Skuriles Psychospiel in Deutschlands Hauptstadt
Jonas Winners neuer Thriller »Der Architekt«, erschienen im Droemer Knaur Verlag im Oktober diesen Jahres, spielt in unserer Hauptstadt Berlin. Dort sitzt Julian Götz, seines Zeichens international anerkannter Architekt, Ehemann & Vater zweier Töchter vorm Moabiter Kriminalgericht auf der Anklagebank, im Verdacht seine Familie umgebracht zu haben. Fasziniert von diesem Prozess, beschließt der Drehbuchautor Ben Lindenberger aus seinem gewohnten Alltagstrott auszubrechen und setzt sich mit dem 49jährigen Architekten in Verbindung, um ihm vorzuschlagen ein Buch über ihn und den Fall zu schreiben. Erst nach einer Weile wird im klar, wie sehr ihn die Geschichte immer tiefer in einen Strudel aus Intrigen, Geheimnissen und dunkle Begierden zieht.
In »Der Architekt« spinnt der Autor ein Psychospiel rund um und mit Architektur, das Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung, aufgeteilt in mehrere Handlungsstränge. Viele architektonische Details werden umfangreich beschrieben. Teilweise nimmt dies ein wenig überhand und ich habe stellenweise das Gefühl, dass die Handlung nicht so recht in Fahrt kommen will. Spannung erzeugt der Autor definitiv!
Zweiter Handlungsschwerpunkt ist Mia, eine junge Frau, die von ihrer Freundin auf eine dubiose Party in eine noch dubiosere Umgebung mitgenommen wird, findet sich plötzlich in einem Raum wieder, eingesperrt, abgeschnitten von der Außenwelt, inmitten der Dunkelheit und der Geräuschkulisse hämmernder Bässe, inmitten von sich windenden Leibern, die sich gegenseitig in Extase treiben. Wie dieser Teil des Plots mit der restlichen Handlung zusammenhängt, erfährt man als Leser erst sehr spät im Buch. Das wiederum gefiel mir sehr gut, denn ich wusste Mias Rolle bis weit über 75% des Buches nicht wirklich einzuordnen. Die Hinweise darauf verdichten sich erst im letzten Viertel des Buches und es fällt einem wie Schuppen von den Augen. Pluspunkt für Herrn Winner, denn er weiß die Spannung auch bis zum Schluss aufrecht zu erhalten.
Was mich allerdings ein wenig störte: Das Buch war mehr "Psycho" als "Thriller". Zuviele Dialoge, die den Großteil der Handlung ausmachen. Die Art und Weise, wie der Autor die Dialoge im Buch wiedergibt, gefällt mir, aber ich stellte mehr und mehr fest, dass es auf Dauer ermüdend war, mehr Gesprochenes als wirkliche Handlung zu lesen. Die Aktion blieb meines Erachtens ein wenig auf der Strecke, denn auch wenn es ein Psychothriller ist, hätte ich mir ein wenig mehr Power hinter den Zeilen gewünscht. Die Idee hinter den knapp 400 Seiten ist klasse, wirklich! Sie überraschte mich, wiederum ein Pluspunkt für das Buch. Aber da wäre mehr drin gewesen!
Dennoch las sich das Buch gut, der Schreibstil ist flüssig und konsequent, teilweise verwirrend, ich möchte sagen: grotesk, subtil! Wenn man wirklich bis zum letzten Satz durchhält - das Ende war gelungen - stellt man fest, welch dunkle Abgründe die menschliche Seele offenbaren kann, wie krank, geistig krank und besessen man werden kann - wenn man es denn zulässt!
Man sollte dieses Buch aufmerksam lesen, denn ich hatte das Gefühl, gerade die Kleinigkeiten machten hier sehr viel aus. Fasziniert war ich von den Details zur Architektur, die Beschreibung der Gebäude, die Wirkung der Farben und die Tatsache, dass Räume einen emotionalen Effekt auf den Bewohner oder Besucher haben können. Überzeugend zeichnete der Autor auch das Charakterbild des Architekten: exzentrisch, jähzornig, zielstrebig und absolut von sich und seiner Arbeit, seinen Ideen überzeugt. Dabei blieben aber die emotionalen Aspekte der Protagonisten ein wenig auf der Strecke, während der Drehbuchautor noch sehr überzeugend an den Leser transportiert wurde, wenn auch ein wenig befremdlich, waren andere Personen recht blass, ja farblos.
Mein Fazit: Wer sich für Architektur interessiert, gleichermaßen subtile Psycho-Stories liebt, Dialoge liebt und in die Abgründe der menschlichen Seele eintauchen will, der wird mit diesem Buch gut beraten sein!