I lost my faith
Seien wir ehrlich: der Komet "Sting" kokelt seit vielen Jahren traurig vor sich hin und verglüht so langsam am Pophimmel. Seine Solokarriere war einst ein Befreiungsschlag: weg vom New Wave und nervigen "De Do Do Do, De Da Da Da", hin zum wirklich klugen und anspruchsvollen Crossover aus Pop, Jazz und Weltmusik, scharrte er fantastische Musiker um sich und scherte sich nicht um den vorherrschenden Mainstream, um schließlich den neuen Mainstream zu kreieren. Großartige Alben entstanden durch diese Mischung aus Kreativität, Freigeist, Idealismus, Inspiration und musikalischer Souveränität. Zeitlose Songs (viele davon findet man auf keinem der zahlreichen Best-Of-Alben) hat Sting mit talentierten Weggefährten geschrieben, doch spätestens seit "Sacred Love" ist es vorbei mit seiner Innovation und Strahlkraft. Gerne verzieh man ihm seine extravaganten Unabhängigkeitsprojekte (Konzeptalben wie "Songs from the Labyrinth"), in denen er auf mehr oder weniger schrägen Abwegen wandelte und allen das Schild "Ich mach nur noch, was ich will!" demonstrativ entgegenstreckte, die sich über den unerwarteten Stilbruch wunderten.
Diese Gesinnung hat sich allerdings nach und nach aufgelöst, inzwischen hält er sich offensichtlich selbst für eine Art Jukebox, denn er erklärte jüngst in einem Interview, dass er sich seiner Anhängerschaft verpflichtet fühle und er es als seine Aufgabe ansehe, den Leuten genau das zu geben, was sie hören wollen. Und so wurden einfältige Alben wie "57th & 9th" oder das furchtbar peinliche "44/876" eingespielt. Kein einziger Sting-Track der letzten 15 Jahre würde es auf ein Mix-Tape schaffen, wenn man so was heutzutage noch machen würde. Meine Playlist an belanglosen oder geradezu miserablen Sting-Songs des selben Schaffenszeitraums wäre demgegenüber jedoch ellenlang.
Was allerdings besonders unangenehm auffällt, ist die enorme Gewinnmaximierung durch seine Hits, die kaum ein anderer Künstler so penetrant betreibt wie Sting. Neben den zahlreichen Greatest-Hits-Kompilationen, die regelmäßig veröffentlicht werden, arrangiert und mischt Sting seine Erfolge immer wieder gerne auf verschiedenen Live- und Remix-Editionen neu... womit wir bei "My Songs" angekommen sind: ein Album, von dem ich mir persönlich viel versprochen hatte, denn ich sah vor drei Jahren auf der Berliner Waldbühne einen völlig uninspirierten Sting, dem man förmlich anhörte, dass ihn seine eigenen Songs allmählich selbst gehörig langweilten. Das Konzert war eine gnadenlose, durchchoreografierte Demonstration an Selbstgefälligkeit, bei dem wirklich nichts passierte, was nicht vorher einstudiert wurde und keine Emotion der Musiker authentisch wirkte. Insofern ging ich davon aus, dass Sting jetzt "seine Lieder" tatsächlich radikal auf den Kopf stellt, schon allein, um auf der anstehenden Tournee nicht schon beim Gedanken, gleich zum zigtausendsten Mal "Every Breath You Take" in der traditionellen Form darbieten zu müssen, zu erbrechen. Doch leider ist "My Songs" alles andere als der große Wurf. Im Gegenteil: einzige Intention war es, die Songs mit dem heutigen Mainstream zu harmonisieren. Und so wurde gesampelt und remixt was das Zeug hielt, so dass Klassiker, die in der Originalversion großartig waren, nun völlig entstellt wurden. Hört man beispielsweise das Cheering-Sample und den synthetischen Beat am Anfang von "If You Love Somebody" möchte man am liebsten in den Tisch beißen. Wie etliche andere Songs hätte "Desert Rose" schon seit jeher dringend einer Überarbeitung bedurft, aber die neue Fassung ist nicht minder unerträglich und kaum von der ursprünglichen Variante zu unterscheiden. Überhaupt: nicht wenige der neuen Arrangements fallen wirklich auf, große Mühe wurde in die aktuellen Interpretationen augen- oder vielmehr ohrenscheinlich nicht investiert. Das Album ist kleinmütig und durchweg enttäuschend, ich wüßte nicht einen einzigen Titel, der sich durch die Neuerung deutlich anders anhört. Ein Armutszeugnis für einen Künstler, der einst grandios und couragiert war. "My Songs" wirkt unangenehm profitorientiert, - man hat nicht den Eindruck, dass die Produktion irgend jemanden Spaß gemacht haben könnte.
Nicht dass wir uns mißverstehen: ich hätte es klasse gefunden, den einen oder anderen Titel wirklich originell und überraschend interpretiert zu hören. Die Lieder mal ohne dogmatische Rücksicht auf die ursprüngliche Kompositionen neu eingesungen und mit völlig anderen Instrumenten arrangiert, würde den Kauf dieses Albums womöglich rechtfertigen. Warum nicht "Every Breath" als Brass-Nummer? Warum nicht "If You Love Somebody" mit einen vorlauten Kinderchor? Warum nicht ein verstimmtes Jazzpiano in "Demolition Man" einsetzen? Warum nicht mal ein bißchen gesanglich variieren? Auch würde sicherlich so mancher Klassiker als Duett funktionieren. So viele Sting-Lieder (nicht (nur) die, die auf dem Album gelandet sind!) böten eine breite Spielwiese für Kreativität und musikalischen Esprit, aber nur die Drum-Machine anzuschmeißen und elektronische Klangspielereien in die Songs zu frickeln, ist armselig. Statt sich dem Zeitgeist anzubiedern und sich mit Leuten wie Shaggy und Dave Audé zu umgeben, wäre der 67jährige Poprentner mit genreübergreifenden Vollblut-Musikern wie zum Beispiel Jamie Cullum sicher besser beraten gewesen, um seinen Songs tatsächlich neue Ideen und einen anderen Blickwinkel einzuhauchen. "NDR Info" stellte die CD übrigens kürzlich im Radio vor und der Moderator verzichtete auf eine Kostprobe, weil das Album nichts wirklich Hörenswertes zu bieten hätte und spielte statt dessen "Masoko Tanga" von Police. Das ist auch ein Statement.