Schuberts Große oder Furtwänglers Titan
Die CD stimmt mit einer Aufnahme des Entr'acte Nr. 3 von Franz Schuberts 'Rosamunde' an. Auszüge aus dem Schauspiel tauchen bereits seit Juni 1929 immer wieder in Wilhelm Furtwänglers Diskographie auf. Bei diesem Mitschnitt vom 3. Juni 1944 dirigiert er die Wiener Philharmoniker. Das Stück liegt in einer erstaunlich guten Klangqualität vor und wird mit viel Gefühl vorgetragen.
Im Mittelpunkt der Veröffentlichung steht aber eindeutig Schuberts Sinfonie Nr. 8 (9), die Große in C-Dur. Eine jüngere Aufnahme des Werkes von Furtwängler und den Berliner Philharmonikern (aus dem November/Dezember 1951) gilt als Referenzaufnahme der Sinfonie. Der klassischen Einspielung steht mit diesem Mitschnitt aus dem Dezember 1942 eine doch etwas andere Sichtweise gegenüber.
Unter Furtwänglers Leitung spielen die Berliner Philharmoniker, sein Orchester, in Höchstform. Gemeinsam schaffen beide ein absolut herausragendes Beispiel künstlerischer Zusammenarbeit. Für mich steht die 42er-Aufnahme stellvertretend für Furtwänglers "Kriegsaufnahmen". Sie ist ein mustergültiges Beispiel für die konzentrierte, eruptive Interpretationskunst des Berliners während des Zweiten Weltkrieges.
Der Kopfsatz beginnt nebulös tastend - es scheint, als dringe das Horn aus einer anderen Welt herüber. Das Thema des Satzes entfaltet sich. Jedes Mal, wenn ein Orchestertutti erklingt, ist es, als wäre die gesamte musikalische Struktur zum Bersten gespannt. Dazwischen immer wieder filigrane Partien, die gefühlvoll vorgetragen werden, bevor es mit ruppigen Schüben erneut vorandrängt. Die Pauken am Satzende klingen nach Trommelfeuer. Mit Wucht scheint der Satz im Weltuntergang auszuklingen. Gemäßigter, wenngleich mit kraftvollem Schwung, schreitet das folgende Andante mit gelegentlichen Ausbrüchen einerseits und wunderbar weichen, nach endloser Weite klingenden Partien andererseits, voran. Der dritte Satz, das Scherzo: ein gespannter Einstieg, lebhafter Vorwärtsdrang, teils filigran verspielt. Die Klammer zum Kopfsatz bildet das Allegro vivace, der Finalsatz. Und als habe Furtwängler noch nicht genügend Hexenküche, Ausbrüche und Wucht gehabt, steigt er gefühlt mitten im Weltuntergang am Ende des ersten Satzes ein. Es gibt donnernde Paukenschläge, gewaltige Orchestertutti und aufsehenerregend eruptiven Schwung.
Insgesamt liegt mit dieser Publikation eine einzigartige Aufnahme vor, die klanglich wirklich gut aufgearbeitet wurde. Furtwängler hat hier einen schlafenden Titanen erweckt, der 50 Minuten lang fesselt, berauscht, entrückt und damit auch umfassend überzeugt. Für mich der aufbrausende Zwilling der 51er Referenzaufnahme.
(Das Begleitheft ist in französischer und englischer Sprache.)