3x kompletter Mozart
Seit Anfang 2017 höre ich auf drei verschiedenen Gesamtaufnahmen sämtliche Werke Mozarts, KV 1-KV 626, einschließlich aller Fragmente u.ä.; nun bin ich endlich am Ende angelangt. Auf die Nerven fiel mir nicht die Musik Mozarts, wohl aber das ständige Heraussuchen und Sortieren der CDs u.ä.
Ich benutzte von Brilliant die Ausgabe von 2006, die Philips Gesamtaufnahme sowie die relativ neue Gesamtausgabe Mozart 225.
Handhabung: Problemlos lassen sich die Aufnahmen bei der Philips-GA auffinden und entnehmen: einzelne Schuber (insgesamt 45), griffig, allerdings platzraubend und zudem die CDs nicht immer fest verankernd. Überdies gab es bei einigen wenigen Schubern Schaumgummi, der sich zersetzte und die CD-Oberflächen beschädigte, zum Glück nicht die Spielseite. Mir gelang es nicht den Schaumgummi zu entfernen.
Bei Brilliant sind die Werkgruppen farbig unterteilt, allerdings nicht immer gut unterscheidbar; die Papierhüllen sind schlecht schließbar und man nimmt gerne mehrere CDs zusammen heraus. Die Edition nimmt sehr wenig Platz ein.
Recht simpel läuft das bei GA 225: 4 Kategorienen, in einzelnen Abteilungen, die CDs sind gut entnehmbar. Öfter habe ich sogar auf Anhieb die richtige CD entnommen, deren Nummern von außen nicht zu erkennen sind. Die Edition verbraucht mehr Platz als Brilliant, aber deutlich weniger als die Philips Edition. Allerdings ist sie wegen ihrer Form nicht in einem normalen CD-Regal unterzubringen.
Die Hüllen bei Brilliant sind mit den Tracks und der Spieldauer beschriftet, allerdings durch die dunkle Farbe und den kleinen Druck teilweise schwer lesbar.
Bei Philips braucht man die den einzelnen Schubern beigefügten Hefte, um etwas über die einzelnen CDs zu erfahren.
Bei Mozart 225 sind auf den CD-Hüllen die Tracks aufgeführt (mit Ausnahme von 2 CDs, die eine große Anzahl an Tracks enthalten), allerdings ohne Zeitangabe. Dazu werden die 4 Hefte benötigt, für jede Kategorie eins. Sie sind gut zu handhaben, allerdings schlecht geklebt.
Informationen: Die Informationen zu den Werken bei Brilliant (ich beziehe mich auf die Ausgabe von 2006) sind mehr als spärlich, nur auf CD-ROM zu finden und auch da sehr allgemein.
Bei Mozart 225 gibt es einen eindrucksvollen Band, der sämtliche Werke abhandelt in der Reihenfolge der CDs. Das ist oft sehr aufschlussreich, auch äußerst aktuell und originell, bei kleineren, unbekannten Werken manchmal allerdings auch mehr als knapp, KV 373 z.B. findet überhaupt keine Erwähnung. Gerade die unbekannteren, eventuell auch zweifelhaften Werke rufen u.U ja einen erhöhten Informationsbedarf hervor; insofern ist das etwas schade. Ein großes Plus ist das Heftchen mit dem Köchelverzeichnis, in dem alle Werke nach neuester Erkenntnis aufgeführt sind sowie die CD’s, auf denen man sie jeweils finden kann.
Vorbildlich ist Philips. Jeder Schuber enthält ein Heft mit in der Regel allgemeinen Einführungen zu der Werkgruppe und dann Kommentare zu den einzelnen Werken. Es gibt allerdings auch Hefte, die nur passim auf die einzelnen Werke eingehen; das ist manchmal mühsam zu finden und nicht immer sonderlich ergiebig.
Tonqualität: Die Klangqualität ist bei allen drei Editionen fast durchweg gut bis sehr gut –bei historischen Aufnahmen in der 225-Ausgabe muss man natürlich Abstriche machen.
