Viel Licht und auch ein wenig Schatten
Mit Porporas 1732 in Rom uraufgeführter Oper liegt nun erstmals ein Dramma per musica dieses Meisters ungekürzt und auf dem höchsten Stand gegenwärtiger historischer Aufführungspraxis vor. Wieder einmal wird deutlich, wie modern und auf die Frühklassik hinweisend sein Stil damals war. Kein Wunder, dass sich einer seiner letzten Schüler, Joseph Haydn, rückblickend voll fachlicher Hochachtung über den menschlich wohl nicht besonders liebenswerten Neapolitaner geäußert hat.
Gesangliche Leistungen zu bewerten ist immer problematisch, da stets subjektiv. In diesem fast 220 Minuten dauernden Werk finden sich sechs nahezu gleichwertig gestaltete Partien, die bis auf eine Tenorrolle 1732 im sittenstrengen Rom von Kastraten gesungen wurden. Nachdem unter der Ägide von M.E.Cencic bereits zwei vergleichbare römische Opern von Vinci mit Countertenören in den Frauenrollen aufgenommen wurden, werden diesmal die beiden weiblichen Partien sowie zwei der insgesamt vier Männerrollen von Sängerinnen bestritten, was mit Sicherheit wenig mit dem originalen Klangbild zu tun haben dürfte, ebenso wie der recht hohe Kammerton von 420 HZ. Man weiß eindeutig, dass Porporas Germanico mit einem Kammerton von 390 HZ gesungen wurde. Genau in dieser sehr tiefen, aber für die Sänger (und auch Hörer) äußerst komfortablen Lage habe ich das Werk 2015 in Innsbruck gehört.
Ich möchte nun meine Eindrücke stichpunktartig darstellen:
M.E.Cencic in der Titelrolle: Kraftvoll-männlich, emotionsgeladen, modulationsfähig, eine optimale Besetzung.
D.Idrisova als Rosmonda und H.Bennani als Cecina: Beide jugendlich strahlend, 100% koloratur- und stilsicher, besser geht’s nicht.
M.E.Nesi als Arminio klingt im Vergleich dazu etwas matt und angestrengt, für die sowohl kriegerisch als auch lyrisch angelegte Caffarelli-Rolle wahrlich keine Idealbesetzung. Man vergleiche nur einmal das blass gesungene knapp 11-minütige „Parto, ti lascio“ des 2. Aktes mit der aufwühlenden und zutiefst berührenden Interpretation der Bartoli auf der CD „Sacrificium.“ Ursprünglich war F. Fagioli für diese Rolle vorgesehen, stand aber aus Gründen, die sich meiner Kenntnis entziehen, nicht zur Verfügung. Wie schade!
J. Lezhevna als Ersinda: Überzeugt besonders in ruhigen Momenten, verblüfft wie immer durch stupende Technik, wirkt aber v.a. in den Verzierungen zu unruhig und verhaspelt sich ähnlich wie in ihrer Graun-CD in akrobatischer vokaler Pyrotechnik an der Grenze zum guten Geschmack. Weniger wäre mehr gewesen.
J.Sancho meistert die unglaublich heikle Tenorrolle des Segeste bravurös und mit stupender Leichtigkeit.
Die Capella Cracoviensis unter J.T. Adamus findet meist dem richtigen orchestralen Ton, schlägt aber manchmal bei zu forschen Tempi über die Stränge. Phänomenal sind die Naturhörner, die einige der schwersten Passagen der Literatur zu bewältigen haben.
Das Klangbild ist sehr direkt und trocken mit leichter Neigung zu Stumpfheit und Basslastigkeit, diesbezüglich gibt es wesentlich bessere Aufnahmen.
Das Booklet könnte spartanischer nicht sein: Ein sehr kurzer, allgemein gehaltener und vorwiegend biographischer Einführungstext und ein nur zweisprachiges Libretto lassen erhebliche Wünsche offen. Bei Händels Ottone ging es doch auch anders, warum hat man hier nicht mehr Sorgfalt aufgewendet?
Mein Fazit: Eine sehr gute, in Teilen sogar großartige Aufnahme, die aber auch Raum für Kritik lässt. Man sollte die Oper in jedem Falle in kleineren Abschnitten hören, da sich sonst bei der nur durch ein Terzett und ein Duett unterbrochenen Folge von Rezitativen und teils sehr ähnlich gebauten Dacapo-Arien schnell ein gewisser Überdruss entstehen kann. Insgesamt klare Kaufempfehlung!
P.S: Mein Favorit: H.Bennani und die wilden Naturhörner in der atemberaubenden Arie „Se dopo ria procella“ im 2.Akt.