Atmosphärische Naturbeschreibungen, die begeistern! Mal entschleunigend, mal spannend erzählt.
„Und die rauschende Asse schlägt übers Jahr unverdrossen ihre Kapriolen, verlässt ein Bett, um sich ein anderes zu graben, und wiegt dabei ihre Kiesel …“
„Wasser ist schlimmer als Feuer. Feuer kann man beherrschen, Wasser beherrscht man nicht. Das Feuer lässt zumindest den Ort. Das Wasser reißt selbst den Ort mit sich fort!“
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INHALT:
Im Bergdorf Orpierre-d'Asse herrscht seit Jahren große Armut. Der Hunger macht die Menschen mürbe, jeder einzelne Brotkrümel und jedes noch so dürre Feuerholz muss sparsam eingesetzt werden.
Es sind nur noch wenige Menschen, die in ihren kalten Häusern verharren und sich miteinander um Geld und Nahrung streiten.
Während der grimmige Wind wütet, wächst kaum noch etwas weit oben auf dem Berg mit Geröll, selbst an Wasser mangelt es. Der Boden ist zu trocken, nichts als Steine findet man dort. Und immer wieder stürzt ein Teil davon mit lautem Donnergrollen in die Tiefe.
Die rauschende Asse hat sich in der Vergangenheit alles geholt. Ganze Ländereien und Bäume hat sie im Tal schon mit sich gerissen, eine Brücke, den Brunnen, eine Hütte.
Und plötzlich gibt es große Neuigkeiten: Der Fluss wird eingedeicht und im Tal entsteht ein fruchtbarer Boden, von dem die Menschen seit 30 Jahren geträumt haben.
Die Leute sind voller Vorfreude, die Jugend ist zu Scherzen aufgelegt.
Unten bauen sie nach und nach ein neues Dorf mit Hütten, Häusern, Feldern, Gemüsegärten, einem Brunnen und einer Kirche. Sogar ein Café und ein Gasthof findet seinen Platz.
Die Menschen helfen einander, vergessen frühere Auseinandersetzungen und haben endlich wieder eine Perspektive.
Nur die alte Pélagie mit ihrer Enkelin Berthe weigert sich, ihr Zuhause auf dem Berg zu verlassen.
„Man muss sie kennen, die Pélagie, sie hat ihren eigenen Kopf. Dort oben ist sie verwurzelt!“
Sie glaubt zu wissen, wie mächtig die Asse ist. Laut ihr wird sich der Fluss nicht durch einen Deich aufhalten lassen. Und seine feuchten Nebel werden früher oder später krank machen …
„Ihr hattet euch alle in den Kopf gesetzt, herunterzukommen. Als würden euch hier die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, Milch und Honig fließen!“
„Für die Asse zählt er [der Damm] nicht! […] An dem Tag, an dem es ihr gefällt, hinüberzutreten oder ihn einzureißen, können sie ein paar schöne Vaterunser beten.“
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MEINUNG:
Ihren zweiten Roman hat Maria Borrély ursprünglich bereits 1931 herausgebracht. Schön, dass Amelie Thoma zwei ihrer lesenswerten Werke, die lange in Vergessenheit geraten waren, für uns in Deutsche übersetzt und der Kanon Verlag sie herausgebracht hat. Denn lesenswert sind sie auch heute noch!
„Mistral“ war für mich schon ein absolutes Highlight. Doch auch „Das letzte Feuer“ braucht sich absolut nicht zu verstecken.
Wer Nature Writing liebt, sollte sich die Bücher von Maria Borrély nicht entgehen lassen.
Ihre atmosphärischen Naturbeschreibungen sind wunderschön. Während bei „Mistral“ der Wind im Fokus steht, ist es bei „Das letzte Feuer“ ein Fluss. Die unberechenbare Strömung der Asse führt die Lesenden durch die Seiten, verbindet einzelne episodische Wellen harmonisch zu einem Fluss, der mal in der Ferne dahinplätschert, um im nächsten Moment alles donnernd mit sich zu reißen, was ihm im Weg steht.
Auch der Wind, die Dürre und der feuchte Nebel werden beim Lesen spürbar.
Die Autorin zeigt sowohl die Schönheit und die Bedeutsamkeit der Natur auf, als auch die bedrohlichen Ausmaße, die sie annehmen kann.
Selbst in die Wogen von Gefühlsbeschreibungen fließt die Asse ein und bahnt sich sprudelnd ihren Weg.
Auf wenigen Seiten gelingt es Borrély, Lesenden diese feinfühlige Geschichte mit all ihren Naturbeschreibungen und Figuren nahezubringen.
Sie zeichnet einen Fluss des Lebens, schlägt dabei einen Bogen von der Geburt, bis zum Älterwerden und Sterben.
Sie schreibt von Entbehrung und Ernüchterung, von Hoffnungen und Träumen, von alter Gewohnheit und Genügsamkeit, vom Mut zur Veränderung und neuen Wagnissen. Und vor allem von der Macht der Natur.
Manchmal muss man zwischen den Zeilen lesen und viele französische und altertümliche Bezeichnungen setzen voraus, dass man dem Lesen genügend Zeit und Aufmerksamkeit schenkt.
Trotzdem hatte ich das Buch schnell durchgelesen. Es beinhaltet Szenen, die entschleunigen und wieder andere, die ich als sehr spannend empfunden habe.
Auch wenn mir gegen Ende die Handlung etwas zu flach war und ich ein anderes Ende als passender empfunden hätte, hat mir das Buch sonst richtig gut gefallen.
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FAZIT: Atmosphärische Naturbeschreibungen begeistern beim Lesen dieser einfühlsamen Lektüre. Dieses Buch sollte bestenfalls in der Nähe eines rauschenden Flusses gelesen werden. Von mir gibt es 4-4,5/5 Sterne, eine Empfehlung und ich hoffe sehr, dass die anderen beiden Bücher der Autorin auch noch auf Deutsch erscheinen werden!
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(C. N.: Armut, Hunger, Tod, Sterben)