Hans Pfitzner: Orchesterwerke Vol.1
Orchesterwerke Vol.1
CD
CD (Compact Disc)
Herkömmliche CD, die mit allen CD-Playern und Computerlaufwerken, aber auch mit den meisten SACD- oder Multiplayern abspielbar ist.
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- Violinkonzert op. 34; Duo f. Violine, Cello & Orchester op. 43; Scherzo f. Orchester (1887)
- Künstler: Saschko Gawriloff, Julius Berger, Bamberger Symphoniker, Werner Andreas Albert
- Label: CPO, DDD, 89/90
- Erscheinungstermin: 21.10.2006
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Mit der Person Hans Pfitzners liegt der
seltene musikhistorische Fall eines Komponisten
vor, der zu seinen Lebzeiten weniger
als Tonsetzer denn als polemisierender
Essayist einen Namen sich machte.
Und über Hans Pfitzner zu schreiben
heißt deswegen immer auch in die Gefahr
sich begeben, einem der vielen Vorurteile
über Hans Pfitzner aufzusitzen:
dass er beispielsweise ein Epigone sei,
dass er (der selbst gegen die 'musikalische
Impotenz, wetterte) ein ebenso
kraftloser Traditionalist wie ein kraftloser
Avantgardist sei, dass er sein politisches
Fähnchen nach dem jeweiligen Winde
gehängt habe, dass er sich gar von Alma
Mahler bespötteln lassen musste: "Irgendwo
ist er beschränkt". Nichts von alledem, und von alledem auch wieder ein
bisschen. Wahr ist, dass Hans Pfitzner sich
in keiner stilistischen Schublade ablegen
lässt. Wahr ist auch, dass man ihn nicht mit
einem griffigen ästhetischen Paradigma
einfangen kann. Und eben durch die Vergeblichkeit
eines wie auch immer gearteten
Kategorisierungs-Versuchs wird die
Versuchung genährt, Hans Pfitzner ad
personam zu diskutieren, sozusagen an
seiner Musik vorbei und unter Berufung
auf das, was er gesagt und geschrieben
hat.
Mit der vorliegenden Einspielung könnte ein Stück Versachlichung voran getrieben werden im Disput um Hans Pfitzner, den konservativen Nonkonformisten; denn mit dem SCHERZO von 1888 und mit dem DUO op. 43 von 1937 überblicken wir fast 50 Jahre Hans Pfitzner-Entwicklung, wobei ernsthaft zu f ragen sein wird, ob eine Entwicklung im Sinne des Begriffs stattgefunden habe. 19 Jahre ist er jung, als er - noch Student am Hoch'schen Konservatorium in Frankfurt - das SCHERZO für Orchester komponiert; der 68-jährige ist Reichskultursenator, als er 13 Jahre nach dem VIOLINKONZERT op. 34 das DUO für Violine und Violoncello mit Orchester komponiert. Jahre des Anbruchs? Jahre der Reife? Wir werden sehen. Das SCHERZO für Orchester legt Zeugnis ab davon, dass der Schüler von James Kwast und lwan Knorr die kompositorischen Handschriften seiner tonsetzenden Vorfahren peinlich genau studiert haben musste. Es handelt sich - im Tonsatz- Jargon - gesprochen um eine "saubere Arbeit"; es handelt sich um ein durch und durch traditionelles Scherzo im normativen Sinne dieses Genres, weit traditioneller noch als etwa die individuellen Anverwandlungen des Scherzo- Typs bei Chopin. Das Thema des B-Teils ist eine Bewegung, ist schierer Tanz-Gestus: leichtfüßig dahineilende Fünfton- Skalen auf- und abwärts, vom Streicherchor unisono gespielt und vom Bläserchor mit einem pendelnden Sekund- Motiv beantwortet. Aus diesem lapidaren motivischen Material ist der gesamte A-Teil gebaut, wobei auffallend ist, dass der Student Hans Pfitzner die Streicher- und die Bläserregister fein säuberlich getrennt aufmarschieren lässt; das macht den gesamten Tonsatz transparent und das orchestrale Klangbild abwechslungsreich, Mischfarben werden vermieden, ein groß besetztes Orchester hat kammermusikalische Leichtgängigkeit. 8 Takte nach Buchstabe D intoniert das Solo-Horn ein abwärtsgerichtetes Quarten-Thema; wenn man so will: als eine sangliche Qualität inmitten permanent federnder Bewegung. Dieses Thema, im A-Teil nur eine Episode, steht im Trio ("Viel ruhiger") im Mittelpunkt, wohingegen das aus dem A-Teil bekannte pendelnde Sekundmotiv nun als bloße Begleitfigur an den Rand rückt. Allgemein gesagt: Scherzo und Trio verhalten sich komplementär; dominiert im Scherzo die flüssige Bewegung, so dominiert im Trio die sangliche Linie, und zwar einfach dadurch, dass diese beiden thematisch-motivischen Qualitäten vertauscht werden. So entsteht zwischen den beiden Formteilen A und B eine enge innere Beziehung; strukturell ist B die Variante von A. Der jugendliche Hans Pfitzner weiß, wie man's macht, wenn er andererseits auch noch sehr konventionell verfährt, beispielsweise im Harmonieplan (A=c- Moll/ B=G-Dur) und beispielsweise mit einer fugierten Schreibweise, die noch stark nach scholastischer Gelehrsamkeit riecht (14 Takte nach E). Nochmals: eine "saubere Arbeit" und zugleich - wie gesagt - eine perfekte Handschriften-Kopie, in diesem Fall die Kopie der Handschrift Mendelssohns, der in fast jedem Takt um die Ecke schaut. Sommernachtstraum- Spuk. Mendelssohn-Brillanz. Scherzo-Leichtigkeit des frühen 19. Jahrhunderts. Und wenn man die Ohren spitzt, so hört man gar (T. 6 / 7 nach L) den sommernächtlichen Esel schreien. Eine Schülerarbeit? Eine Schülerarbeit. Allerdings eine mit festem Guß und mit Gespür für klangliche Delikatesse. Der spätere Pfitzner steht in Umrissen schon da, vor allem in der Selbstverständlichkeit, mit der die unterschiedlichen Charaktere von Scherzo und Trio aus ein und demselben motivisch-thematischen Grundeinfall gebaut werden. Die Kunst der variierenden Ableitung: der Student Hans Pfitzner hat davon bereits hier eine vage Vorstellung.
