So hätte es gewesen sein können
Historische Romane waren vor Jahren eins meiner bevorzugten Genres, doch wie so vieles im Leben sich ändert, so auch der Lesegeschmack. Bei einem Buch über die London Bridge konnte ich allerdings nicht anders als schwach zu werden. Lohnend oder hätte ich bei meiner Genreabstinenz bleiben sollen? Die Handlung verläuft in zwei Zeitsträngen, von denen der erste im Jahr 1749, der andere 1202 beginnt. Im chronologisch gesehen 2. geht es um eine Tuchhändlerin, die um das Weiterbestehen ihres Ladens auf der London Bridge kämpft. Dabei hilft es wenig, dass sie frisch verwitwet ist und ihr Mann ihr horrende Schulden hinterlassen hat. Als auch noch eine neue Brücke gebaut werden soll, die die Menschen- und damit Kundenströme anders lenken wird, weist ihr die Begegnung mit einem Straßenjungen einen Ausweg – der jedoch ist illegal, sie beginnt nämlich mithilfe seiner „Bande“ zu schmuggeln, was sie nicht nur einmal in Gefahr bringt … Im chronologisch ersten Strang geht es in die Zeit des Baus der London Bridge. Es gibt Unfälle, was der den Bau bezuschussenden Kirche nach klar Hexenwerk sein muss – und wer es war, ist ebenfalls klar: Sibilla, deren Schwester sie zu retten versucht. Doch auch sie kämpft an mehreren Fronten, nämlich gegen ihren Ehemann, der Gott und Kirche zutiefst fürchtet … Zwei Zeitstränge, zwei starke Frauen, die gegen die Männerwelt und deren althergebrachte, die Welt aber regierende Sichten kämpfen, in beiden Fällen geht es um die Existenz der Frauen, mal „abstrakter“, mal direkter … zu Beginn ist unklar, wie die Stränge zusammenhängen: Das ist ein Rezept, das kaum schiefgehen kann, denn man will ja wissen, wie es im jeweils anderen Erzählstrang weitergeht und ob bzw. welche Zusammenhänge es gibt. Zwar weisen beide Stränge Ähnlichkeiten auf, doch schon durch die Tempuswahl wird klar, in welchem Strang man sich befindet, sodass man der Geschichte gut folgen kann (liegt auch an der recht einfach gehaltenen Sprache). Man kann mit mindestens einer Figur (das muss nicht zwingend die Figur, deren Existenz bedroht ist, sein) mitfiebern, die Themen (Hexenprozesse, männliche Dominanz usw.) sind spannend, wenngleich etwas klischeebehaftet. Für mich war die London Bridge selbst die interessanteste „Figur“ – das Spiel mit der Idee, dass es so gewesen sein könnte. Angesichts des gespannten Zeitbogens hat sich der Autor die Möglichkeit offengelassen, Geschichten aus weiteren Epochen der Brücke zu erzählen. Insgesamt ist „Die Brücke von London“ handwerklich gut gemacht, wenngleich schon „einfach“ gehalten (will sagen: hohe Literatur ist das Werk nicht), aber die Geschichte unterhält: 3,5 aufgerundete Sterne.