Klangrausch
Die sogenannte Zweite Wiener Schule gilt als spröde, schwer hörbar und was weiß ich noch alles - insbesondere Webern. Und wenn man andere Aufnahmen hört, scheinen die Dirigenten geradezu erpicht, Webern genau so klingen zu lassen. Man könnte sagen: Webern soll gar nicht klingen. Karajan, der bei Webern studiert hatte, macht das genau Gegenteil. Er bringt die Musik in einer Ausdrucksstärke zum Erklingen, die zumindest mich komplett überrascht hat. Und plötzlich bekommt alles einen Sinn. Wird zB. im op.21, der Sinfonie, die ganze Struktur hörbar. Es handelt sich nicht mehr um eine Reihenkomposition, sondern um eine Erzählung über diese Reihe, von dieser Reihe. Jede, aber auch wirklich jede Note, jeder Klang wird hörbar. Und man spürt die Bedeutung dieser Musik und wie sehr sie in die Zeit zwischen den beiden Weltbürgerkriegen gehört an deren Ende Webern auf tragische Weise stirbt. Die immer wieder erscheinenden Sprünge durch Horn, Geige und Klarinette, die zarten Anworten der Pizzicati auf Harfe und Geige - immer wieder unterbrochen durch beinahe fürchterlich laute Einfälle von Baß und wiederum Horn. All das bekommt einen Sinn mit einem Anfang und einem wehmütigen Ende durch die Streicher, die an das Ende des ersten Satzes von Bruckners Achter erinnert, die dieser als Totenglocken bezeichnet hat. Die Töne huschen vorbei und man möchte sie aufhalten. Webern klingt hier wirklich äußerst sentimental, gerade weil er das Verschwinden aller Sentimentalität beschreibt. Würde Webern immer so gespielt, dann würde er nicht nur als pädagogische Maßnahme in den Konzertsälen erscheinen. Dann würde man ihn wirklich hören wollen, weil er immer wieder etwas erzählt.