Ein einzigartiger Roman
„Die Gestirne“ ist ein einzigartiger Roman. Etwas Ähnliches habe ich bisher noch nicht gelesen! Der Roman hat den Booker Prize gewonnen und darf sich in die Reihe großartiger Geschichten wie „Schiffbruch mit Tiger“ und „Der Gott der kleinen Dinge“ einreihen. Mit dem Preis sind zwei Rekorde verbunden: Mit 28 Jahren ist die Autorin Eleanor Catton die bisher jüngste weibliche Preisträgerin und mit knapp über 1000 Seiten (in der deutschen Übersetzung) ist der Roman auch der umfangreichste, der jemals mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde.
Die Geschichte spielt in Neuseeland zu Zeiten des Goldrauschs. Walter Moody, der sein Glück als Goldgräber suchen möchte, kommt mit dem Schiff in Hokitika an und macht sich auf ins Hotel. In der dortigen Bar trifft er auf eine merkwürdige Mischung aus zwölf Männern, die zunächst angestrengt so tun, als seien sie zufällig dort, doch in Wirklichkeit zu einer geheimen Versammlung verabredet sind. Als Moody von seiner Schiffsreise berichtet, scheinen die Männer einen Hinweis darauf erhalten zu haben, dass Moody Licht ins Dunkel einiger seltsamer Vorkommnisse bringen könnte, die die unterschiedlichen Männer in irgendeiner Weise verbinden. Er wird in die Hintergründe ihrer Zusammenkunft eingeweiht, denn am 14. Januar des Jahres 1866 geschahen mehrere scheinbar zufällige Ereignisse:
Ein kauziger Einsiedler wurde tot in seiner Hütte aufgefunden. War es Mord oder hat er sich zu Tode getrunken? Rätsel gibt eine Kiste Gold auf, die in der Hütte entdeckt wurde. Noch seltsamer ist, dass kurz nach dem Fund des Goldes eine Frau auftritt, die behauptet, die Witwe des Toten zu sein und dies auch noch belegen kann. Am selben Tag wurde eine im kleinen Städtchen sehr beliebte Hure, deren Opiumkonsum allzu bekannt war, halb tot aufgefunden. War es Selbstmord? Und wie kommt es, dass an eben diesem schicksalhaften Tag auch noch der junge, reiche Glückpilz unter den Goldgräbern spurlos verschwindet?
Im ersten Drittel des Romans werden immer neue Puzzlestücke zu den Geschehnissen offenbart. Die zwölf Männer haben alle irgendetwas zu den Ereignissen beizutragen und Moody hat die Aufgabe, alle Vorkommnisse einzuordnen und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Im weiteren Verlauf wechseln sich Rückblenden und der Fortgang der Ereignisse ab. Eine kleine Liebesgeschichte fehlt auch nicht und diese ist genau passend eingearbeitet. Weder zu kurz noch zu lang, sehr intensiv, aber nicht kitschig.
Der Roman ist absolut außergewöhnlich. Die Autorin hat einen unverwechselbaren Stil, ihre Geschichte zu erzählen, es stecken unerwartet viel Humor und Ironie zwischen den Zeilen, es gibt viele unterschiedliche Charaktere, über deren Hintergründe man im Verlauf Einiges in Erfahrung bringt, und man merkt in einem fort, dass rein gar nichts in diesem umfangreichen Werk dem Zufall überlassen oder nicht bis zuletzt durchdacht ist. Die Sprache ist sehr anspruchsvoll genau wie die Geschehnisse, die erzählt werden. Man kann den Roman nicht eben nebenbei lesen, sondern muss sich anstrengen, um alle Personen auseinanderzuhalten und die Erzählstränge zu verstehen. Dennoch wird bis zum Ende die Spannung so hoch gehalten, dass man vergleichsweise zügig vorankommt. Für mich hätte der Roman nicht kürzer sein dürfen. Alles, was erzählt wird, hat seine Berechtigung und hat am Ende einen Sinn. Beim Lesen hat man stets das Gefühl, dass mit jeder neuen Information wieder neue Fragen aufgeworfen werden und muss einfach weiterlesen, um zu erfahren, wie alles zusammenhängt.
Es gibt unzählige kleine Details zu entdecken, die mit Astrologie (aber man muss sich da nicht auskennen) zu tun haben, von denen ich hier nur einige nennen möchte: Wie schon erwähnt, ist nichts dem Zufall überlassen. Der Roman ist in zwölf große Teile eingeteilt, eine bedeutsame Zahl in der Astrologie. Die Länge der einzelnen Teile nimmt immer genau um die Hälfte ab, sodass nach einem sehr lang scheinenden ersten Teil die weiteren Teile immer kürzer werden. In den zwölf Teilen sind wiederum Unterkapitel vorhanden. Jedem Kapitel sind in einem Satz jeweils kurze Inhaltsangaben als Teaser vorangestellt, die auch ganz nützlich sind, wenn man nochmal nachsehen möchte, was in den letzten Kapiteln passiert ist. Die jeweilige Überschrift verrät, wer in dem Kapitel eine größere Rolle spielt. Jeder Person wird im Personenverzeichnis ein Planet bzw. Tierkreiszeichen zugeordnet, von denen jeweils passende in der Überschrift genannt werden. Besondere Ereignisse finden zu besonderen Zeiten wie beispielsweise der Sommersonnenwende statt…und vieles mehr. Ich freue mich schon darauf, beim nächsten Lesen immer wieder neue Details zu entdecken.
Gerade das finde ich an diesem Roman so toll: Es ist im Gegensatz zu vielen anderen kein Roman, den man nur einmal lesen möchte. Wenn man erst alle Zusammenhänge kennt, wird sicher auch das zweite Lesen ein schönes Erlebnis. Eine klare Leseempfehlung, für die man sich aber Zeit nehmen sollte.