Er sollte sie später zu einem streitbaren Konzept ausbauen. und zwar unter dem Stichwort der "musikalischen Inspiration", der "Musikals Einfall". Heftig legte er sich zum Beispiel mit Paul Bekker an, der die Ansicht vertrat, Beethovens Leistung liege nicht so sehr in der Erfindung von Themen, sondern in der Gestaltung komplexer Formen. Pfitzner contra Bekker oder: der Metaphysiker contra den künstlerischen Rationalismus. Pfitzner, ein glühender Anhänger Schopenhauers, verwirft den kognitiven Schaffensprozeß; für ihn gilt nur die rational nicht fassbare Schaffens-Gnade:
Da aber erst, wo in der Unmeßbarkeit dessen, was einen so entzückt, der Genuss des Genießens sowohl, als der des Produzierens besteht, da, wo der eigentliche Verstand nicht kontrolliert, ja, wo beim Entstehenlassen das Bewusstsein nicht im Spiel ist: da erst fängt etwas an, Kunst im höheren Sinne zu sein. Das Charakteristische an genialen Kunstleistungen ist, dass einem das fertig Vorliegende ebenso selbstverständlich vorkommt, als es unbegreiflich bleibt, wie es entstehen konnte.
Bei Schopenhauer, in "Die Welt als Wille und Vorstellung", hatte Pfitzner gelesen:
Die Erfindung der Melodie, die Aufdeckung aller tiefsten Geheimnisse des menschlichen Wollens und Empfindens in ihr, ist das Werk des Genius, dessen Wirken hier augenscheinlicher, als irgendwo, fern von aller Reflexion und bewusster Absichtlichkeit liegt und eine Inspiration heißen könnte. Der Begriff ist hier, wie überall in der Kunst, unfruchtbar: der Komponist offenbart das innerste Wesen der Welt und spricht die tiefste Weisheit aus, in einer Sprache, die seine Vernunft nicht versteht; wie eine magnetische Somnambule Aufschlüsse gibt über Dinge, von denen sie wachend keinen Begriff hat.
Es fällt schwer, dies sowohl Hans Pfitzner als auch Arthur Schopenhauer so recht zu glauben. Das DUO für Violine und Orchester op. 43 (1937) ist eher ein Exempel für gediegene Gestaltung als eines für genialische Erfindung. Stilistisch trägt es alle Kennzeichen spätromantischer Expression, angefangen von der rhapsodischen bzw. kantablen Themen- Gestik bis hin zu einer durch und durch chromatischen Harmonik, welche freilich stets in tonalen Grenzen bleibt. Es handelt sich um ein dreisätziges kleines Konzertstück, deren Sätze - von Generalpausen unterbrochen - ineinanderfließen. Für den ersten Satz entwirft Pfitzner ein vorhaltbeiontes, vorwärtsdrängendes dunkles Thema, dessen klagender Ton den Anfang des Satzes bestimmt. Ein zweites Thema (ab Ziffer 9) hat einen kurzen Auftritt: eine pochende, sich aufwärts schwingende Dreiklangsfigur. Sodann ein drittes Thema: rhythmisch dem ersten ähnlich, mit pendelndem singendem Fluss. Pfitzner gelangt gegen Ende zwar zu einer verkürzten Reprise, dennoch entsteht keine dialogisch-diskursive Form, sondern eher eine Folge von Episoden, in denen sich jeweils neue thematische Gedanken unter die bereits bekannten mischen. So bilden sich weiche Übergänge und stete Gedankenflüsse, keinesfalls aber schroffe Gegensätze oder dialektische Spannungen. Ähnlich der musikalische Grundeinfall des langsamen Satzes; auch hier begegnen wir einem schlichten Liedmaterial, während im dritten Satz, den man von fern für ein flüssiges, ein bisschen nach Weihnachten duftendes Siciliano halten könnte, sich noch einmal der rhapsodische Duktus des ersten Satzes behauptet. Prüft man das thematische Material gründlicher, so hat es weder die prosaische Unendlichkeit der Wagner'schen Melodie, noch hat es das rhythmische Raffinement Schumann'scher Themenbildung. Es ist auf einem handwerklich hohen Niveau gebildet, zuweilen nach=gebildet. Der Eindruck handwerklicher Solidität verstärkt sich im Blick auf das Satzbild: Pfitzner zeigt sich einerseits als ein Meister der imitierenden Fortspinnung, andererseits als Meister der überblendenden Übergänge. Das atmet in der Tat wenig Inspiration, eher die von Brahms übernommene Verfahrensweise einer permanentem Durchführung. Eine Vermutung, die sich mehr und mehr dadurch bestätigt, dass jegliches thematisch-motivisches Material voneinander abgeleitet ist, sei's durch motivische Vorbereitung, sei's durch variierende Ableitung. Und nicht einmal das Verhältnis von Sologeige bzw. Solocello zum Orchester wäre revolutionär zu nennen: das Orchester bescheidet sich, bis auf wenige Momente, in der Rolle eines Begleiters, man sollte sagen: in der Rolle einer klang- und stimmungsbildenden Kulisse, vor der sich das imitierende Spiel der Themen