Die Seiten knistern nur so vor Spannung
Furia und ihre Freunde vom Widerstand dringen immer tiefer in die magische Welt der Bücher vor, einzig und allein in dem Bestreben, das Reich phantastischer Geschichten und uralter Bibliotheken vor der Tyrannei der Adamitischen Akademie zu befreien. Von dem Sanktuarium aus, einem geheimen Ort, regieren die drei mächtigen Häuser Cantos, Lohenmut und Himmel die Welt der Bibliomanten und der Exlibri, wobei sie letztere aus tiefem Herzen verabscheuen und deshalb ausmerzen wollen. Um diese Herrschaft der Unterdrücker zu beenden, begibt sich Furia auf eine gefährliche Reise durch die verborgenen Refugien auf der Suche nach dem Zentrum der Macht. Doch dabei stoßen sie auf eine weitaus größere Gefahr, vor der sich sogar die Akademie fürchtet: Das größte Geheimnis der Bibliomantik.
"Die Seiten der Welt - Nachtland" ist die Fortsetzung des SPIEGEL-Bestsellers "Die Seiten der Welt" von Kai Meyer und steht dem in nichts nach, weshalb es von mir ebenfalls fünf Sterne bekommt. Schon von Beginn an fesselt die spannende Geschichte von Furia Salamandra Faerfax, die sich dieses Mal gemeinsam mit ihren Freunden vom Widerstand gegen die Adamitische Akademie und einer weitaus größeren Gefahr, die sich in den verborgenen Refugien zu einer großen Macht formiert, zur Wehr setzen muss. Dabei mangelt es sicherlich nicht an packenden Kampfszenen, bei denen mächtige Energien und Kräfte freigesetzt werden. Außerdem lassen sich zunehmend historische Parallelen zu bedeutenden Ereignissen unserer Geschichte, wie etwa dem Holocaust erkennen, die in einen modernen Kontext gebracht werden, wobei die in den Ghettos lebenden Exlibri die Rolle der angeblich Minderwertigen und Verstoßenen einnehmen. In diesem Buch findet man zudem viele Bezüge zu anderen Büchern, wie beispielsweise Shakespeares "Sommernachtstraum", aus dem die Anführer der Bardenbrüder, Ariel und Puck, stammen, und die Kakerlake Samsa, deren Ursprung auf Franz Kafkas "Die Verwandlung" zurückführen ist. Die altbewährten Charaktere überzeugen auch in diesem Buch wieder vollends und sorgen für zahlreiche Schmunzelmomente, wie etwa Furias rotes Schnabelbuch, das einen lustigen Kommentar nach dem anderen loslässt. Aber es gibt auch ein paar neue Personen, die einen sind liebenswert, während die anderen nur hochgradig verachtenswert sind. Zur ersten Kategorie gehört definitiv Patience, ein Krieger aus den Südstaaten, der nun als Leibwächter fungiert und mich dabei irgendwie immer an einen treuen Hund mit Dackelblick erinnerte. Es war einfach nur herrlich, wie der aus einem Schnulzenroman stammende Exlibro seiner Verflossenen hinterhertrauerte und dafür bei den anderen Bewohnern der Residenz nichts als genervte Blicke erntete. Im Gegensatz dazu stehen die Mitglieder des Hauses Himmel, einem der drei tyrannischen Familien, welche die Welt der Bücher regieren, denn diese fielen hauptsächlich durch ihre Intrigen auf. So etwa die elfjährige Pandora Himmel mit ihrem engelsgleichen Antlitz, die jüngste der drei Kinder des Barons, welche allerdings vollkommen ohne bibliomantisches Talent geboren wurde. Dies mindert aber keineswegs ihre Abartigkeit, eher im Gegenteil: Mit Genuss reißt sie Schnabelbüchern auf grausame Art und Weise alle Seiten heraus und tötet zudem noch ihren eigenen Vater, obwohl dieser ihr stets seine Liebe entgegenbrachte. Wie auch in Teil eins sind auch in diesem Buch wieder einige schöne Zitate über Bücher, das Lesen und Literatur zu finden, wie etwa Cats Aussage "Bücher wird es immer geben. Und Leute, die sie lesen." (S. 333), welche vor allem durch die Nüchternheit und die Überzeugung, die dahintersteckt, beeindruckt. Eine weitere Besonderheit dieses Buches sind die fantasievollen Welten, die Kai Meyer einzig und allein mit seiner Sprache erschaffen kann, welche zahlreiche Bilder im Kopf entstehen lassen, was man an folgendem, unglaublich lyrischen und wortgewaltigen Ausschnitt, der nur einer von vielen ist, sehr gut nachvollziehen kann: "Über ihr dräute ein Unwetter aus Farben, schillernd und brodelnd wie kochendes Öl. [...] Von überallher rückten weitere Farbengebirge heran, schoben sich wie majestätische Gewitterfronten durch den glühenden Abgrund, verdunkelten mit ihrer Masse das goldene Licht. Sie waren unter ihr, über ihr, auch rechts und links, manche ganz nah, andere weit entfernt. Rauchige Stränge aus buntem Chaos verbanden sie miteinander, spannten sich durch die Leere wie pulsierendes Aderwerk. Hinter ihnen waren vage die phantastischen Faltenwürfe der Netze zu sehen. Einige waren zerrissen, wo die Ideen sie durchbrochen hatten." (S. 562) Für Bücherliebhaber ist diese grandiose Fortsetzung einer vielversprechenden Trilogie rund um die Welt der Bücher ein absolutes Muss, denn die sympathischen Charaktere, allen voran Furia Salamandra Faerfax und ihr Seelenbuch, entführen einen auf eine Reise durch die Macht der Bibliomantik, wo ein actiongeladenes Kapitel das nächste jagt und die Seiten vor Spannung nur so knistern.