Über die CD „Helmut Deutsch spielt Mozart“
Er pries die Orgel als „Königin der Instrumente“ und begeisterte die Musikwelt auf ihr schon früh als virtuoser Improvisator. Berühmt wurde er jedoch als komponierendes Wunderkind am Klavier. Er schuf Kompositionen für die Ewigkeit in nahezu allen zu seiner Zeit üblichen Gattungen und Formen. Doch für die von ihm so bewunderte Kirchenorgel hinterließ er der Nachwelt bis zu seinem frühen Tod keine einzige „Originalkomposition“.
Die Rede ist von Wolfgang Amadeus Mozart und der soeben dargestellte scheinbare Widerspruch ist wohl schlicht der Tatsache geschuldet, dass man mit reinen „Orgelsachen“ seinerzeit kaum Geld verdienen konnte. Die profane Seite der Musikausübung war damals bereits sehr stark in den Mittelpunkt des Musikgeschehens gerückt, Orgelkonzerte im heutige Sinne gab es nicht, auch in den Konzertsälen waren noch keine Orgeln vorhanden. Mozart konnte es sich also, so nimmt man heute an, einfach nicht leisten, Orgelwerke zu komponieren – fast alle seine bekannten Kompositionen waren mehr oder weniger gut bezahlte Auftragsarbeiten.
Glücklicherweise gibt es aber viele Möglichkeiten, Mozarts Musik auch auf der Orgel darzustellen und dabei nahezu alle Facetten seiner Kompositionskunst abzubilden. Dazu zählen zunächst drei, vermutlich aus einer Auftragsnot heraus geschriebene, Stücke für eine sogenannte „Orgelwalze in einer Uhr“, eine zu seiner Zeit durchaus verbreitete, selbstspielende Miniaturorgel. Und wie bei anderen Komponisten aller Epochen auch, lässt sich eine große Zahl weiterer Kompositionen Mozarts, zumindest in Teilen, hervorragend für das Spiel auf der Orgel einrichten.
Helmut Deutsch, international renommierter Orgelvirtuose, erster Preisträger bei mehreren nationalen und internationalen Wettbewerben und Professor für Orgel an der Staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst Stuttgart, ist es mit seiner CD-Einspielung „Mozart“ beim Label Gallo auf bewundernswerte Weise gelungen, einen repräsentativen Querschnitt des Mozartschen Kompositions-Kosmos auf der Orgel darzustellen bzw. für sie zu erschließen. Bemerkenswert ist vor allem, dass wir hier einen in mancherlei Hinsicht unbekannten Mozart kennenlernen. Denn viele der auf dieser CD erklingenden Stücke haben wenig gemein mit der uns vertrauten Melodie- und Stimmführung sowie Satztechnik Mozartscher Kompositionen, erscheinen inspiriert vom Geist der von seinen Zeitgenossen so gerühmten Improvisationskunst Mozarts an der Orgel.
So kann man sicherlich die Ouvertüre in C-Dur (KV 399, aus dem ersten Satz einer nicht vollendeten Klaviersuite), die Choralbearbeitung „Der welcher wandert diese Straße voll Beschwerden“ (KV 622, aus der „Zauberflöte“, von Helmut Deutsch kongenial für die Orgel arrangiert) und beispielhaft auch die Fuge c-moll (KV 401) durchaus als „neo-barocke“ Meisterwerke im Sinne einer „Verbeugung“ vor den von Mozart durchaus verehrten Großmeistern Bach und Händel deuten. Aber schon diese Remineszenzen durchweht ein eigenartiger, bis dahin ungeahnter „Freigeist“ in Melodieentfaltung und überraschenden harmonischen Rückungen. Ein Johann Sebastian Bach hätte seine helle Freude daran gehabt!
Das alles gilt erst recht für die bereits erwähnten Kompositionen für eine „Orgelwalze“, die, speziell in der Fantasie f-moll (KV 608), durch teils hochvirtuose Passagen den Interpreten noch verstärkt herausfordern. Geradezu visionär, in ihrer faszinierenden Harmonik und Rhythmik bereits an die Wiener Schule zu Beginn es 20. Jahrhunderts erinnernd, erscheint „Eine kleine Gigue“ (KV 574), die - in nicht viel mehr als einer Minute! – fast wie gespenstisch am Hörer vorbeizieht.
Diese ganze großartige Musik wird von Helmut Deutsch in einer Art und Weise dargeboten, dass man das Gefühl hat, genau so sollte Mozart auf der Orgel gespielt werden: einfühlsam, ausgewogen in Tempi und Agogik, brilliant und technisch glänzend, wo es denn – und da gibt es nicht wenige Stellen – angemessen und erforderlich ist. Zu diesem Eindruck trägt nicht zuletzt die farbige, facettenreiche Registrierkunst des Interpreten maßgeblich bei. Hierfür steht ihm das – sicherlich sorgfältig für diese Einspielung ausgewählte – Felsberg-Instrument in Notre Dame Saint-Vincent in Lyon zur Verfügung, eine zweimanualige Orgel mit leuchtendem Plenum, wundervollen Einzelstimmen und einer ausgesprochen Besonderheit im Pedal: einem 32-Fuß Dulzian, der dem Bassfundament sonor-gravitätische Fülle und Kraft verleiht.
Nicht unerwähnt bleiben soll schließlich ein optisch und inhaltlich perfekt aufgemachtes Booklet, in welchem der Genius Mozart und seine Beziehung zur „Königin der Instrumente“ im historischen Gesamtkontext, vielfach belegt durch Zitate und Berichte von Zeitgenossen, eingeordnet wird. Aber auch jedes einzelne Stück auf der CD wird dort ausführlich beleuchtet - in besonders „authentischer“ Weise möchte man in diesem Fall sagen, denn der gesamte Text stammt aus der Feder des Interpreten selbst.
Mein Fazit für die CD „Mozart“ mit Kompositionen des großen Komponisten, interpretiert auf der Orgel von Helmut Deutsch: Sehr empfehlenswert - besonders auch dann, wenn man der Meinung ist, Mozart bereits gut zu kennen!
Dr. Franz Killmann, Ennigerloh