Sokolov-Konzerte als Event
Sokolov ist ja längst nicht mehr so ein Geheimtip, als der er gepriesen und neu vertrieben wird, nunmehr universal (DG). Die Zeiten seiner Pariser und Leningrader Mitschnitte der 70er bis 90er Jahre (Melodia, Opus 111, Naive) scheinen passé, natürlich nicht künstlerisch und musikalisch, auch im neuesten Vergleich.
Immerhin hat der Pianist nicht seine Produktionsphilosophie geändert: wenn Veröffentlichungen, nur live-Mitschnitte und keine Studioproduktionen.
Hier nun, nach dem Salzburger Recital (2008), die zweite DG-Veröffentlichung zweier Konzerte aus Salzburg und Warschau, beide von 2013, und, dem aktuellen PR-Hype ungemäß, doch nicht so ganz up-to-date.
Die Musik der Komponisten Schubert und Beethoven bildet diemal den Programmschwerpunkt, Rameau und Brahms erscheinen als Zugaben.
Musikalisch ein weites Feld also, vom 17ten zum 19ten Jhd., auch stilistisch recht divers.
Und Sokolov spielt alles dies natürlich tiefsinnig, virtuos und fern jeglicher, allenfalls monomaner Exzentrik, pianistisch untadelig, so auch die allgemeinen PR-Verlautbarungen. Und rein pianistisch können auch alle Zweifel verstummen, wegen der musikalischen und spielerischen Seriosität, die über allen Konzerten liegt.
Mir erscheint das klangliche Resultat jedoch manchmal zu gewichtig, der gewaltige dynamische Zugriff manchmal zu brütend oder schwerblütig angesichts der gebotenen Vielfalt. Diese zu gleich-gewichtige und permanent mitschwingende Tiefsinnigkeit, kann auch so weniger schwierig-schwere Impromptus Schuberts belasten, weniger seine späten Sonatenstücke.
Ein Brendel hat dies, dem (Sch)Ländler Schubert näher, doch hörbar flüssiger und nicht weniger tiefsinnig differenziert eingespielt, von einem Kempff ganz zu schweigen.
Und Rameaus Clavecin-stücke, hier delikat auf den Konzertflügel abgestimmt, klingen eigentlich nur authentisch bei Christophe Rousset, Bertrand Cuiller oder Céline Frisch. Und Sokolov ist nicht so ein Zauberer wie Horowitz, der vergleichbar mit Scarlatti seinen grossen Steinway vergessen machte, vor allem auch live.
Bleibt die grosse 'Hammerklaviersonate'. Nach Beethovens eigenen Worten unspielbar für seine Zeit, denn seine Kompositionsidee ging über die Ausdrucksfähigkeit von Interpret und Instrument hinaus und sprengte die klassische Sonatenform.
Bis heute gilt die Sonate als thematisch weniger konsumabel, auch wegen der radikal schnellen Tempi, zumal im ersten Allegrosatz, die meist ignoriert als nicht (schön) spielbar gelten, was jedoch als konstituierendes Klangextrem durchaus so beabsicht war. Schnabel blieb für lange Zeit der einzige, der dies adäquat umzusetzen vermochte, wie man hören kann.
Wie auch immer, weitergehende Erörterungen wären hier zu umfangreich und auch deplaziert.
Immerhin ist diese lt. Gould 'anti-pianistische', rein kognitive Komposition und utopische Vergewaltigung von Klaviermusik wenigen Pianisten unterschiedlich gelungen. Auch eine Frage der Temporelationen, des timings und sinnvoller Phrasierung, wie die meisten zügigeren Spieler erweisen: wie Pollini, Gulda, vor allen, den komplexen Architektur(stil)mix durchaus rasant spielend zudem zum guten Klingen bringen, ohne zu hudeln. Und dabei gelang Pollini mit den anderen späten Sonaten m.E. die bisher gestalterisch überzeugendste Alternative nach Schnabel.
Sokolov überbewältigt mit klanglicher Opulenz. Mit mässigen Tempi und gleichsam strukturell verhalten, spielt er seinen breit und doch artikuliert geformten und dynamisch weiten Klangstrom von stilistisch diversen Gestalten hin zum straffend einigenden finalen Fugenkomplex. Eindrucksvoll.
Eingangs im ersten (Allegro-)Satz klopft bei Sokolov noch immer das Schicksal an die Pforte, und sein Adagio-Hammerklavier, eins der längsten, wird zu einem kontemplativen, thematisch variabel mäandernden Klangraum eines retro-romantischen Klagegesangs. Strukturell, mehr formbezogen denkende oder auch klanglich flexibler inspirierte Pianisten, wie ein Kempff, raffen dieses Sonatenunikum in einer überschaubareren Zeit, ev. weniger sinnlich als geist- und sinnvoller im Kontext divergenter musikalischer Formen und Gestalten ... wer weiss schon so genau, wo sich Beethovens Pudels Kern eindeutig offenbart-?
Zuletzt ist jedenfalls Brahms spätes Andante-Intermezzo für mich das highlight dieser Sokolov-Konzerte, weniger gewichtig als sehr ausdrucksvoll, kontemplativ-beschaulich und mit ruhigem Atem gespielt.
Und 2020, ein Brahms-Konzert mit den B-Phil unter Petrenko, das könnte doch eine musikalische Verheissung sein, nach all den Solo-Recitals ... Alles in allem, ein weiteres, profundes Sokolov-Dokument, musikalisch diskutabel.