Kindheitstrauma einer Mutter und dessen Auswirkungen beim eigenen Kind
INHALT:
Die Eltern des 7-jährigen Luca werden in die Schule bestellt. Es soll etwas vorgefallen sein, als ihr Sohn in der Pause allein mit einem Mädchen im Klassenzimmer war. Er soll sie gezwungen haben.
Mit dem Mädchen habe man bereits gesprochen und man glaube ihr. Luca dagegen schweigt.
Pia und Jakob können nicht glauben, was ihrem Sohn vorgeworfen wird!
„,Glaubst du, sie hat es erfunden?‘
Ja - das glaube ich.
Ich halte inne.
Glaube ich das wirklich?
Frauen muss man glauben - ohne Wenn und Aber. Zu viele Frauen trauen sich nicht, etwas zu sagen, aus Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird. Deswegen, glauben, immer. Das ist meine Überzeugung.“
Während Jakob weiterhin an die Unschuld des sensiblen Luca glaubt und möglichst viel unbeschwerte Zeit mit ihm verbringen möchte, in der Hoffnung, so sein Vertrauen zu gewinnen, knöpft Pia ihn sich gleich mehrmals vor, ohne Erfolg. Im Gegenteil, sie scheinen sich nur noch weiter voneinander zu entfernen.
„Es macht mich fast atemlos, wie stur er ist. Er hat Geheimnisse vor mir und ich kann nichts dagegen tun.“ „Ich ziehe an seinen Haaren und reiße seinen Kopf zurück. Unsere Gesichter sind sich ganz nah. Und da ist wieder dieser Blick, der mich aussperrt.“
Die Mutter packen große Zweifel. Sie weiß, wozu Kinder in der Lage sein können. Und schon bald traut sie ihrem eigenen Sohn nicht mehr über den Weg …
Denn plötzlich erinnert sie sich an ihre eigene Kindheit, die weniger harmonisch war, als bisher gedacht …
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MEINUNG:
Bereits vor der Lektüre hatte ich vernommen, dass einige Leser*innen nicht damit gerechnet hatten, dass es hier weniger um den Vorfall in der Schule mit Luca gehen würde, sondern vielmehr die Vergangenheit der Mutter im Fokus steht.
Dadurch bin ich bereits mit einer anderen Erwartungshaltung an das Buch herangegangen.
Tatsächlich steht Mutter Pia im Vordergrund der Geschichte, die aus ihrer Perspektive erzählt wird. Dabei wechseln sich die Ereignisse und die Gefühlswelt der Gegenwart mit Erinnerungen an die eigene Kindheit ab.
So wird man beim Lesen von Pias innerem Chaos regelrecht überschwemmt. Ihre innere Verzweiflung kommt gut zum Ausdruck, als sie es nicht schafft, dass Luca sich ihr anvertraut. Gerne hätte ich sie geschüttelt, weil mich ihr ungeduldiges und ihr leicht aggressives Verhalten gegenüber ihrem Sohn, so geärgert hat. Kinder nehmen sich Erwachsene zum Vorbild. Etwas von ihnen zu verlangen, was man selbst nicht vorlebt, ist schwierig.
Gleichzeitig verstehe ich, dass eine solche Situation einen als Elternteil komplett überfordern kann und man endlich wissen möchte, was tatsächlich vorgefallen ist.
Durch die Schilderungen aus Pias Vergangenheit habe ich die Hintergründe für ihr Handeln mit der Zeit immer besser verstanden. Mir hat es wieder gezeigt, wie sehr unsere Prägung in der Kindheit unser Verhalten, Denken und Fühlen in der Gegenwart beeinflussen kann.
Pia scheint noch vieles aus ihrer Kindheit aufarbeiten zu müssen, denn in der Familie sind damals Dinge vorgefallen, die noch immer an ihr nagen. All das kommt erst in ihr hoch, als sie selbst Mutter ist …
Obwohl das Buch recht ruhig geschrieben ist, spürt man während des Lesens eine bedrohlich wirkende Stimmung, die Ungewissheit, Unruhe, ein Brodeln und die Verzweiflung, die Pia einnehmen.
Besonders berührt hat mich die einfühlsam beschriebene Gefühlswelt von ihr als Kind.
Authentisch und altersentsprechend fand ich die Schilderungen vom Verhalten der Kinder, vor allem bei Luca.
Auch wenn es für mich zwischendurch ein paar Längen gab, haben sich am Ende des Buches alle Puzzlestücke gekonnt miteinander vereint.
Den Schluss fand ich stimmig und die gesamte Geschichte regt zum Nachdenken an.
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FAZIT: Insgesamt eine lesenswerte Lektüre über komplexe Familiendynamiken, eine fragile Mutter-Sohn-Beziehung sowie über Prägung und Trauma in der Kindheit und deren Auswirkungen auf die Gegenwart und das eigene Denken, Verhalten und Fühlen.
Ein Buch, das noch eine Weile nachwirkt.
Von mir gibt es eine Empfehlung und 4/5 Sterne!
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(C. N.: v. a. Tod, Trauer, Trauma, schwierige Familiendynamiken)