Unterwegs mit Alter Lei
Christoph Rehage hat das Abenteuer unternommen, mit einer Reisegruppen von 12 Chinesen eine Europa-Rundreise zu starten, und zwar als ganz normales Reisemitglied. Zu Beginn des Buches erfährt man in einer kurzen Einleitung, wie es zu diesem Entschluss kam und wie die Planung nebst Buchung vonstatten ging.
Anfangs herrschen etwas Berührungsängste auf Seiten der chinesischen Teilnehmer und auch Argwohn. Im Laufe der ersten Tage wird Rehage, der von den Teilnehmern Leike bzw. Alter Lei genannt wird, jedoch wirklich integriert. Er spricht fließend Mandarin und hat daher keinerlei Verständigungsprobleme.
Die Reise dauert 13 Tage und führt nach München, Venedig, Florenz, Pisa, Rom, Luzern, Paris, Frankfurt sowie eine europ. Kleinstadt.
Mir selbst wurde schon schwindelig bei der Vorstellung, diese Städte in so kurzer Zeit abarbeiten zu müssen. Und ich muss nicht erst von China hierher fliegen und wieder zurück in der Zeit. Dementsprechend gedrängt ist der Zeitplan der Gruppe.
Leider erschloss sich mir nicht, ob das generell bei den Reisen chinesischer Touristen so ist oder ob es auch Reisegruppen gegeben hätte, die sich in Ruhe ein oder zwei Länder hätten ansehen können. Das wäre m. E. sinnvoller gewesen, denn die Unterschiede zwischen den Ländern und Sitten innerhalb Europas sind tlw. so immens, dass wohl keiner der Teilnehmer einen wirklichen Eindruck bekommen konnte. Es musste leider in Oberflächlichkeiten enden, wenn man nur 1 Std. Zeit hat, sich außerhalb des Busses aufzuhalten und die Stadt "zu erkunden".
Trotzdem ist es nach wenigen Seiten mit der Gesellschaft so, als wäre man als Blinder Passagier dabei. Die einzelnen Personen bekommen Aussehen und Charakter, denn Rehage hat sie m. M. nach wirklich gut beschrieben, sodass auch die unterschiedlichen Typen herausgestellt wurden.
So fährt man mit ihnen von Sensation zu Sensation und beobachtet, wie sie auf die unterschiedlichen Gegebenheiten ansprechen. Wie bei jeder Reisegruppe werden die Leute von verschiedenen Dingen angesprochen.
Das alles erzählt Rehage in einem sehr angenehmen und lockeren Ton. Er zieht auch keine vorschnellen Rückschlüsse, sondern belässt es eher bei der Schilderung der Ereignisse. Es wird nicht zu viel hinein interpretiert, sondern die Menschen so genommen wie sie sind. Ich empfand das als sehr angenehm.
Es folgen die üblichen Touristen-Attraktionen: Schlossbesichtigung, Glasbläserei, Lederwaren-Hersteller, Parfum-Hersteller, Kanalfahrt, Museen, durch die regelrecht gehechtet wird. I.d.R. mit chinesischer Führung und Kopfhörer auf den Ohren.
Immer wieder der Hinweis auf das schlechte Essen in fast ausnahmslos chinesischen Restaurants, was ein Markenzeichen des Gruppenessens ist. Nicht umsonst speisen Reiseleiter und Chauffeur an einem separaten Tisch: Sie bekommen anderes, besseres Essen, weil sie die Gruppe in das Restaurant bringen. Das kommt zwar nicht richtig rüber in dem Buch (dort ist eher vom Preisnachlass beim Essen die Rede), aber ich weiß es von meinen beiden Gruppenreisen, die ich unternommen habe.
Im Laufe der Zeit entwickelt sich ein schon freundschaftliches Gefühl zwischen Rehage und den Reisenden. Er tätigt Internet-Bestellungen für sie und es kommt mit dem Ein oder Anderen zu persönlichen Gesprächen.
Sehr gut finde ich den 2. Teil des Buches, in dem er einige Monate später die Teilnehmer in China besucht. Dort erfährt man dann endlich, was sie selbst am besten fanden und wie sie alles erlebt haben. Während der Reise waren nämlich alle recht zurückhaltend, was dieses Thema angeht. Alle sehr freundlich und beflissen, Chinas guten Ruf zu wahren und sich stets korrekt zu benehmen. Eine genaue Anleitung enthielten die Reiseunterlagen, die jeder Teilnehmer ausgehändigt bekam.
Der Erzählstil ist sehr flüssig und man kann wirklich durch das Buch fliegen. Wobei es auch nichts ausmacht, wenn man einmal 1 Woche nicht zum lesen kommt. Man ist sofort wieder im Bus und Mitglied der Gruppe.
Mir hat die Lektüre wirklich sehr viel Vergnügen bereitet und es war keine Minute langweilig! Ab sofort sehe ich chinesische Reisegruppen mit ganz anderen Augen.