ein weiterer Schritt in der Rezeption von Hans Rosbauds Bruckner
Von Hans Rosbaud wurden die letzten Jahre einige Schallplattenproduktionen und Rundfunkmitschnitte veröffentlicht - mit dem RSO Köln (WDR), aus Berlin und manche seine Aufführungen mit den SFW S.O. Baden-Baden (vorneweg bei „Hänssler“ und „ica“, aber auch „Archipel“ und beim semiprofessionellen, aber gute Quellen nutzenden französischen Labels „forgotten records“).
Bei all diesen erfreulichen Aktivitäten: erst ein kleines Tor ist geöffnet. Allein mit dem SWF Orchester gäbe es eine Unzahl an großartigen Rundfunkproduktionen - z.B. einige Haydn Sinfonien und ein ganzer Brahms Sinfonien Zyklus).
Bezüglich Bruckner mussten die Hörer lange auf ordentliche Veröffentlichungen warten, als Zusammenstellung im Grunde bis zu dieser Box hier. Die Zweite war noch gar nicht auf den CD-Markt und die Fünfte noch nicht gut klingend veröffentlicht. Die Achte gab es - „fassungslos“ machend! - in einer von Urania um 10 Minuten gekürzten (warum nur???) Ausgabe. Die Siebte gab es als sehr gute Stereo-Ausgabe (die Einspielung ist original in Stereo aufgenommen!) von Zyx, welche der hier vorliegenden (dennoch guten) vorhandene Mono-Ausgabe vorzuziehen ist.
Es gibt beim SWR aber auch Aufzeichnungen der Dritten, Vierten, Sechsten und anscheinend auch Neunten, welche nicht in dieser Box enthalten sind. Insofern ist es zu hoffen, dass z.B. Hänssler mal eine Bruckner-Box mit allen Einspielungen Hans Rosbauds veröffentlicht, abgenommen von den originalen Rundfunkbändern …
Hier eine Zusammenstellung:
ROSBAUD DIRIGERT BRUCKNER - MIR BEKANNTE ERHALTENE TONDUKUMENTE
Hier sind die Fassungen mit den Aufnahmedaten:
Sinfonie Nr. 2 c-moll WAB 102 (Haas-Fassung 1938: Grundlage 1877-Fass. mit Teilen der 1872-Fass.)
H. Rosbaud / SWF S.O. (Andromeda / 10+13.12.1956 Baden-Baden)
Sinfonie Nr. 3 d-moll WAB 103 (Fassung 1889 <1888/89>, Ed.: L.Nowak 1959)
H. Rosbaud / SWF S.O. (Arkadia - SWF / 17.12.1960)
Sinfonie Nr. 4 Es-Dur „Romantische“ WAB 104 (1881 <1878/80>, Ed.: R.Haas 1936)
H. Rosbaud / SWF S.O. (World Music Express / 20.5.1961)
Sinfonie Nr. 5 B-Dur WAB 105 (Fassung 1878, Ed.: L.Nowak 1951 fast identisch mit Haas-Ausgabe)
H. Rosbaud / SWF S.O. (Andromeda / 21.10.1953 Baden-Baden)
Sinfonie Nr. 6 A-Dur WAB 106 (Fassung 1881, Ed.: Hass oder Nowak?)
H. Rosbaud / SWF S.O. (Rundfunk / 1961)
Sinfonie Nr. 7 E-Dur WAB 107 (Originalfassung 1885, Ed.: R.Haas 1944)
H. Rosbaud / SWF-Orchester Baden-Baden (Andromeda / 27+30.12.1957 Loffenau)
Sinfonie Nr. 8 c-moll WAB 108 (Mischfassung 1887/90, Ed.: R.Haas 1939)
H. Rosbaud / SWF S.O. (Andromeda / 17.11.1955 Baden-Baden)
Sinfonie Nr. 9 d-moll WAB 109 (Fassung ?)
H. Rosbaud / SWF S.O. (diese existierende Aufnahme ist mir nicht bekannt)
HANS ROSBAUD DIRIGIERT BRUCKNER
Hans Rosbaud ist als Dirigent allem „Absichtsvollen“ abhold. Das schlägt sich auch in den verwendeten Tempi nieder, die tendenziell eher moderat sind. Die Achte ist mit 72:30 min auf der schnelleren Seite, die Siebte (63 min) und die Fünfte (fast 76 min) in der Wahl der Tempi moderat und die Zweite mit über 60 min Spielzeit deutlich bei den breiteren Lesarten. Ähnlich wie bei Eduard van Beinum entsteht auch bei Rosbaud im Zügigen nirgends das Gefühl von Hetze oder Unverständnis bezüglich der Proportionen der Musik.
Der österreichische Dirigent, der sich so sehr für die neue Musik eingesetzt hat, findet zu Bruckner einen scheinbar ganz natürlichen Zugang. Die sublimierten Ländler liegen ihm genauso wie das Meditative oder Visionäre. Die Vorstellung über die Aussage des Werks ist ganz klar und manchmal sehr berührend, z.B. am Ende des Adagios der Zweiten, wo der Anfang des Satzes wieder erscheint.
Natürlich gibt es Augenblicke, bei denen man die Grenzen des Rundfunkorchesters spüren kann, aber für Rosbaud spielt das SWF S.O. immer überzeugend, mit ganzem Einsatz und großer Liebe zur Musik.
AUFNAHMETECHNIK MASTERINGS UND EDITORISCHES
Das 24Bit/96KHZ-Remastering von Archipel ist durchaus akzeptabel bis gut gelungen. Der Klang der Aufnahmen ist erstaunlich wenig unterschiedlich (1953-57), was doch auf eine deutliche klangliche Bearbeitung der Quellen schließen lässt.
Die 2te, 5te und 8te sind Rundfunkproduktionen des SWF, die 7te eine Schallplattenproduktion des Labels Vox. Der Klang ist monaural (wie gesagt – die Siebte ist eigentlich in Stereo produziert).
Überall ist ein durchsichtiges Klangbild mit etwas (nicht störendem) Bandrauschen zu hören, im Frequenzgang eingeschränkt, aber ausgeglichen (z.B. kein Dröhnen von Pauken) und in guter Orchesterbalance. Die Rundfunkaufnahmen klingen ein wenig „eingesperrt“ und flach, aber nach ein zwei Minuten hat man sich ganz eingehört.
Meiner Erfahrung nach würde aber eine autorisierte VÖ unter Verwendung der Originalbänder (falls noch vorhanden?) nochmal eine deutliche Verbesserung des Klangs bewirken. Angesichts der eher zügigen Spielzeiten ist keine der vier Sinfonien auf zwei CDs verteilt ist. Hänssler könnte einen "Fast-Zyklus" als 8-CD-Box „Rosbaud dirigiert Bruckner“ herausgeben …
Die Jewelcase-Box ist in der schlichten Schwarzweiß-Aufmachung typisch für das Label Andromeda. Es gibt keine Text, aber ein Faltblatt mit Tracks, Spielzeiten der Sätze und Datum und Ort der Aufnahmen.
FAZIT
Die Andromeda 4 CD-Box ist zumindest ein weiterer Schritt zur Rezeption der des Dirigenten Hans Rosbaud, der ein ganz natürliches Gespür für Bruckner hatte. Schon Angesichts der herausragenden künstlerischen Qualität und des Preises von weit unter 20 Euro auf jeden Fall empfehlenswert. Den fünften Stern behalte ich mir aber einer offiziellen Veröffentlichung von optimalen Quellen durch ein autorisiertes Label vor, möglichst von allen erhaltenen Aufnahmen … : - )
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