Außergewöhnliche Alternativen - Furtwängler dirigiert Wagner
Die vorliegende Testament-Veröffentlichung aus dem Jahr 1998 ist eine kleine Rarität. Sie steht mit ihrem Inhalt in Konkurrenz zu den üblicherweise veröffentlichten Opernauszügen der Werke Richard Wagners (von der EMI), die unter Wilhelm Furtwänglers Leitung aufgezeichnet wurden.
Bis auf das Siegfried-Idyll, das tatsächlich nur einmal aufgezeichnet wurde, haben die übrigen vier hier vorliegenden Mitschnitte jüngere "Geschwister", die in der Regel stellvertretend für Kombination "Furtwängler dirigiert Wagner" stehen. Dieser Umstand ist insofern sehr schade, da sich die hier erschienen Stücke keinesfalls verstecken müssen.
Erstmals veröffentlicht, ist das Vorspiel zum 1. Akt aus Lohengrin. Es wurde im August 1947 mit dem Luzerner Festspielorchester aufgezeichnet. Eine geplante Neuaufnahme für die Festspiele im Folgejahr führte dazu, daß das 47er-Vorspiel nicht publiziert wurde. Gemessen an den beiden anderen Vorspielen (1930 mit den Berliner und 1954 mit den Wiener Philharmonikern - eine Veröffentlichung der Wiener von 1949 steht noch aus) besticht die 47er-Fassung durch ein wesentlich besseres Klangbild als die ältere Fassung. Auch wenn sie diesbezüglich nicht ganz mit der 54er-Fassung mithalten kann. Außerdem ist sie rasanter interpretiert - rund 40 Sekunden schneller als die 54-Fassung - und dadurch etwa mit der 30er-Fassung gleichauf.
Künstlerisch ist vollkommen unverständlich, daß dieses Vorspiel noch nicht veröffentlicht wurde. Furtwängler und das Festspielorchester breiten den Klangteppich in faszinierender Weise aus, langsam wird der Hörer davon eingehüllt. Meisterhaft wächst die Musik, aus einem Glimmen wird ein regelrechtes Glühen, das der Dirigent kurz und kraftvoll aufflackern läßt, bevor das Stück schließlich langsam, aber intensiv "verglüht".
Auch der Tannhäuser-Ouvertüre aus dem Februar 1949 widerfuhr ein ähnliches Schicksal. Eingespielt mit den Wiener Philharmonikern, wurde sie aus unbekannten Gründen bis dato nicht herausgegeben. Zweifellos unbegründet, steht sie im Schatten der 1952-Aufnahme, ebenfalls mit den Wienern aufgezeichnet. Mit Blick auf den Klang sind beide Vorspiele in etwa ebenbürtig, die ältere Fassung rauscht etwas mehr.
Musikalisch überzeugt die Ouvertüre rundum: Furtwängler läßt den filigranen Momenten ihren Raum, wobei das feine Stimmgewebe deutlich hervortritt. Die musikalischen Anstiege bewältigen Dirigent und Orchester problemlos, wobei sich die dem Tannhäuser eigene Ekstase frei entfaltet. Eine vollendete Interpretation.
Das Siegfried-Idyll, eine Sinfonische Dichtung für Wagners Frau Cosima komponiert, fristet eher ein Schattendasein mit Blick auf die allgemein bevorzugten Stücke für Konzerte. Um so erfreulicher ist, daß das Werk unter Furtwänglers Stabführung und gespielt von den Wienern erhalten ist (entstanden im Februar 1949). Klanglich ist die Testament-Aufnahme in Anbetracht des Alters makellos und herausragend. Das Stück wird sehr zart und mit viel Einfühlungsvermögen gegeben. Was kann noch mehr über ein Werk gesagt werden, das alle Beteiligten kongenial zu etwas formen, das den Hörer einfach in seinen Bann zieht?
Eine fesselnde 'Rheinfahrt' schließt sich an, die in ihrer wogenden Vielschichtigkeit, ihrer fulminanten und überwältigenden Atmosphäre überzeugt. Aufgezeichnet wurde sie im Februar 1949. Die fünf Jahre später im März mitgeschnittene Fassung unterscheidet sich in der Länge wie klangtechnisch kaum von dieser. Furtwängler und die Wiener zeigen sich hier nur ein wenig energischer und schwungvoller als fünf Jahre darauf.
Den Trauermarsch, wie Siegfrieds Rheinfahrt aus der Götterdämmerung stammend, hatte Furtwängler mit den Berliner Philharmonikern bereits 1933 erstmals aufgenommen, ein weiterer Mitschnitt mit dem Orchester datiert aus dem Dezember 1949. Im Januar 1950 wurde dann die vorliegende Aufnahme mit den Wienern gemacht. Eine Weitere folgte schließlich im März 1954. Besonders der Vergleich mit der letztgenannten Interpretation ist reizvoll. Während beide vom Klangbild her etwa gleichauf sind, ist die 50-Fassung mit 8:17 rund eine Minute kürzer als die jüngere Aufnahme. Dort läßt sich Furtwängler Zeit für die zutiefst menschliche Tragödie, wohingegen er das Stück 1950 spannungsvoller und leidenschaftlicher nimmt.
Insgesamt ist diese Furtwängler-Zusammenstellung eine mehr als gelungene Alternative zu den Wagner-Interpretationen, die sonst die Veröffentlichungen dominieren. Die Qualität ist durchgehend überzeugend - im Klang, aber noch weitaus mehr in der Darbietung!