Wenn man auf der anderen Seite die Karajan-Boxen kennt und deren meist brillante Klangqualität genießt, kann man sich schon fragen, warum Universal bei der wohl letzten GA von Mozarts Werken auf Tonträgern nicht noch einmal eine optimale Tonqualität geliefert hat.
Bei sämtlichen CDs, zusammen weit über 500, hatte ich nicht einmal einen Hänger u.ä.!!!
Vollständigkeit: Hier bietet Mozart 225 das Nonplusultra, was auch nicht erstaunlich ist, da die Editoren ja mit einem wissenschaftlichen Anspruch an die Veröffentlichung herangegangen sind. Es gibt einige Fragmente u.ä., die noch nie auf CD erschienen sind, ebenso wurden sehr viele zweifelhafte Werke berücksichtigt. Bei der Pariser Symphonie z.B. werden zwei Versionen präsentiert, eine mit dem originalen, längeren Andante und dann die zweite mit dem kürzeren.
Brilliant bietet erstaunlicherweise den ursprünglichen langsamen Satz überhaupt nicht und Philips nur isoliert. Auch ansonsten fehlen bei Brilliant etliche der zweifelhaften Symphonien, durchaus auch solche, die vermutlich von Mozart stammen. Ebenso bieten weder Brilliant noch Philips die Symphonien, die aus Serenaden gestaltet sind. Ansonsten ist es sicher eine Frage des persönlichen Geschmacks, ob man bei Brilliant viel vermisst. Es fehlt z.B. die deutsche Version von La finta giardiniera sowie L’oca del Cairo, es fehlen (wie auch bei Philips) sämtliche Bearbeitungen mit Ausnahme der Klavierkonzerte (nach J.C.Bach) und es fehlen viele kürzere Fragmente. Ein ‚Enzyklopädist‘ mag dies beklagen, aber der Reichtum des Mozartischen Gesamtwerks erschließt sich in der Brilliant-Ausgabe sehr wohl, ebenso wie natürlich in der Philips GA. Ein oder zweimal bietet Brilliant auch mehr als die anderen, so z.B. bei KV 343, ein Kirchenlied, das sowohl in der Begleitung mit Orgel als auch mit Klavier repräsentiert ist und bei KV 373, das nur bei Brilliant auch in der Version mit Flöte vorhanden ist. Brilliant hat auch im Gegensatz zu Philips beide Versionen der
g-moll-Symphonie (Version mit Klarinetten).
Interpretation: Als ich damals die Brilliant-Edition kaufte (für 69 Euro), war ich mehr als skeptisch. Aber ich muss sagen, dass ich über weite Strecken von den Interpretationen angetan bin. Überdies könnte sich das ja in den späteren Editionen noch verbessert haben. Rundum überzeugt mich Nicol Matt mit seinem Chamber Choir of Europe bei den geistlichen Werken; auch Jed Wentz zeigt bei den unbekannteren Opern solide bis sehr gute Interpretationen. Kuijken und Mackerras bieten bei den großen Opern oft ein hervorragendes Orchester, während die Solisten nicht immer überzeugen. Auch ist der Klang manchmal etwas dumpf.
Die Sinfonien sind eher konventionell, manche auch richtig schwach (KV 319). Auch scheint mir das Klangbild eher eng. Bei den Klavierkonzerten habe ich die größten Vorbehalte: die frühen sind meist uninspiriert, oft ein schwammiges Orchester und ein fast gelangweilter Pianist. Das bessert sich allerdings deutlich bei den späten Werken (ab KV 415).
Punkten kann Brilliant besonders bei den Werken, bei denen Mozart 225 die Interpretationen von Philips übernommen hat (ca.30 %), das sind vor allem natürlich die früheren Werke. Hier sind die Interpretationen von Philips und 225 oft eher konventionell, ohne Einflüsse der historischen Bewegung. Letzteres trifft auch für die zweifellos gelungenen Tänze und Märsche zu, die in der bewährten Hand des unverwüstlichen Willi Boskovsky liegen. Schon erstaunlich, dass Universal seitdem keine Neueinspielungen vorlegen kann. Hier ist Brilliant eine willkommene Alternative.
