Ein packender Thriller mit fantastischer Atmosphäre
Zum Inhalt:
Nach Jahren kehrt Anna Krüger zurück auf ihre Heimatinsel Helgoland, um dort die stellvertretende Leitung der kleinen Insel-Polizeidienststelle zu übernehmen und sich einem alten, tief sitzenden Trauma zu stellen. Doch ihr Neustart auf Helgoland verläuft ganz anders als sie es sich gewünscht hat, denn bereits an ihrem ersten Arbeitstag erhält sie ein an sie adressiertes Päckchen mit einem furchterregenden Inhalt. Für Anna beginnt ein Kampf gegen einen Unbekannten, gegen die Zeit und gegen sich selbst…
Meine Meinung:
Hinter dem Pseudonym „Tim Erzberg“ verbirgt sich der erfolgreiche Münchner Literaturagent Thomas Montasser, der mit seiner Agentur „Montasser Medienagentur“ 30 bis 50 Bücher im Jahr platziert. Mit „Hell-Go-Land“ hat Montasser nun seinen ersten eigenen, 400 Seiten starken Thriller vorgelegt.
Bereits der Start in die Story ist sehr stimmungsvoll. Tim Erzberg gelingt es für meinen Geschmack schon auf den ersten Seiten hervorragend, eine latent depressiv-bedrohliche, fast schon klaustrophobische Stimmung einzufangen, die auf dem sturmumtosten, gerade mal 4,2 km² kleinen Eiland mitten in der rauhen Nordsee im Januar herrscht. Diese Grundstimmung ist das genaue Gegenteil der Nordseeinsel-Romantik, die die allermeisten Urlauber durch die „Touristen-Brille“ hier an sonnigen Sommertagen erleben. Und genau diese düstere Stimmung ist für mich die zentrale Stärke dieses überzeugenden Thrillers.
Die zweite große Stärke dieses Thrillers sind für mich die – in der Anzahl überschaubaren – sehr detailliert herausgearbeiteten und prägnanten Hauptcharaktere, allen voran natürlich seine Protagonistin Anna Krüger, die über die gesamte Länge des Buches von ihrer in ihrem Kopf wütenden Migräne (Spitzname „Stalin“) geplagt wird und sich mutig den Dämonen ihrer eigenen, dunklen Vergangenheit auf dieser Insel stellt. In homöopathischen Dosen lernt der Leser Anna Krüger besser kennen und verstehen, enthüllt Tim Erzberg Stück für Stück von Annas Vergangenheit. Mit ihren beiden Insel-Polizei-Kollegen, dem sympathischen Dienststellenleiter Paul Freitag (groß und attraktiv mit den „sanftmütigen Augen“) und dem etwas schräg wirkenden Polizeiobermeisteranwärter Marten David Weber („Marten war ein Lichtblick. Er sah zwar aus wie ein Zwitterwesen aus Mensch und Klabauter, klein, schief, linkisch, aber er lachte sie an…“), bilden die drei Polizisten ein sehr heterogenes, aber umso interessanteres Ermittlerteam. Aber auch die weiteren Charaktere, wie beispielsweise der mysteriöse Insel-Arzt Dr. Strecker, dessen Frau eines Tages anscheinend spurlos verschwunden ist, seine neugierige und patente Putzfrau Katharina Loos (an der Miss Marple ihre Freude gehabt hätte) oder auch der urige Wirt einer Kneipe in einer der knallbunten Hummerbuden am Hafen bilden zusammen einen bunten Strauß außergewöhnlicher Charaktere.
Die Story an sich nimmt sehr schnell an Fahrt und Spannung auf, denn das böse Spiel, das jemand mit Anna treibt, beginnt bereits auf Seite 18. Im gleichen Maß, wie sich die Witterungsbedingungen immer weiter verschlechtern und es auf dem kleinen Eiland immer lebensfeindlicher wird, wird der Fall immer spannender, bedrohlicher und (im positiven Sinne) verwirrender. Durch das perfekt gewählte Setting sind die drei Ermittler nämlich ganz auf sich allein gestellt. Dank des um Helgoland herumtosenden Orkans ist die Insel tagelang vom Festland abgeschnitten, d.h. niemand kann von der Insel entkommen und die Möglichkeiten der Polizeiarbeit fallen gleich um mehrere Jahrzehnte zurück: DNA-Analyse? Nur auf dem Festland möglich! Professionelle Spurensicherung? Mit dem in der Dienststelle vorhandenen, uralten Equipment kaum machbar! Verstärkung vom Festland? Vielleicht nächste Woche wieder… Helgoland, ein lebensfeindlicher Mikro-Kosmos!
Während die Bedrohung im weiteren Verlauf der Story immer größer und greifbarer wird, ein Puzzlestück nach dem anderen „umgedreht“ wird, kämpft Protagonistin Anna Krüger nicht nur gegen den großen Unbekannten, sondern auch gegen fiese Widrigkeiten: Draußen tobt der Orkan, der zu zeitweisen Ausgangssperren auf Helgoland führt, in ihrem Kopf wütet Migräne „Stalin“ und sorgt dafür, dass Anna stellenweise kaum noch einen klaren Gedanken fassen kann. So steuert die Geschichte unheilvoll und unweigerlich wie ein steuerloser Ozeanriese auf das große Finale zu, das an Spannung, Tempo und Action keinen Vergleich zu scheuen braucht. Am Ende gelingt es Autor Tim Erzberg, alle Handlungsstränge zusammenzuführen, alle wesentlichen Fragen zu beantworten und eine stimmige und in Teilen überraschende Auflösung zu präsentieren.
Einziger – kleiner – Wehrmutstropfen war für mich, dass ich die wesentlichen Teile der Auflösung tatsächlich schon vorausgeahnt hatte und es dem Autor so nicht gelungen ist, mich am Ende komplett zu überraschen. Ob er hierfür einfach zu viele Hinweise gegeben hat oder ob ich mehr aus Zufall richtig gelegen habe, kann ich im Nachhinein gar nicht mehr sagen. Aufgrund des fantastischen Settings kombiniert mit der wirklich tollen Atmosphäre vergebe ich in diesem Fall dennoch gerne 5 Sterne.
Die perfekte Spannungslektüre (nicht nur) für stürmische und ungemütliche Herbstnächte!
FAZIT:
Ein nahezu perfekter Thriller mit ganz besonderem Settting, tollen Charakteren und einer unglaublich dichten Atmosphäre, wie ich es selten erlebt habe!