Abweichende aber sehr schöne Fassung
Ich persönlich ziehe mir diese Aufnahme aus dem Jahre 1957 der neuen mit Claus Peter Flor vor. Wenngleich die neue Aufnahme sich deutlich strenger an der Klavierauszug hält, so trifft meiner Meinung nach die alte den Kálmán-Ton sehr viel besser. Auch die sängerischen Leistungen sind hier deutlich hochwertiger, nicht zuletzt durch Rudolph Christ, der in dieser Doppel-CD durch einen zusätzlich beiliegenden Zettel besonders gewürdigt wird. Der Inhalt der Operette wird im Mini-Booklet (Faltblatt) erklärt, paßt aber nicht ganz zur Aufnahme, da hier im Gegensatz zum Klavierauszug viele Änderungen vorgenommen wurden, die aber –wie ich finde- dem ganzen gut tun! Ich weiß nicht inwieweit die Änderungen dieser Fassung mit dem Meister abgesprochen worden sind oder ob es sogar eine frühere Fassung ist; die Aufnahme ist ja von 1957, da war Kálmán bereits vier Jahre tot. Es war ja durchaus üblich, Nummern zu vertauschen, selbst die Nummern anderen Protagonisten zu geben; aber hier wird doch noch einiges mehr anders gemacht, wie gesagt: überhaupt nicht zum Schaden der Musik und der Story, nein: im Gegenteil.
Ich will für die Käufer dieser Fassung auch hier eine kleine Inhaltsübersicht geben und den Vergleich mit dem Klavierauszug darstellen (Nr. = Nummer im Klavierauszug, Track = Platz auf der CD):
Die Ouvertüre wird angespielt, dann aber folgen Vorwegnahmen einiger Nummern aus der Operette. Ein Sprecher führt in die Handlung ein. Auch der Name des Ortes Lörincfalva wird nicht genannt; hier heißt es „Ort: irgendwo“. Die erste Szene beginnt mit dem Kinderorchester (Track 2, Klavierauszug Nr.1).
Die gesamte Unterhaltung des Rácz Pali (der hier übrigens nicht Ratz ausgesprochen wird, so wie in der neuen Aufnahme und wie Kálmán selber ihn auch ausspricht, sondern Ratsch, was viel weicher klingt) mit den Geigen-Schülern seines Sohnes, der hier Joczi (auch viel weicher klingend hier gesprochen Jodschi) und nicht Laczi (gesprochen Latzi) heißt, wird übersprungen. Am Ende von Track 3, der die Unterhaltung oder besser den Streit zwischen Vater und Sohn, sowie das Gespräch zwischen Vater und Tochter (Sári) in Prosa-Gestalt bringt, erklingt das Melodram (Nr.2) „Weit ist es mit mir gekommen“, welches überleitet zum „Vor paar Jahren noch ein König“ (Track 4) und dem Walzer „Ach wie ändert sich die Zeit“. Dieses erklingt ohne Wiederholung, und am Ende erscheint Juliska. Es folgt die Unterhaltung Rácz Pali-Juliska.
Sehr einfühlsam bringen Sári, Juliska und Kinderchor/-solisten im Wechselgesang das Schlaflied für die Kinder „Auf dem gold’nen Throne“ (Nr.3, im Klavierauszug nur Sári mit Kinderchor, Track 4, drei Verse plus ein Orchestervers). In Track 5 kommt der Besuch an, Gaston Irini tritt auf, der gleich ins Fettnäpfchen tritt. Track 6 bringt eine kurze Wiederholung von Nr2., diesmal als Duett (Rázc Pali-Gaston). Das Melodram Nr.3a fehlt ebenso wie das Duett Juliska-Joczi Nr.4 „Laut dringt der fromme Chor“ mit dem berühmten Walzer „Du, du, du, lieber Gott schaust zu“! Dieser Walzer erklingt aber völlig anders als im Klavierauszug als „War einmal“ (Track 7), gesungen vom Rácz Pali „… hilft kein Traurigsein, darum füg dich drein“, was erstaunlich gut auf diese Melodie paßt! Track 8 beginnt mit Klaviermusik (Walzer aus Nr.8) und den Gesprächen Joczi-Juliska und Juliska-Sári mit Klavier im Hintergrund. Rácz führt die Gäste rund. Alle Dialoge im übrigen hervorragend „gespielt“. „Kann man denn mit der nicht reden“, fragt Gaston im Duett mit Sári. Dieses ist die berühmte nachkomponierte Nummer „Hazaza“, die Kálmán für die Diva Sári Fedak anstelle der Nr.5 im Klavierauszug komponierte. Hier erklingt ein Vers (mit scheint’s abgewandeltem Text) und Orchersternachspiel (Track 9). Track 11 bringt die Musik aus Finale I, wo Laczi (hier Joszi) das Vaterhaus verläßt („Nun denn ich geh’“), allerdings nur instrumental, denn dieser Handlungsstrang fehlt in dieser Aufnahme, so daß auch nicht Sári und Juliska von Cadeau (Gastons Diener) nach Paris nachgeholt werden, sonder Sári mit ihrem Bruder Joczi mit der Bahn hinterherreisen. Und so erklingt hier nicht das Finale I des Klavierauszugs, sondern schone das „Dritte Klasse Eisenbahn“-Lied, wie gesagt hier von Sári und Joczi gesungen. Dieses Lied findet sich im Klavierauszug mit anderem Text und ist dort die Nr.8 („Ich armes Mädel aus dem Ungarnland“; die neue Aufnahme bringt es aber auch als Eisenbahn-Lied allerdings mit Sári, Juliska und Cadeau). Wir legen CD 2 ein.