entwickelt; ein Spiel, das mehr als einmal bestimmt ist vom kontrapunktischen Verhältnis der Themen zu- und untereinander. lnsofern trägt dieses Konzertstück, aller romantischen Rhetorik zum Trotz, die Attitüde von Gelehrsamkeit, zuweilen von Akademismus bar jenes jugendlichen Schwunges, den das SCHERZO noch beflügelt hatte. Der 68-jährige Hans Pfitzner schreibt gekonnt, satztechnisch elegant, harmonisch subtil; indessen hat man durchaus die Gewissheit, dass hier - im Gegensatz zu Pfitzners pathetischer Inspirations-Rede - der "eigentliche Verstand" in einem hohen Maße 'kontrolliert" ist. Das mag wohl im Sinne einer Altersreife sein, nicht aber im Sinne der Schopenhauer'schen Somnambulen, die von den Dingen 'wachend keinen Begriff hat". Und so entsteht der Eindruck, als habe Pfitzner, indem er ständig die Kraft des Einfalls beschwor, mit eben diesem Einfall seine Probleme dergestalt, dass er auf der Ebene von Kunstfertigkeit zu kompensieren versuchte, was ihm auf der Ebene von unbewusster Genialität im erhofften Maße nicht zu Gebote stand. Denn wer von dieser unbewussten, dem kontrollierenden Verstand entzogenen Genialität permanent, wie Pfitzner, redet, der befindet sich in der misslichen Situation, dass er diese Unschuld bereits verloren hat, noch bevor er sie besaß. Das DUO für Violine und Klavier nebst kleinem Orchester ist ein klingendes Dokument für diesen unversöhnlichen Widerspruch in der Person Pfitzners insofern, als gerade das Wohlgeformte, das Glatte und das satztechnisch Gelungene als das Ergebnis rationaler Anstrengung Pfitzners Ideal besonders gründlich verfehlt. Als ein solches Dokument hat es dann seinen Rang eigener Art.
lm KONZERT für Violine h-Moll mit Orchester op. 34 tritt uns allerdings ein gänzlich anderer Hans Pfitzner entgegen, und der Rang dieses Konzerts geht weit über den eines persönlichen Dokuments hinaus. Das Werk ist einsätzig, ist dennoch in verkappter Viersätzigkeit gestaltet. In Stil, Formfügung, Soloinstrument- und Orchesterbehandlung sowie in der gesamten thematischen Dramaturgie ist Pfitzner in der Tat eine inspirative Glanzleistung gelungen, die wirklich genialische Züge trägt und dieses Konzert (zu Unrecht in den Schatten geraten) zu einem der interessantesten seiner Gattung macht. Pfitzner zeigt sich hier als ein eminent konzentrierter und ökonomischer Dramatiker. Das Konzert ist ein Solokonzert im traditionellen Sinne und gibt der Geige, was der Geige ist. Andererseits trägt es unverkennbar die krisenhaften symphonischen Entwicklungszüge in der Nachfolge von Mahler und in der Nachbarschaft zu Prokofieff. Die Einsätzigkeit hat Gründe, die in der integralen thematischen Arbeit Pfitzners liegen:
Der Kopfsatz exponiert ein pathetisch punktiertes Thema, dessen unmittelbare Fortspinnung den emotional bewegten Gestus dieses ersten Gedankens herstellt; das Orchester sekundiert mit tremolierender Erregung. Mit dem zweiten Thema, statt h-Moll nun Des- Dur, richtet Pfitzner im Sinne einer klassischromantischen Exposition den kontrastreichen Widerspruch ein: der Themengestus ist sanglich, ruhig und mit einer vokalen Weitschweifigkeit, die den Tonraum nahezu extrem auskostet. Die Ruhe indessen ist brüchig, denn das Orchester erhebt mit rastloser Bewegung Einspruch. Die Einmündung ins Thema 1 hat Methode: Pfitzner bereitet ein drittes Thema vor, welches rhythmisch mit Thema 1 und melodisch mit Thema 2 verwandt ist ;chromatisch gleiten Sext- und Septimenakkordketten abwärts in spröden Bläserregistern. Ein Thema, welches nach Tschaikowsky klingt und (man gestatte die persönliche Anmutung) einen sentimental-lasziven Ton, einen larmoyanten Ton in der Manier Mahlers anschlägt. Dieses "Mischthema" nun ist Grundlage von nachfolgenden sieben Variationen, in denen Pfitzner ein bewundernswertes Verarbeitungs- und vor allem Instrumentations-Raffinement herzeigt. Var. l gibt den hohen sordinierten Streichern das Thema, begleitet von dünnen Bläserakzenten: zierlicher, rokokoähnlicher Klang a la Prokofieff. Var. ll stellt sich als virtuose Figuralvariation dar mit komplexen Doppelgriff-Figuren für die Solovioline. Var. lll, ebenfalls höchst transparent-sparsam instrumentiert, faltet das Thema 2-stimmig auseinander (die Solovioline übernimmt Melodieführung und Begleitung); Harfe, Glockenspiel und leichte Bläser-Akzente weben ein delikates Klangnetz. Von Var. lV bis Var. Vll schichtet sich das Thema 3 zu großem Klangvolumen auf, indessen findet in der Var. Vll