Indisches Gefühlsfeuerwerk ohne Kitschgefahr!
Ich habe selten so ein Buch gelesen, was mich vergleichbar emotional gepackt wie Shilpi Somaya Gowdas Weltbestseller »Geheime Tochter«. Das Debüt der Autorin, dessen Originalausgabe bereits im März 2010 bei William Morrow erschienen ist und in den USA & Kanada große Erfolge zu feiern hatte, steht nun seit dem 1. August auch in unseren Buchhandlungen in Deutschland. Renommierten Tageszeitungen auf der ganzen Welt überschlagen sich geradezu vor Lob und ich muss ehrlich zugeben, nachdem ich das Buch nun fertig gelesen habe, komme ich zu dem Schluss, dass es dieses Lob voll verdient hat!
- Indien 1984. Ein kleines Mädchen mit haselnussbraunen Augen namens Usha – Morgendämmerung – erblickt in einem kleinen Dorf das Licht der Welt. Doch diese Welt ist von Armut, Entbehrung & dem nackten Kampf ums Überleben geprägt. Mädchen sind nicht erwünscht, sie können nichts für die Erhaltung der familiären Existenz beitragen. Schweren Herzens entschließt sich ihre Mutter Kavita, ihr Kind in ein Waisenhaus zu geben, um es vor dem sicheren Tod zu bewahren. Zeitgleich, am anderen Ende des Erdballs, in San Francisco, mitten im Land des Überflusses, das nicht gegensätzlicher sein kann, erleidet eine junge Ärztin eine Fehlgeburt. Verzweiflung breitet sich in Somer Thakkar aus, sie wünscht sich doch so sehnlichst ein Kind. Als das Ehepaar feststellt, dass Somer keine eigenen Kinder bekommen kann, entschließen sie sich, ein Kind aus Indien zu adoptieren und ihm damit die Chance auf ein neues Leben zu geben. Doch ist Liebe allein genug, um die Grenzen zwischen den beiden Kulturen zu überwinden?
- Shilpi Somayas Roman ist in zwei Handlungsstränge aufgeteilt, die zeitlich parallel laufen und zugleich zwei völlig verschiedene Welten gegeneinander setzen. Arm & reich werden jedoch vereint durch den gemeinsamen Gedanken der Mutterliebe, den Kampf um das Familiengefüge, Zusammenhalt und um einen geliebten Menschen: Usha, oder Asha das Mädchen aus dem Waisenhaus im indischen Mumbai. Man merkt sofort, dass die Autorin eigene Erfahrungen in solch einer Einrichtung gesammelt hat, dass sie selbst in Indien war und dort die Lebensumstände mit eigenen Augen gesehen hat. Diese Erfahrungen hat sie in ihr Buch einfließen lassen.
- In insgesamt 60 Kapiteln wird äußerst gefühlvoll, emotional aufwühlend und tiefgründig das Bild zweier Schicksale im Laufe von zwei Jahrzehnten gezeichnet, deren Verbindung ein kleines Mädchen darstellt, dessen sehr junges Leben tragisch beginnt. Eine Mutter muss ihr Kind abgeben, es zerreißt ihr das Herz, doch sie ist sich bewusst. dass es keinen Ausweg gibt. Die Geburtenrate von Mädchen in Indien ist in den letzten Jahrzehnten erheblich zurückgegangen, denn Mädchen sind eine Belastung. Das muss man sich mal vorstellen, wir leben hier in einer Gesellschaft, in der so etwas undenkbar ist. Doch viele Familien in Indien sehen in der Tötung die einzige Chance zu überleben. Brautverbrennung und geschlechtspezifische Abtreibung gehören zum Alltag. Das ist grausame Realität, die Frau Gowda mit einem unglaublich intensiven Erzählstil näher bringt. Man leidet mit, die Emotionen kochen, das Herz pocht bei dem Gedanken, wie schrecklich das Leben in den Slums Dharavis sein muss. Nicht jeder schafft den Sprung ins normale Leben, mit einem Dach über dem Kopf.
- Ich bin restlos begeistert von diesem Buch. Das einzige Manko, was ich anführen könnte wäre das Verhalten Ashas. Ab einem gewissen Punkt im Buch hat mich die junge Frau wirklich wütend gemacht, warum kann ich jetzt hier eigentlich schwer sagen, weil ich nicht spoilern möchte. Nur soviel, sie verhält sich ihrer Adoptivmutter gegenüber völlig unangemessen, das hat Somer schlicht und einfach nicht verdient. Man muss Shilpi Somaya Gowda zu Gute halten, dass sie das pubertäre Verhalten der jungen Dame ausschmückend und überzeugend darstellt. So überzeugend, dass ich einmal aufstand, erstmal durchatmen musste und vor mich hinschimpfen musste! Genauso packten mich aber auch die traurigen Szenen, Szenen die Mitgefühl hervorriefen, Textstellen die mich sehr zum Nachdenken brachten. Rückblickend betrachtet ist dieser Roman einer der gefühlvollsten, die ich bisher gelesen habe…
- Die Autorin hat ihre persönlichen Erfahrungen in ihr Buch mitgenommen, da ihre Eltern aus Mumbai stammen. Während ihrer Studienzeit hat die aus Toronto stammende Autorin auch in einem Kinderheim in Indien gearbeitet, was sich ebenfalls in ihrem Schreiben widerspiegelt. Das war nicht nur einfaches Recherchieren, das man eben erledigen muss wenn man ein lebendiges Buch schreiben möchte, das spürte ich deutlich während des Lesens. Ihre Eindrücke machen ihren Roman so lebendig, farbig, feinfühlig.
- Mein Fazit: Ein unglaublich packendes, feinfühliges Feuerwerk der Emotion, ein Buch voller Herzenswärme und Liebe, das man gelesen haben muss! Ein Buch, das zum Nachdenken & Rekapitulieren seines eigenen Lebens anregt…