aus der 20ten Reihe gehört
Drei oder vier Sterne für diese Aufnahme?
Letztlich VIER STERNE, weil die "Multigeburt Zehnte“ von „Mahler-Goldschmidt-Cooke" mit speziell dieser Aufnahme noch ein Stück selbstverständlicher in der Welt angekommen und ganz und gar nicht mehr aus den Spielplänen und dem musikalischen Bewusstsein wegzudenken ist. Das ist gut so, denn das fünfsätzige Werk ist starke, ganz eigenständige Musik. Provokant formuliert: Die Autorenschaft ist angesichts der Tiefe der Freude und des Schmerzes, welche das Hören desselben bereitet, völlig unerheblich.
Mit dieser Aussage möchte ich Mahler (der seine Zehnte in Idee, Verlauf und Themen völlig fertiggestellt hat) nichts absprechen, sondern Cooke und Goldschmidt ehren, die Mahlers Zehnte „eingekleidet“ und mit etwas Fleisch und Sehnen versehen - und somit für den Musikliebhaber ohne „Partiturhörfähigkeit“ hörbar gemacht haben. Zudem gilt dieses „unerheblich“ all denjenigen Musikwissenschaftlern, Beckmessern und selbsternannten Priestern der musikalischen Wahrheit, welche so gerne RICHTIG und FALSCH voneinander trennen wollen und auch den Menschen, die Personenkult betreiben. Aber vielleicht wollen die Stücke selbst ja einfach geschrieben „werden“ – egal von wem…
Nicht gemeint sind natürlich diejenigen, welche in tiefer lauterer Empfindung öder höchstem Bewusstsein hier zu viel Unstimmiges oder Zweitklassiges erkennen. Ich könnte mir aber vorstellen, das Letztere immer weniger werden. Dazu ist das Verständnis, was Musik ist (und sein kann) die letzten Jahrzehnte doch zu stark erweitert worden.
FÜNF STERNE aus tiefster Dankbarkeit für Cooke und Goldschmidt - nicht nur für die Aufführungsversion(en) selbst, sondern auch für die unglaubliche editorische Arbeit, die zudem ganz uneigennützig allen zukünftigen „Kreativen“ bez. der Zehnten den Boden bereitet hat. Aber bis jetzt betrifft alles ja nicht diese Aufnahme hier.
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zur Aufführung selbst
Hardings Lesart war mir schon durch die Radio-Übertragung eines Konzertes mit dem RSO Frankfurt von 2001 bekannt. Die Zehnte scheint ihm am Herzen zu liegen und mir fielen damals schon ein paar „Weiterentwicklungen“ an dieser „Sinfonie im fortwährenden Entstehungsprozess“ auf. Ein leicht hörbares Beispiel: In der „Durchführung“ (oder vielleicht eher „dritten Variationsreihe mit Versatzstücken“?) des Kopfsatzes (ab 10:48 Min) variiert er deutlich im Tempo das erste und das zweite Thema. Bei Harding ist das Stück im 20ten Jahrhundert angesiedelt - wo es ja auch hingehört ... ;-). Balance und Klarheit der Aussage ist ihm wichtiger als zusätzlich gesteigerte Emotion. Ein schöner Ansatz, der für die Ohren und das Herz aber oft dann in einer nüchternen „Lauheit“ steckenbleibt. Möglicherweise liegt diese fehlende Empfindung aber an der Aufnahme – siehe weiter unten mehr dazu.
Die Wiener Philharmoniker spielen … Wenn ich das auf der Aufnahme nur so richtig hören könnte … Leider habe ich dieses Orchester bis jetzt nur „auswärts“ (z.B. Salzburger Festspiele) und noch nie im Musikvereinssaal hören können. Aber ich kenne hunderte von Tonaufnahmen aus diesem Raum mit dem WPO von verschiedensten Labels aufgenommen (Decca, RCA, EMI, ältere DG u.a. - und dem ORF). Auf jeder dieser Aufnahmen sind die Wiener hörbar erkennbar - und eben DAS fällt mir bei dieser Aufnahme schwer. Es könnte auch ein anderes Orchester sein.