bereits sein Abgesang statt, soll heißen: die motivische Vorbereitung des nachfolgenden langsamen Satzes. Die Nahtstelle ist die Solokadenz, welche Pfitzner nicht missbraucht zur virtuosen Selbstdarstellung des Solisten, sondern sie zur - wie Alban Berg es genannt hätte - "Verwandlungsmusik" gestaltet: aus der Kombination von 1. und 3. Thema schält sich das 2. Thema heraus, und mit eben diesem Thema bestreitet Pfitzner dann die ldylle des langsamen Satzes. Er beginnt mit kammermusikalischer Dezenz, weitet sich sukzessive zu einem groß dimensionierten Spannungsbogen und klingt in vollkommener Beruhigung aus. Der rhythmische Duktus ist der des stetigen Vorwärtsschreitens, der symphonische Duktus ist der des gelösten, intimen Dialogs. Selten ist Pfitzner ein Satz von dieser ehrlichen Schönheit gelungen, sozusagen das "Adagio-Schöne" in expressiver Vollendung. Den dritten Satz ein Scherzo zu nennen, wäre übertrieben. Pfitzner betrachtet ihn ebenfalls als eine Art Verwandlungsmusik, erinnert deutlich an das Thema 1 (= Thema 3) und findet sehr rasch zum 4. Thema, also zum Thema des Finalsatzes. Dieses Thema klingt populär, es verleiht dem Satz den Charakter einer launigen, zuweilen gestelzt-zopfig klingenden Gavotte; ein Eindruck, der sich verstärkt durch die Handhabung des Orchesters, welches häufig nach gezupfter Gitarre klingt. Der sprichwörtliche Pfitzner'sche Humor blitzt mehr als einmal durchs gut gelaunte Klangbild; gelegentliche Dialoge der Solovioline mit der Solotrompete klingen einfach komisch, und auch eine hier auffällige Mischtonalität, welche das Rondo-Thema Sozusagen "schief" stellt, atmet Freude am turbulenten Spiel. Gegen Schluss taucht noch so etwas wie eine Reprise auf , indessen hat man es hier nur zu tun mit einem ,,Zeitraffer,,-Einfall, der sämtliche Themen noch einmal kurz erinnert, gewissermaßen als Rückschau auf die bis hierher durchschrittene gedankliche Wegstrecke.
Das Bestechende dieses Konzerts liegt in der thematischen Einfallskraft, die sich bei Licht besehen als thematische Wandlungs- und Verwandlungsfähigkeit herausstellt. Es liegt weiter im solistischen Anspruch der Geige, die in guter Balance einmal virtuos exponiert, zum anderen dialogisch integriert wird. Auch liegt es in Pfitzners ausgewogenem Gespür für kammermusikalische Durchhörbarkeit und vor allem in seinem hier vollendeten instrumentatorischen Raffinement (immer wieder ist dieses Konzert auch eines für Holz- und Blechbläser). Sodann im formalen Gestaltungsinstinkt, der den neuen musikalischen Gedanken ebenso subtil einführt, wie er den vergangenen musikalischen Gedanken behutsam wieder aufgreift. Häufig klingen Stellen nach Mahler, Prokofieff oder Tschaikowsky aber sie sind dennoch keine stilistischen Anleihen, sondern haben ihre eigene Herkunft in dieser Pfitzner-spezifischen Schreibweise. So gekonnt brüchig-zerbrechlich der Klang auch tönt, so weit entfernt ist das gesamte Konzert von einer stilistischen Brüchigkeit, die man dem "Epigonen("und "Eklektiker" Hans Pfitzner oft vorgeworfen hat. Hier, im Alter von 55 Jahren, ist er auf der Höhe seiner Kunst; hier ist er wohl auch seiner Prophetie vom begnadeten Einfall am nächsten. Und wenn Wolfgang Rihm vom,,stockenden Schwung" der Musik Pfitzners spricht, dann gilt dieser Befund beim Violinkonzert nicht. lm Gegenteil: sie ist überaus reich an spielerischer Eleganz, melodischer Ausdruckskraft und orchestralem Feinschliff. Es mag daran liegen, dass Pfitzner, der seine stärksten Momente als Liederkomponist hatte, im Violinkonzert ein "singendes Instrument( exponieren und begleiten wollte. Die solistische Exposition der Geige meint stets eine führende Rolle (und Pfitzner schenkt ihr, in puncto technischer Anforderung, rein gar nichts), aber stets ist auch die Geige auf jenen feinen, behutsamen Klang bezogen, den das Orchester produziert. Daß das Violinkonzert op. 34 obendrein eine Fülle von ungeniert "schönen Stellen" hat, sollte ihm vermutlich im Konzertsaal einen nobleren Platz sichern. Verglichen mit dem rauhbeinigen Charme beispielsweise des Brahms- Konzertes hat das Pfitzner-Opus eine beinahe mediterrane Unbeschwertheit und straft - wenn auch nur für dieses Mal - das Clich6e vom düster brütenden Hans Pfitzner Lügen. Außerdem weckt es eine sympathische Erinnerung: an den 19- jährigen Studenten, der mit dem SCHERZO in c-Moll (s. o.) seine spirituelle Verwandtschaft mit einem Felix Mendelssohn kund tat. An den leichten, begabten Hans Pfitzner also.
