. Und die Religion macht mit dabei. Der Liebhaber der Ich-Erzählerin wird gesteinigt - das Verhältnis war illegal. Eine Anspielung auf radikalislamische Praktiken? Wozu? Welche Leserinnen würden sie gutheißen? Was gibt's da zu hinterfragen? Oder wird da, unausgesprochen und wahrscheinlich unbewusst islamophob nur wieder das billige Einverständnis gesucht: Hab ich immer schon gesagt... ? Aber Literatur, die Vorurteile bestätigt, die gegenüber Ideologien, "guten" wie "schlechten", affirmativ ist, ist eben keine Literatur, sondern Geschreibsel. Aber es geht noch weiter: Die URSPRÜNGLICHE, gute Religion, die lehrt ja die Gleichheit der Geschlechter. Kern dieser "guten" Religion: Alles ist mit allem verbunden. Die Götter sind in allen. Instant-Buddhismus mit pantheistischer Erbauungssauce. Platter geht es kaum. Und ja, alle Religionen haben misogyne Traditionen, aber differenzierter kann man schon drüber schreiben. Nochmal: Es geht hier um einen Roman, nicht um eine Reportage über die Unterdrückung von Frauen in anderen Kulturen. Was also soll dieses Buch? Zu unseren gesellschaftlichen Verhältnissen hat es nichts Neues, schon gar nichts Relevantes zu sagen. Über andere Kulturen will es vermutlich nichts sagen, dazu versucht es, zu gleichnishaft zu sein. Und wenn doch, wiederholt es nur wieder Altbekanntes auf oberflächliche Weise. Übrig bleibt Kitsch.
Ja, Ich bin ein alter, weißer Mann. Aber die Genese eines Urteils sagt nichts über ihren Wahrheitswert. Oder verständlicher: Wer jetzt mit dem Argument kommt, nur ein Mann könne so über ein feministischen Buch urteilen, hat eben nur ad hominem argumentiert. Oder er stellt Verbote auf: Ein Buch, das solcherart Missstände anprangert, darf nicht kritisiert werden. Oder ist männerfeindlich: Männer können das nicht verstehen, weil sie eben nur Männer sind. Oder? Ich beharre aber darauf, etwas von Literatur zu verstehen. Und hier handelt es sich um schlechte.