Hören aus der 20ten Reihe
DREI STERNE von mir für die Aufnahme. Als allererstes fällt auf, das zum Hören von leisen Passagen und Hintergrundfeinheiten der Lautstärkeregler wieder mal weit aufzudrehen ist wie bei so vielen DG-Aufnahmen seit den späten „Karajan-Zeiten“. Dann erschlägt einen an unvermuteter Stelle die Klangfülle wieder, also das alte Problem: Die Hörerschaft ohne schalldichten Musikraum (ich meine NACH AUSSEN!) bleibt wieder mal außen vor. Klangschön ist die Aufnahme schon: farbig, rund, stabil ohne Verzerrungen – aber ohne ein gewisse Nähe zum Geschehen (hörbare Bogengeräusche, das Anblasen bei Holz und Blech) und somit auch menschliche Wärme ist das für mich nichts …
Somit empfinde ich das Klangbild doch als etwas vernebelt - entweder durch eine das Primärsignal betreffend „weit entfernte“ Abmischung oder durch Hinzufügung von nachträglichem Hall. Anders ausgedrückt: Ich höre da an einigen Stellen zu viel Verwischung und Gewummer durch den Hall (der wohl Klangschönheit und Tonvolumen geben soll) - oder andersrum: zu wenig Primärsignal (also das, was von den Instrumenten ins Mikro geht im Verhältnis zu dem, was an Klang aus dem Raum zurückkommt). Der Höreindruck entspricht vielleicht einem Konzerterlebnis aus der 20ten Reihe – ob das die Absicht ist? Oder gibt es ein Abhörequipment, auf dem das Ganze direkter klingt? Interessant: Als Radioübertragung in komprimierter Form klingen die meisten DG-Aufnahmen ansprechender als auf unkomprimierter CD…
Fazit
Eine Aufnahme empfehlenswert für den, der im Konzert gern weit hinten sitzt, der einen Blick aus gewisser Entfernung auf das Werk richten möchte, auf die Proportionen, das „unanfechtbar Klassische“ und für denjenigen, der nicht mehr wie ein Schießhund darauf achten möchte, welches Detail nun abermals in diesen neuen Einspielung verändert worden ist oder ob das eine oder andere Detail von Cooke überhaupt passt oder nicht. Die klangliche Einebnung lässt das Opus als endgültig „fertig“ erscheinen. Ob das nun gut so ist?
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Meine Empfehlungen bez. der Zehnten in den Cooke-Versionen
vorneweg – und das bestimmt nicht nur wegen der chronologischen Reihenfolge oder historischer Bedeutung: Bertold Goldschmidt (Testament 3 CDs - äußerst erhellend! Inklusive der BBC-Bandaufnahme, Aufgrund deren Alma Mahler die Zehnte in der Cooke-Version freigegeben hat)
absolut mitreißend, modern (sehr zügige Tempi) und heißglühend ist die Livemitschnitt von Martinon mit dem Chicago Symph. Orch. Unübertrefflich in der Leidenschaft für dieses Werk! Klanglich gut eingefangen, veröffentlicht in der 12-CD-Box „Chicago Symphony Orchestra – the first 100 Years“. In dieser Box gibnt es übrigens so gut wie nichts, was nicht von hörenswert bis atemberaubend wäre…
dann Wyn Morris (Philips, z.Z. nur als sehr mäßiger Transfer von Scribendum erhältlich)
Rattle mit den Berlinern - trotz mancher Schwachstellen. Aber die Scherzi sind genial dirigiert und gespielt.
auch Ormandy und Wigglesworth sind lohnenswert …
zur den Interpretationen von Sanderling und Chaillly finde ich persönlich bis jetzt nicht den Zugang.