Mit der vorliegenden Einspielung könnte ein Stück Versachlichung voran getrieben werden im Disput um Hans Pfitzner, den konservativen Nonkonformisten; denn mit dem SCHERZO von 1888 und mit dem DUO op. 43 von 1937 überblicken wir fast 50 Jahre Hans Pfitzner-Entwicklung, wobei ernsthaft zu f ragen sein wird, ob eine Entwicklung im Sinne des Begriffs stattgefunden habe. 19 Jahre ist er jung, als er - noch Student am Hoch'schen Konservatorium in Frankfurt - das SCHERZO für Orchester komponiert; der 68-jährige ist Reichskultursenator, als er 13 Jahre nach dem VIOLINKONZERT op. 34 das DUO für Violine und Violoncello mit Orchester komponiert. Jahre des Anbruchs? Jahre der Reife? Wir werden sehen. Das SCHERZO für Orchester legt Zeugnis ab davon, dass der Schüler von James Kwast und lwan Knorr die kompositorischen Handschriften seiner tonsetzenden Vorfahren peinlich genau studiert haben musste. Es handelt sich - im Tonsatz- Jargon - gesprochen um eine "saubere Arbeit"; es handelt sich um ein durch und durch traditionelles Scherzo im normativen Sinne dieses Genres, weit traditioneller noch als etwa die individuellen Anverwandlungen des Scherzo- Typs bei Chopin. Das Thema des B-Teils ist eine Bewegung, ist schierer Tanz-Gestus: leichtfüßig dahineilende Fünfton- Skalen auf- und abwärts, vom Streicherchor unisono gespielt und vom Bläserchor mit einem pendelnden Sekund- Motiv beantwortet. Aus diesem lapidaren motivischen Material ist der gesamte A-Teil gebaut, wobei auffallend ist, dass der Student Hans Pfitzner die Streicher- und die Bläserregister fein säuberlich getrennt aufmarschieren lässt; das macht den gesamten Tonsatz transparent und das orchestrale Klangbild abwechslungsreich, Mischfarben werden vermieden, ein groß besetztes Orchester hat kammermusikalische Leichtgängigkeit. 8 Takte nach Buchstabe D intoniert das Solo-Horn ein abwärtsgerichtetes Quarten-Thema; wenn man so will: als eine sangliche Qualität inmitten permanent federnder Bewegung. Dieses Thema, im A-Teil nur eine Episode, steht im Trio ("Viel ruhiger") im Mittelpunkt, wohingegen das aus dem A-Teil bekannte pendelnde Sekundmotiv nun als bloße Begleitfigur an den Rand rückt. Allgemein gesagt: Scherzo und Trio verhalten sich komplementär; dominiert im Scherzo die flüssige Bewegung, so dominiert im Trio die sangliche Linie, und zwar einfach dadurch, dass diese beiden thematisch-motivischen Qualitäten vertauscht werden. So entsteht zwischen den beiden Formteilen A und B eine enge innere Beziehung; strukturell ist B die Variante von A. Der jugendliche Hans Pfitzner weiß, wie man's macht, wenn er andererseits auch noch sehr konventionell verfährt, beispielsweise im Harmonieplan (A=c- Moll/ B=G-Dur) und beispielsweise mit einer fugierten Schreibweise, die noch stark nach scholastischer Gelehrsamkeit riecht (14 Takte nach E). Nochmals: eine "saubere Arbeit" und zugleich - wie gesagt - eine perfekte Handschriften-Kopie, in diesem Fall die Kopie der Handschrift Mendelssohns, der in fast jedem Takt um die Ecke schaut. Sommernachtstraum- Spuk. Mendelssohn-Brillanz. Scherzo-Leichtigkeit des frühen 19. Jahrhunderts. Und wenn man die Ohren spitzt, so hört man gar (T. 6 / 7 nach L) den sommernächtlichen Esel schreien. Eine Schülerarbeit? Eine Schülerarbeit. Allerdings eine mit festem Guß und mit Gespür für klangliche Delikatesse. Der spätere Pfitzner steht in Umrissen schon da, vor allem in der Selbstverständlichkeit, mit der die unterschiedlichen Charaktere von Scherzo und Trio aus ein und demselben motivisch-thematischen Grundeinfall gebaut werden. Die Kunst der variierenden Ableitung: der Student Hans Pfitzner hat davon bereits hier eine vage Vorstellung.
Er sollte sie später zu einem streitbaren Konzept ausbauen. und zwar unter dem Stichwort der "musikalischen Inspiration", der "Musikals Einfall". Heftig legte er sich zum Beispiel mit Paul Bekker an, der die Ansicht vertrat, Beethovens Leistung liege nicht so sehr in der Erfindung von Themen, sondern in der Gestaltung komplexer Formen. Pfitzner contra Bekker oder: der Metaphysiker contra den künstlerischen Rationalismus. Pfitzner, ein glühender Anhänger Schopenhauers, verwirft den kognitiven Schaffensprozeß; für ihn gilt nur die rational nicht fassbare Schaffens-Gnade:
Da aber erst, wo in der Unmeßbarkeit dessen, was einen so entzückt, der Genuss des Genießens sowohl, als der des Produzierens besteht, da, wo der eigentliche Verstand nicht kontrolliert, ja, wo beim Entstehenlassen das Bewusstsein nicht im Spiel ist: da erst fängt etwas an, Kunst im höheren Sinne zu sein. Das Charakteristische an genialen Kunstleistungen ist, dass einem das fertig Vorliegende ebenso selbstverständlich vorkommt, als es unbegreiflich bleibt, wie es entstehen konnte.
