Es wird ein Wein sein…
Zu. Dirk Stermann, 6 Österreicher unter den ersten 5, Roman einer Entpiefkenisierung
„Deine Eltern sind Alt-68er, meine Alt-38er“
(Robert, Intimus des Autors)
Egon Friedell urteilte in seiner denkgesättigt-opulenten, vom 13. bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts reichenden „Kulturgeschichte der Neuzeit“ einst unerbittlich und unbestechlich über eigentlich alles, was da irgend mit Österreich zu tun hatte, so u.a. das polizeibürokratische Verbot der Liste der verbotenen Bücher, mit: „typisch österreichischer Schwachsinn“. Und dabei war er noch gar nicht bei Hitler und dem Wiener Heldenplatz im Jahre 1938 angelangt. Dirk Stermanns Roman ( worum sollte man das Buch nicht so nennen dürfen ?), in dem – etwas fühlt man sich an den frühen Henscheid mit seiner Trilogie des laufenden Schwachsinns erinnert - ein Panoptikum pointiert gezeichneter, eigenwillig-skuriller bis zweifellos obsessiv-heurigenpathologischer Typen beiderlei Geschlechts, mit und in ihren Lebensentwürfen handelnd, und ein sehr großer, hauptsächlich toter Hund auftreten und mit denen interagierend und mittendrin in allerlei Schwurbel und mitunter doch auch grobem Unfug der Autor den assimilerenden Prozeß seiner „Ent-Pfiekenisierung“ durchwandelt, ist dagegen nicht mit dem nietzscheanisch zertrümmernden Hammer geschrieben. Er ist fein und vornehm ziseliert, dialogisch und im Handlungsstrang; unkrawallisch-kottanesk in seiner Situationskomik, auch wenn ich mich nicht erinnern kann, je ein erzähltes Buch gelesen zu haben, in dem schwertsalkoholisiert soviel und in einer seltenen Leidenschaft und Hingabe gereiert wird und in dem man auch der kurz vor der synapsenvernichteten Denkauflösung stehenden Heurigenphilosophie.nicht auskommt. Aber wie ginge das in Wien auch ?
In einem Tag die 266 Seiten durchgenommen, scheue ich sogar vor höchstem Hudel nicht zurück: dieses melancholisch gestimmte und stimmende Buch bzw. sein Autor steht nicht in der erhabenen Pose des cartesianischen Beobachters fassungslos oder genervt davor, es bzw. er ERKLÄRT durch seine unverkennbar empathische Teilnahme das GESCHEHEN Österreich (also Wien und was drum herum ist,), nicht tutti quantig, aber weitestgehend. Alles, was an diesem eigenartig geformten Stück Land und seiner Hauptstadt den halbwegs zivilisierten Westeuropäer amüsiert verwundert, aber auch das, womit es einem Verdruß bis reines Ärgernis bereitet, hat darin seinen Platz gefunden (und, ganz nebenher, ist es noch ein kleiner Geschichts- und Kultirführer). Insbesondere natürlich versteht man die spezifischen Probleme der Hanglastigkeit des österreichischen Fußballs nach der Lektüre des Buches weitaus besser und auch das legendäre Fußball-WM Spiel zwischen BRD-Deutschland und Österreich im Jahre 1978 erfährt eine außerordentlich objektive Würdigung aus qualifiziertem Munde. Der seinerzeitige österreichische Mittelfeldspielmacher Herbert „Schneckerl“ Prohaska spricht mit dem Abstand der Jahre höchst gelassen aus (S.258), was dieses Ereignis tatsächlich war: vor allem ein gottenschlechtes und unansehnliches Spiel beider Mannschaften, das die noch weniger schlechte dank kurz aufblitzendem Spielwitz und Mittelstürmer Hans „Hansi“ Krankl verdient mit 3:2 gewonnen hatte. Viel mehr Spa0 machte dann offenbar der Heimflug beider in der Vorfinalrunde aus dem Turnier ausgeschiedener Mannschaften, die im selben Flieger saßen: „Unsere Stimmug war deutlich besser als denen ihre.“, so Prohaska, der „Fußballer des Jahrhunderts“, wie Spermann ohne wenn und aber den einstigen Mozart der Wiener Austria würdigt.
Auch den Royalismus lernt der gestandene Jakobiner nach der Lektüre des Buchs mit, wenn nicht unbedingt gleich ganz anderen Augen, so doch deutlich gemildertem Blick zu sehen. Denn mit der zum spielfreudigen Ensemble des Romans gehörigen, höchst charmanten Liechtensteiner Fürstentochter Tatjana, der in staubtrockenem Witz das Donauland, vom Mond aus gesehen, als ein Schnitzel mit einer Panade aus Wut und Missgunst erscheint, würde man natürlich schon gerne nochmal im erlesenen Sportwagen in fünfzehn Minuten durch das bankenfeudalistische Gro0grundstück der blaublütigen Familie rasen. Gemäß dem Motto: Wanderer, lommst Du nach Liechtenstein, tritt nicht daneben, tritt direkt hinein…Einfach lesen und szenarisch wirken lassen.. Macht Spaß und bildet dennoch.