Entr’act, Nr. 6 ½ erklingt nicht. Stattdessem spielt zu Beginn eine Comtesse dilettantisch auf dem Klavier. Sie soll den Grafen Irini heiraten. Die Großmama wird hier von Lina Carstens gesprochen. Graf Estragon fehlt in dieser Aufnahme ganz, und so fehlt Nr.7 ebenso. Die geänderte Handlung ist allerdings in sich sehr stimmig! Sári und Joczi kommen in Paris an. Die einfachen Leute aus Ungarn treffen auf die Pariser vornehme Gesellschaft. In Track 3 wiederholt Sári das Eisenbahn-Lied (Musik von Nr.8). In Track 4 spielt wieder die Comtesse Klavier. Diese Figur scheint im Original gar nicht vorgesehen (spricht aber auch hier nicht). Anders als im Original soll der Rácz hier nicht für Estragon (der ja nun ganz ausgespart wurde) spielen, sondern für die Großmama Gastons zum Geburtstag, die, wie sich herausstellt, Rácz Palis alte große Liebe ist. Track 5 bringt das Stradivari-Lied Nr.9 teils melodramatisch vorgetragen. Besser als im Klavierauszug und in der neuen Aufnahme singt Rácz hier statt „Mein ALTER Stradivari“ schöner passend „Mei ALTE Stradivari“ (die Geige ist ja auch weiblich! Biograph Oesterreicher schreibt in seinem Buch sogar „Die alte Stradivari“*!). Erich Kunz trägt dieses Lied äußerst glaubwürdig vor. Zum Orchesternachspiel und zu Motiven aus Nr.2 werden die Liebesbande prosaisch neu geregelt (Juliska-Joczi, die in dieser Aufnahme im ersten Akt noch kein Duett gesungen haben, vgl. oben zu Nr.4 „Du, du, du“). Joczi erscheint, der hier nicht wie im Klavierauszug schon als Kapellmeister des Orchesters engagiert ist. Äußerst ergreifend erklingt nach klärendem Gespräch zwischen Juliska und Joczi (Track 6) der rührende Walzer „Lang, lang währt der Sommer nicht“ aus Nr.10. Daß Juliska sich inzwischen mit dem Rácz verlobt hat, kommt in dieser Fassung nicht vor. Rudolf Christ überzeugt hier als „Holzklotz“ Joczi im Wechsel mit Juliska Liselotte Schmidt.
Nachdem Track 7 die Liebesangelegenheit Sári-Gaston neckisch zum Guten wendet, bringt Track 8 den bekannten Walzer „Endlich, endlich hab’ ich dich – O komm mit mir, ich tanz mit dir in’s Himmelreich hinein“ (Nr.12). Das Finale stellt dann anders als im Klavierauszug die Großmama Gräfin Irini in den Vordergrund, die alles zum Besten regelt (Tack 9 „Eine feine Geburtstagsfeier“, Prosa). Inwieweit hier das Buch im Nachhinein in Teilen neu geschrieben wurde oder es sich um eine frühere Fassung handelt, weiß ich nicht zu beurteilen. Die Konkurrenz zwischen Vater und Sohn als Geiger auf dem Fest (und damit lange Violin-Solo-Passagen) wird völlig ausgespart. Track 10 bringt den schönen Walzer „Geh nicht fort“ mit Gaston und Sári. Ich finde ihn im Klavierauszug nicht. Finale II fehlt ganz, ebenso Entr’akt, Nr.13 ½. Der Walzer aus Nr.12 leitet in dieser Aufnahme Akt III ein, und es folgt das Zwiegespräch und das Wiedererkennen von Rácz Pali und der Gräfin Irini (Track 12). Hier wird der Klavierauszug im Prinzip verlassen, und es folgt eine Wiederholung von Nr.2 (Rácz mit „Ach wie ändert sich die Zeit“, hier der zweite Vers), wiewohl dieses Lied in Nr.16 (Klavierauszug) durchaus auch nochmal anklingt. In der Aufnahme folgt hier dann nochmals Nr.10 („Lang, lang währt der Sommer nicht“), welches sich im Klavierauszug am Ende des III. Aktes nicht wiederfindet. Schließlich wird „Endlich, endlich hab’ ich dich“ (Nr.12) wiederholt, das steht auch am Ende des Klavierauszuges. Auf der CD folgt dann nochmals das Stradivari-Lied (Nr. 9), welches im Klavierauszug schon im Finale II wieder aufgenommen wird. Während das Orcherster dieses Lied wiederholt, hören wir wieder den Sprecher, der uns zu Anfang in das Geschehen eingeführt hat, und er bringt einige philosophische Gedanken über das eben Erlebte. Als Abschluß erklingt nicht wie vorgesehen das Ende des Walzers Nr.12 sondern –wie ich finde sehr passend zur gehörten Fassung – der zweite Teil der Ouvertüre!
Fazit: Eine sehr gut gemachte und kurzweilige Fassung des Werkes. Etliche Passagen (zumal die großen Finali) fehlen zwar, ebenso einige Figuren, aber das tut dem Hörgenuß keinen Abbruch, strafft die Handlung und macht das ganze sehr kurzweilig und unterhaltsam. Die Musik Kálmáns kommt erstklassig herüber. Musiziert, gesungen und gesprochen wird auf höchstem Niveau. Nur wer unbedingt eine dem Klavierauszug nähere Fassung hören möchte, sollte nach anderen Aufnahmen schauen; ansonsten kann ich diese hier sehr empfehlen!
* Rudolf Oesterreicher, Emmerich Kálmán, Der Weg eines Komponisten, Wien, 1954, S. 104.