Korrekter Beethoven
Bei Michael Korstick denkt man primär ans Pianistische, sein Vermögen des penibel-korrekten, flink und notengetreu vermittelten Spiels, hört jedoch weniger intuitive Innigkeit oder subjektiv lebendige Gestaltung wie Empfindung eines genuinen musikalischen Ausdruckvermögens.
Korstick bleibt sogar beim ausdruckstärksten Subjektivisten aller klassischen Komponisten, Beethoven, erstaunlich neutral - und ausdrucksarm.
Sein Spiel erinnert mich jedesmal an das von Artur Schnabel wohl glaubhaft geäusserte statement bei einer seiner epochalen 30er-Jahre Beethoven Aufnahmen: 'ich hätte es wohl präziser (notengetreuer), jedoch nicht besser (sinnfälliger) spielen können.'
Und hier liegt wohl des Prof. Korstick Pudels Kern - bei aller Pianistik (und Seriosität), kann sein Beethoven eindimensional und wenig inspiriert, wie heruntergespult und, ohne klang-spielerische Nuancen, ohne Improvisiertes oder eigenwillig durchdacht Gestaltetes, musikalisch erstaunlich arm klingen.
Im Vergleich zu wirklich grossen Interpreten wie, neben Schnabel, Arrau, hochseriös variabel - der wo nur, bitteschön, 'verwaschen' klingt? - und dem solide nüchtern-direkten Backhaus, dem höchst inspiriert klangsinnlichen Kempff, dem pianistisch wie auch musikalisch unanfechtbaren Gulda, und partiell auch Gould, der im Kontext seiner differenzierten Extreme oft mehr zu sagen weiss, als pianistisch brav-konforme Aussagen.
Wenn man neben andren Einzel-Aufnahmen, Michelangeli, Gilels, Richter ... 'neuere' Gesamtaufnahmen bedenkt, die von Barenboim, Brendel, Ashkenazy, Bishop, Pollini oder letztlich auch noch von Buchbinder, kommen insgesamt und jeweils doch differenziertere Gestaltungsmomente hinzu, die Korstick z.T. auch deklassieren.
Im englischen 'Gramophone Classical Music Guide 2008', also inmitten seiner Beethoven-Aufnahmen, habe ich vergeblich nach einer Erwähnung irgendeiner Korstick-Aufnahme gesucht.
Die englische Kritik ist zwar durchaus chauvinistisch, aber auch nicht taub für Unerhörtes ...
Ein Vergleich mit der alten Kempff-Einspielung der kleinen grossen C-Dur-Sonate op.2, Nr.3 ist schon recht aufschlussreich, was atmende Agogik, flexible Dynamik und Nuance bei der musikalischen Gestaltung betrifft:
Selbst bei viel kürzerer Spieldauer (Adagio) bleibt Kempff freier, und spielt beinah szenisch lebendig, Klangwunder des Anschlags, und formuliert nicht nur differenzierter, sondern auch musikalisch genauer, als der starr und eher langstielig oder sportiv rasch und kaum inspiriert agierende Korstick.
Pianistisch durchweg hoch respektabel, bleibt er musikalisch eher zweitrangig überzeugend hinter seiner Virtuosität zurück.