Starkes Comeback nach langer Pause
Über 52 Minuten neue Musik nach 5 Jahren Pause. Bei 4 langen im März 1981 aufgenommenen Stücken brilliert der neue Bass-Star Marcus Miller, der damals schon Dutzende Studio-Aufnahmen und Live-Konzerte absolviert hatte und genauso Funk wie Bebop spielen konnte (man höre z.B. Lenny White: Streamline, 1978), mit einfallsreicher Begleitung. Bill Evans, damals noch unbekannt, spielt ausschliesslich Sopransax auf dem Album, was hervorragend passt - war das ein neuer Wayne Shorter ? Live spielte Evans dann mit Miles auch Tenorsax und Flöte, aber am Sopran klingt er am stärksten.
Zwei Stücke waren schon 1980 aufgenommen worden mit jungen Musikern, die teilweise Jahre später noch länger in Miles's Liveband spielten (Irving, Wilburn) Ein flotter Funk-Track (Shout) und eine coole Funk-Ballade (das Titelstück, gesungen von Randy Hall) mit Miles an der muted trumpet, die wohl noch durch ein Wah-Wah-Effektgerät gespielt wurde Aber diese Musiker waren Miles wohl noch zu unreif, so dass er sie auswechselte. Von den 10 zwischen Mai und Juli 1980 aufgenommenen Stücken, wurden (laut Ian Carr) die anderen 8 nie veröffentlicht.
Den Stücken mit Miller, Evans, Al Foster, der schon seit 1972 mit Miles gespielt hatte, dem starken Percussionisten Sammy Figueroa sowie Barry Finnerty bzw. bei Fat Time Mike Stern an der Gitarre wurde vorgeworfen, dass sie keine richtigen Melodien hatten. Stimmt und stimmt nicht. Miles 1981 ist immer noch der gleiche wie 1975, als er seine Band einen Rock-Groove spielen liess und dann darüber improvisierte, nur dass der Rhythmus jetzt eben Funk ist. Miles muss keine Melodien schreiben, er erfindet diese, während er improvisiert und wenn ihm etwas gefällt dann entwickelt er daraus etwas. Miles spielt mehr Trompete als vor seinem Zusammenbruch, seine Soli auf diesem Album sind recht lang, meist auf der gedämpften Trompete gespielt, aber manchmal spielt er nach dem soprano-solo noch ein zweites Solo ohne Dämpfer. Er ist wieder fit und sprüht vor Ideen. So gut das Solo von Mike Stern in Fat Time ist, man muss froh sein, dass er nur bei diesem einen Titel spielte, da er sonst den Bläsern zu viel Raum und Spielzeit genommen hätte, wie es auf späteren Miles-Alben und live in den 80ern geschah, als die Gitarristen immer mehr und immer länger spielen durften und der Saxofonist zum Statist degradiert wurde. Und obwohl Barry Finnerty - ein excellenter Gitarrist, man höre z.B. Billy Cobham's Flight Time (rec. 1980) - gar kein Solo spielen darf - seine Akkorde, vor allem am Anfang von Aida, sind genial. Hatte man so etwas im Fusion-Jazz vorher schon gehört, solche schiefen Voicings über einen Funk-Groove? Oder Millers verrückte Fills, die sich einer Tonalität entziehen und damit genial davon ablenken, dass die Stücke aus einem einzigen Akkord bestehen? Was für Gegensatz zwischen Melodien, die gerade mal vier Takte lang sind und den nur 2 Jahre später erschienen "U 'n' I" und "Star on Cicely" auf Star People, die mit ihren langen ausarrangierten Themen nach Weather Report klingen. The Man with the horn ist genauso unkommerziell wie Agharta und Pangea, aber Miles spielt wieder grossartig und er hat die beste Band seit 12 Jahren.
Wem dies alles zu funky ist, dem sei The Man with the horn schon allein wegen dem Schlusstitel "Ursula" empfohlen. Eine Art So what Modal-10-Minuten Cool-Jazznummer mit walking bass. Na bitte - sage keiner, Miles spielt nur noch Rock-Funk-Jazz-Fusion. Diese Nummer swingt wie in den 50ern.
Wen man z.B. die miserable, völlige falsche Bewertung bei allmusic sieht (nur 2,5 von 5 Sternen) muss man sagen: ein von einigen verkanntes Meisterwerk.