Bei Schopenhauer, in "Die Welt als Wille und Vorstellung", hatte Pfitzner gelesen:
Die Erfindung der Melodie, die Aufdeckung aller tiefsten Geheimnisse des menschlichen Wollens und Empfindens in ihr, ist das Werk des Genius, dessen Wirken hier augenscheinlicher, als irgendwo, fern von aller Reflexion und bewusster Absichtlichkeit liegt und eine Inspiration heißen könnte. Der Begriff ist hier, wie überall in der Kunst, unfruchtbar: der Komponist offenbart das innerste Wesen der Welt und spricht die tiefste Weisheit aus, in einer Sprache, die seine Vernunft nicht versteht; wie eine magnetische Somnambule Aufschlüsse gibt über Dinge, von denen sie wachend keinen Begriff hat.
Es fällt schwer, dies sowohl Hans Pfitzner als auch Arthur Schopenhauer so recht zu glauben. Das DUO für Violine und Orchester op. 43 (1937) ist eher ein Exempel für gediegene Gestaltung als eines für genialische Erfindung. Stilistisch trägt es alle Kennzeichen spätromantischer Expression, angefangen von der rhapsodischen bzw. kantablen Themen- Gestik bis hin zu einer durch und durch chromatischen Harmonik, welche freilich stets in tonalen Grenzen bleibt. Es handelt sich um ein dreisätziges kleines Konzertstück, deren Sätze - von Generalpausen unterbrochen - ineinanderfließen. Für den ersten Satz entwirft Pfitzner ein vorhaltbeiontes, vorwärtsdrängendes dunkles Thema, dessen klagender Ton den Anfang des Satzes bestimmt. Ein zweites Thema (ab Ziffer 9) hat einen kurzen Auftritt: eine pochende, sich aufwärts schwingende Dreiklangsfigur. Sodann ein drittes Thema: rhythmisch dem ersten ähnlich, mit pendelndem singendem Fluss. Pfitzner gelangt gegen Ende zwar zu einer verkürzten Reprise, dennoch entsteht keine dialogisch-diskursive Form, sondern eher eine Folge von Episoden, in denen sich jeweils neue thematische Gedanken unter die bereits bekannten mischen. So bilden sich weiche Übergänge und stete Gedankenflüsse, keinesfalls aber schroffe Gegensätze oder dialektische Spannungen. Ähnlich der musikalische Grundeinfall des langsamen Satzes; auch hier begegnen wir einem schlichten Liedmaterial, während im dritten Satz, den man von fern für ein flüssiges, ein bisschen nach Weihnachten duftendes Siciliano halten könnte, sich noch einmal der rhapsodische Duktus des ersten Satzes behauptet. Prüft man das thematische Material gründlicher, so hat es weder die prosaische Unendlichkeit der Wagner'schen Melodie, noch hat es das rhythmische Raffinement Schumann'scher Themenbildung. Es ist auf einem handwerklich hohen Niveau gebildet, zuweilen nach=gebildet. Der Eindruck handwerklicher Solidität verstärkt sich im Blick auf das Satzbild: Pfitzner zeigt sich einerseits als ein Meister der imitierenden Fortspinnung, andererseits als Meister der überblendenden Übergänge. Das atmet in der Tat wenig Inspiration, eher die von Brahms übernommene Verfahrensweise einer permanentem Durchführung. Eine Vermutung, die sich mehr und mehr dadurch bestätigt, dass jegliches thematisch-motivisches Material voneinander abgeleitet ist, sei's durch motivische Vorbereitung, sei's durch variierende Ableitung. Und nicht einmal das Verhältnis von Sologeige bzw. Solocello zum Orchester wäre revolutionär zu nennen: das Orchester bescheidet sich, bis auf wenige Momente, in der Rolle eines Begleiters, man sollte sagen: in der Rolle einer klang- und stimmungsbildenden Kulisse, vor der sich das imitierende Spiel der Themen entwickelt; ein Spiel, das mehr als einmal bestimmt ist vom kontrapunktischen Verhältnis der Themen zu- und untereinander. lnsofern trägt dieses Konzertstück, aller romantischen Rhetorik zum Trotz, die Attitüde von Gelehrsamkeit, zuweilen von Akademismus bar jenes jugendlichen Schwunges, den das SCHERZO noch beflügelt hatte. Der 68-jährige Hans Pfitzner schreibt gekonnt, satztechnisch elegant, harmonisch subtil; indessen hat man durchaus die Gewissheit, dass hier - im Gegensatz zu Pfitzners pathetischer Inspirations-Rede - der "eigentliche Verstand" in einem hohen Maße 'kontrolliert" ist. Das mag wohl im Sinne einer Altersreife sein, nicht aber im Sinne der Schopenhauer'schen Somnambulen, die von den Dingen 'wachend keinen Begriff hat". Und so entsteht der Eindruck, als habe Pfitzner, indem er ständig die Kraft des Einfalls beschwor, mit eben diesem Einfall seine Probleme dergestalt, dass er auf der Ebene von Kunstfertigkeit zu kompensieren versuchte, was ihm auf der Ebene von unbewusster Genialität im erhofften Maße nicht zu Gebote stand. Denn wer von dieser unbewussten, dem kontrollierenden Verstand entzogenen Genialität permanent, wie Pfitzner, redet, der befindet sich in der misslichen Situation, dass er diese Unschuld bereits verloren hat, noch bevor er sie besaß. Das DUO für Violine und Klavier nebst kleinem Orchester ist ein klingendes Dokument für diesen unversöhnlichen Widerspruch in der Person Pfitzners insofern, als gerade das Wohlgeformte, das Glatte und das satztechnisch Gelungene als das Ergebnis rationaler Anstrengung Pfitzners Ideal besonders gründlich verfehlt. Als ein solches Dokument hat es dann seinen Rang eigener Art.