Auch die Kammermusik bei Brilliant finde ich durchaus gelungen, die Solisten sind mir dabei in der Regel unbekannt.
Philips bietet im Allgemeinen klassische Interpretationen auf hohem Niveau. Die Namen Brendel, Uchida, Grumiaux, Colin Davis und Marriner sprechen für sich. Allerdings hätte man sich 1991 schon einen größeren Einfluss der HIP vorstellen können, nur KV 427 (Große c-moll-Messe) ist mit Gardiner in dieser Richtung vertreten.
Mozart 225 legt den Schwerpunkt auf historisch informierte Aufführungen. Pinnock, Hogwood, Gardiner sind häufig vertreten und können rundum überzeugen. Sehr erfreulich ist, dass bei den Klavierkonzerten Levin/Hogwood in hohem Maß präsent sind; diese Aufnahme ist m.W seit Jahren nicht mehr greifbar und bietet pointierte Interpretationen. Und natürlich ist es spannend, dass innerhalb der einzelnen Werkgruppen unterschiedliche Interpreten zum Zuge kommen.
Auch bei der Kammermusik trifft man alte Bekannte, aber durchaus auch Aufnahmen aus jüngerer Zeit. Außerdem gibt es sehr hochwertige Aufnahmen von Ensembles, die mir bis dato völlig unbekannt waren, so. z.B. das Klarinettenquintett mit Harold Wright und den Boston Symphony Chamber Players.
Die geistliche Musik bietet bei den großen Werken alles auf, was Rang und Namen hat, die frühen Messen allerdings sind meist von der Philips Edition übernommen. Hier habe ich als Alternative noch die Harnoncourt-Aufnahmen (Box mit 13 CD’s) genutzt, die spannende, teilweise auch eigenwillige Interpretationen bieten.
Die frühen Opern sind ebenfalls von der Philips Edition, die großen Opern allerdings sind neue Einspielungen, die teilweise noch gar nicht so bekannt sind, so z.B. Don Giovanni mit Yannick Nézet-Séguin. Etwas enttäuscht war ich vom Figaro mit Arnold Östman: der Klang ist stellenweise fast dünn, das Revolutionäre dieser Oper kommt deutlich zu kurz.
Sonstiges: Ein Bonbon, das man gar nicht hoch genug einschätzen kann, sind die zahlreichen Alternativeinspielungen der Mozart 225 Edition. Die Edition umfasst 200 CDs; wenn man zudem bedenkt, dass kaum eine CD eine kürzere Laufzeit als 60 Minuten hat, viele sogar 70 und mehr (bis 86), dann wird deutlich, dass da noch eine Menge zusätzlicher Musik geboten wird. (Bei Brilliant und Philips gibt es viele CDs, die nur 40 Minuten Spieldauer haben). Eigentlich sind alle großen Werke mindestens zweimal vertreten, in unterschiedlichen Varianten (KV 581 zum Beispiel mit Bassetthorn oder das Requiem als Fragment und zweimal in der Süßmayrschen Variante) oder einfach Alternativeinspielungen. Die g-moll-Sinfonie ist zum Beispiel in vier unterschiedlichen Einspielungen zu hören. Nur bei den Opern ist lediglich der Figaro zweifach vorhanden, neben Östman gibt es noch den legendären Kleiber.
Eine nicht ganz ernst gemeinte Kritik: wenn man die Edition schon Mozart 225 nennt, warum dann nicht auch 225 CDs? Dann wäre noch Platz für Fricsay und Krips sowie Alternativversionen der großen Opern.
Die Bilder, Faksimile u.ä., die ansonsten beigegeben sind, empfinde ich als nette Spielerei.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass jede der drei Editionen ihren Wert und ihre Berechtigung hat. Ich habe mich nicht einen Moment gelangweilt und habe nach dem Ende des Projekts erst einmal Mozart gehört (KV 491 mit Immerseel)…