Good for business: Miley-Metamorphose und erwachsen werden
EMAILS I CAN'T SEND lautet der Name von Sabrina Carpenters fünftem Studioalbum und erschien im Jahr 2022. Gleichzeitig ist es das erste Album auf dem Label Island. Davor war Carpenter als nicht ganz so häufig im TV zu sehender Disneystar bei Hollywood Records unter Vertrag. Also macht Sabrina auf EMAILS I CAN'T SEND die Miley-Cyrus-Metamorphose durch. Das Werk ist nämlich von Hause aus erwachsener als ihre vorangegangenen Arbeiten. Sabrina hatte mehr kreative Kontrolle, was sich wie eine Renaissance ihrer Kunstfigur anfühlt. EMAILS I CAN'T SEND ist der Gegenentwurf des rührseligen Torchsong-Materials von Künstlerinnen wie Florence + the Machine oder Lana Del Rey, eine Platte über eine Trennung, aus der man sich emanzipiert; es ist das Thema, das sowas wie den Pizzaboden für seinen würzigen Belag darstellt, der vom Käse zusammengehalten wird. Das, was man sich nicht traut, dem bzw. der Ex ins Gesicht zu sagen, ist metaphorisch gemeint der Käse von EMAILS, aber in befreiender, selbsttherapeutischer Art und Weise. Klangkonzeptuell bewegt man sich in den Sphären von SHORT N' SWEET: treibender Disco-Pop (Anspieltipps 1 und 2: READ YOUR MIND und FAST TIMES), R&B (Anspieltipp 3: BET U WANNA), koketter Sprechgesang (NONSENSE), Rock mit absichtlicher Signalverschmutzung (VICIOUS malt nicht nur vom Titel her brutal über den Rand) und Acoustic-Pop mit leichten Countryanleihen ("that's why I'm lying to my therapist", lach: TORNADO WARNINGS und SKINNY DIPPING). Das kompakte Konzeptalbum ist wirklich schön anzuhören, insbesondere wegen Sabrinas besonderer Stimme, deren dunkle Farbe sich signifikant ins Helle ändert, wenn sie vom Sprechen ins Singen übergeht.
Sabrina Carpenter, welche bei den Produktionsnotizen meist an erster Stelle steht, ist schlichtweg eine interessante Persönlichkeit mit Biss. Auf EMAILS I CAN'T SEND kann man das erste Mal ihr Vermarktungspotential als authentisches Zugpferd von Female Empowerment erkennen. Bei SHORT N' SWEET gibt man ihr lediglich eingängigere Melodien an die Hand, um sich als höchstmoderner Shootingstar - nebst hohem Koffeingehalt - zu beweisen.
Weil die späteren Singles ESPRESSO und TASTE so erfolgreich gestreamt werden, traut sich Island im Vertrieb von Universal Music letztes Jahr eine Wiederveröffentlichung von EMAILS auf einer knochenfarbenen Vinyl zu, deren cremefarbener Ton perfekt das Beige der Farbgebung des Klappcovers trifft. Die LP klingt dabei richtig gut, besser noch als ihr Pendant im Streaming. Man kann ein paar Arrangements tiefer ergründen, weil die analoge Abmischung behutsamer und schichtenweise angelegt ist. Die Pressqualität ist in Ordnung, wenngleich nicht perfekt, weil sich auf meinem Exemplar einige hörbare Staubkörner eingeschlichen haben. Die Texte glänzen dabei durch Abwesenheit, genauso wie eine gefütterte Innenhülle und die Titelliste auf der Rückseite, beides ist also nicht vorhanden. Haben wir auch bei der babyblauen Variante der LP von SHORT N' SWEET - 4 Sterne, zumal Universal an diesem Punkt von Sabrinas Karriere eigentlich die Deluxe-Edition mit 4 Bonustracks und dem Pre-ESPRESSO-Hit FEATHER hätte pressen müssen.