lm KONZERT für Violine h-Moll mit Orchester op. 34 tritt uns allerdings ein gänzlich anderer Hans Pfitzner entgegen, und der Rang dieses Konzerts geht weit über den eines persönlichen Dokuments hinaus. Das Werk ist einsätzig, ist dennoch in verkappter Viersätzigkeit gestaltet. In Stil, Formfügung, Soloinstrument- und Orchesterbehandlung sowie in der gesamten thematischen Dramaturgie ist Pfitzner in der Tat eine inspirative Glanzleistung gelungen, die wirklich genialische Züge trägt und dieses Konzert (zu Unrecht in den Schatten geraten) zu einem der interessantesten seiner Gattung macht. Pfitzner zeigt sich hier als ein eminent konzentrierter und ökonomischer Dramatiker. Das Konzert ist ein Solokonzert im traditionellen Sinne und gibt der Geige, was der Geige ist. Andererseits trägt es unverkennbar die krisenhaften symphonischen Entwicklungszüge in der Nachfolge von Mahler und in der Nachbarschaft zu Prokofieff. Die Einsätzigkeit hat Gründe, die in der integralen thematischen Arbeit Pfitzners liegen:
Der Kopfsatz exponiert ein pathetisch punktiertes Thema, dessen unmittelbare Fortspinnung den emotional bewegten Gestus dieses ersten Gedankens herstellt; das Orchester sekundiert mit tremolierender Erregung. Mit dem zweiten Thema, statt h-Moll nun Des- Dur, richtet Pfitzner im Sinne einer klassischromantischen Exposition den kontrastreichen Widerspruch ein: der Themengestus ist sanglich, ruhig und mit einer vokalen Weitschweifigkeit, die den Tonraum nahezu extrem auskostet. Die Ruhe indessen ist brüchig, denn das Orchester erhebt mit rastloser Bewegung Einspruch. Die Einmündung ins Thema 1 hat Methode: Pfitzner bereitet ein drittes Thema vor, welches rhythmisch mit Thema 1 und melodisch mit Thema 2 verwandt ist ;chromatisch gleiten Sext- und Septimenakkordketten abwärts in spröden Bläserregistern. Ein Thema, welches nach Tschaikowsky klingt und (man gestatte die persönliche Anmutung) einen sentimental-lasziven Ton, einen larmoyanten Ton in der Manier Mahlers anschlägt. Dieses "Mischthema" nun ist Grundlage von nachfolgenden sieben Variationen, in denen Pfitzner ein bewundernswertes Verarbeitungs- und vor allem Instrumentations-Raffinement herzeigt. Var. l gibt den hohen sordinierten Streichern das Thema, begleitet von dünnen Bläserakzenten: zierlicher, rokokoähnlicher Klang a la Prokofieff. Var. ll stellt sich als virtuose Figuralvariation dar mit komplexen Doppelgriff-Figuren für die Solovioline. Var. lll, ebenfalls höchst transparent-sparsam instrumentiert, faltet das Thema 2-stimmig auseinander (die Solovioline übernimmt Melodieführung und Begleitung); Harfe, Glockenspiel und leichte Bläser-Akzente weben ein delikates Klangnetz. Von Var. lV bis Var. Vll schichtet sich das Thema 3 zu großem Klangvolumen auf, indessen findet in der Var. Vll bereits sein Abgesang statt, soll heißen: die motivische Vorbereitung des nachfolgenden langsamen Satzes. Die Nahtstelle ist die Solokadenz, welche Pfitzner nicht missbraucht zur virtuosen Selbstdarstellung des Solisten, sondern sie zur - wie Alban Berg es genannt hätte - "Verwandlungsmusik" gestaltet: aus der Kombination von 1. und 3. Thema schält sich das 2. Thema heraus, und mit eben diesem Thema bestreitet Pfitzner dann die ldylle des langsamen Satzes. Er beginnt mit kammermusikalischer Dezenz, weitet sich sukzessive zu einem groß dimensionierten Spannungsbogen und klingt in vollkommener Beruhigung aus. Der rhythmische Duktus ist der des stetigen Vorwärtsschreitens, der symphonische Duktus ist der des gelösten, intimen Dialogs. Selten ist Pfitzner ein Satz von dieser ehrlichen Schönheit gelungen, sozusagen das "Adagio-Schöne" in expressiver Vollendung. Den dritten Satz ein Scherzo zu nennen, wäre übertrieben. Pfitzner betrachtet ihn ebenfalls als eine Art Verwandlungsmusik, erinnert deutlich an das Thema 1 (= Thema 3) und findet sehr rasch zum 4. Thema, also zum Thema des Finalsatzes. Dieses Thema klingt populär, es verleiht dem Satz den Charakter einer launigen, zuweilen gestelzt-zopfig klingenden Gavotte; ein Eindruck, der sich verstärkt durch die Handhabung des Orchesters, welches häufig nach gezupfter Gitarre klingt. Der sprichwörtliche Pfitzner'sche Humor blitzt mehr als einmal durchs gut gelaunte Klangbild; gelegentliche Dialoge der Solovioline mit der Solotrompete klingen einfach komisch, und auch eine hier auffällige Mischtonalität, welche das Rondo-Thema Sozusagen "schief" stellt, atmet Freude am turbulenten Spiel. Gegen Schluss taucht noch so etwas wie eine Reprise auf , indessen hat man es hier nur zu tun mit einem ,,Zeitraffer,,-Einfall, der sämtliche Themen noch einmal kurz erinnert, gewissermaßen als Rückschau auf die bis hierher durchschrittene gedankliche Wegstrecke.
Das Bestechende dieses Konzerts liegt in der thematischen Einfallskraft, die sich bei Licht besehen als thematische Wandlungs- und Verwandlungsfähigkeit herausstellt. Es liegt weiter im solistischen Anspruch der Geige, die in guter Balance einmal virtuos exponiert, zum anderen dialogisch integriert wird. Auch liegt es in Pfitzners ausgewogenem Gespür für kammermusikalische Durchhörbarkeit und vor allem in seinem hier vollendeten instrumentatorischen Raffinement (immer wieder ist dieses Konzert auch eines für Holz- und Blechbläser). Sodann im formalen Gestaltungsinstinkt, der den neuen musikalischen Gedanken ebenso subtil einführt, wie er den vergangenen musikalischen Gedanken behutsam wieder aufgreift. Häufig klingen Stellen nach Mahler, Prokofieff oder Tschaikowsky aber sie sind dennoch keine stilistischen Anleihen, sondern haben ihre eigene Herkunft in dieser Pfitzner-spezifischen Schreibweise. So gekonnt brüchig-zerbrechlich der Klang auch tönt, so weit entfernt ist das gesamte Konzert von einer stilistischen Brüchigkeit, die man dem "Epigonen("und "Eklektiker" Hans Pfitzner oft vorgeworfen hat. Hier, im Alter von 55 Jahren, ist er auf der Höhe seiner Kunst; hier ist er wohl auch seiner Prophetie vom begnadeten Einfall am nächsten. Und wenn Wolfgang Rihm vom,,stockenden Schwung" der Musik Pfitzners spricht, dann gilt dieser Befund beim Violinkonzert nicht. lm Gegenteil: sie ist überaus reich an spielerischer Eleganz, melodischer Ausdruckskraft und orchestralem Feinschliff. Es mag daran liegen, dass Pfitzner, der seine stärksten Momente als Liederkomponist hatte, im Violinkonzert ein "singendes Instrument( exponieren und begleiten wollte. Die solistische Exposition der Geige meint stets eine führende Rolle (und Pfitzner schenkt ihr, in puncto technischer Anforderung, rein gar nichts), aber stets ist auch die Geige auf jenen feinen, behutsamen Klang bezogen, den das Orchester produziert. Daß das Violinkonzert op. 34 obendrein eine Fülle von ungeniert "schönen Stellen" hat, sollte ihm vermutlich im Konzertsaal einen nobleren Platz sichern. Verglichen mit dem rauhbeinigen Charme beispielsweise des Brahms- Konzertes hat das Pfitzner-Opus eine beinahe mediterrane Unbeschwertheit und straft - wenn auch nur für dieses Mal - das Clich6e vom düster brütenden Hans Pfitzner Lügen. Außerdem weckt es eine sympathische Erinnerung: an den 19- jährigen Studenten, der mit dem SCHERZO in c-Moll (s. o.) seine spirituelle Verwandtschaft mit einem Felix Mendelssohn kund tat. An den leichten, begabten Hans Pfitzner also.
Rezensionen
H.K.Jungheinrich in "Frankfurter Rundschau" v.27.4.91:"Die ausgedehnte Schauspielmusik zu Ibsens "Fest auf Solhaug" und vor allem das Orchesterscherzo von 1888 stehen für die feu- ge Genialität und die frappierende frühe Meisterschaft des noch ganz jungen Pfitzner ein...Zu den besten Pfitznerwerken überhaupt gehört das Violinkonzert von 1924,das formal voll eigenwilliger Vertracktheiten steckt und an dramatischer Energie und lyrischer Beredt- heit seinesgleichen sucht.Den wenigen Kon- kurrenzaufnahmen ist die souveräne Darstellung durch Saschko Gawriloff mühelos überlegen. Atemberaubend der vielfache Wechsel zwischen nachtwandlerischen Kantilenen und heikler Passagenarbeit.Das Violinkonzert erscheint gleichsam als formvollendetes,individuiertes Tondrama wie als bestürzendes Dokument psy- chischer Zerrissenheit."- Tracklisting
- Details
- Mitwirkende
Disk 1 von 1 (CD)
Konzert für Violine und Orchester h-moll op. 34
- 1 1. Lebhaft, energisch
- 2 2. Langsam, sehr getragen
- 3 3. Das Zeitmaß des Anfangs, etwas gemächlicher, freier
Duo für Violine, Violoncello und Orchester op. 43
- 4 1. Allegro moderato
- 5 2. Moderato
- 6 3. Rondo - Ganze Takte
- 7 Scherzo (für Orchester)