Die Pop-Symphonie "Rare Pleasure" wird vom Bewusstsein und vom Unterbewussten gespeist.
So verschroben und geheimnisvoll wie die Buchstabenkombination des Künstlernamens ist, so verwunschen, aus der Zeit gefallen und ungewöhnlich ist auch die Musik von Ringgo Ancheta, der sich Mndsgn nennt, was "Mind Design" bedeuten soll. Das neue Werk "Pure Pleasure" ist ein Testament der Reife, der Schönheit und des gestalterischen Eigensinns. Laut Aussage des Künstlers reflektieren die Kompositionen, an denen bereits seit 2018 gearbeitet wurde, seine Wertschätzung für das Leben. Mndsgn wurde ursprünglich von Rap und HipHop geprägt und hat jetzt seine Berufung in der Erzeugung von harmonischen Soundscapes und luftigen Art-Pop-Songs gefunden.
Ringgo Ancheta wurde in San Diego in eine Familie mit philippinischen Wurzeln hinein geboren und wuchs in New Jersey auf. Seit 2011 lebt er in Los Angeles. 2014 erschien nach ein paar Jahren als Mitglied des Künstler-Kollektivs Klipmode sein erstes richtiges Solo-Debüt ("Yawn Zen"), gefolgt von diversen digitalen und physischen Veröffentlichungen wie "Vivians" (2015), "Bodywash" (2016) sowie "Snax" (2018) und "Snaxx" (2019). Ihn trieben stets philosophische Themen rund um die menschliche Existenz um. So fragt er sich, wie es gehen soll, dass wir uns selbst treu bleiben, wie wir Schönheit im Alltäglichen und Unbekannten ergründen können und was die Magie der Vergänglichkeit ausmacht. Bei der Übersetzung dieser Fragen in Noten waren Kiefer Shackelford (Klavier), Swarvy (Gitarre, Bass), Will Logan (Schlagzeug), Carlos Niño (Percussion), Fousheé, Devin Morrison und Anna Wise (Gesang) sowie Miguel Atwood Ferguson (Streicher) beteiligt, die die 13 Stücke zu einem in sich geschlossenen Gesamtkunstwerk verknüpften.
Das einleitende, kurze, instrumentale "Rare Pleasure I" baut eine Atmosphäre auf, die gefälligen Jazz-Rock und unverbindliche, manipulative Feuilleton-Musik zu einer erwartungsvollen Mischung zusammen setzt, die keine Aufschlüsse über den weiteren Verlauf zulässt. Dieses Eröffnungs-Thema wird noch drei weitere Male aufgegriffen und in abgewandelter Form über das Album verteilt. Das Stück "Rare Pleasure II" lebt von einem lockeren Jazz-Groove und die dritte Variante läuft verlangsamt ab. Wobei sowohl ein perlendes E-Piano, das zwischen dem linken und rechten Kanal hin und her schwingt, wie auch eine hoch gestimmte E-Gitarre den Klang bestimmen. Mit "Rare Pleasure IV" ist der Track zum schnellen Samba mutiert und strotzt somit vor überschäumender Lebensfreude.
Mit "Truth Interlude" folgt dann eine originalgetreue Cover-Version eines Jingles des brasilianischen Radio-Senders Jovem Pan aus den 1970er Jahren. Auch hier liegt - wie schon bei den "Rare Pleasure"-Einschüben - in der Kürze die Würze. Schon nach einer Minute endet dieser gefällige, seidige Easy Listening-Track, der mit Bossa Nova-Lässigkeit flirtet.
Der ausgeglichene Lead-Gesang von "3 Hands/Divine Hand I" übernimmt zunächst eine beruhigende, sanftmütige Rolle, die eine schöne neue Welt simuliert, welche durch einen synthetischen Beat kontrolliert wird. Dann gerät die Stimme in einen rauschhaften Strudel und der Rhythmus wechselt von mechanisch-künstlich zu wandelbar-individuell. Im Zuge dieser Veränderung wird der Track ausgeblendet, lebt aber mit einem an Walgesänge erinnernden Saxophon und sphärischem Rauschen als Begleitung nochmal auf. Der Song kann grundsätzlich mit einer exakten und eleganten Raffinesse punkten, auch wenn der zunächst geschmeidige Klang später zu Gunsten der Abwechslung aufgegeben wird. Auch dieser Titel hat einen zweiten Teil bekommen ("Divine Hands II"), der sich am Ende des Werkes befindet und die sirenenhaften Gesänge sowie ein Stakkato-Schlagzeug in den Mittelpunkt stellt.
"Hope You`re Doin` Better" ist ein wohlklingendes Chanson geworden, das Soft-Rock-Eleganz mit elastischem Smooth-Soul und spritzigem Cocktail-Jazz anreichert. Das Lied ist als Zeichen der Verbundenheit mit Ringgos Vater gedacht, der einen heftigen Burn-Out erlitten hatte, was sich auf den Zustand aller Familienmitglieder negativ auswirkte.
Der "Slowdance" fängt eine Gefühlslage ein, als würde Müdigkeit den Antrieb verringern. Das vorhandene Wohlbefinden sorgt aber parallel für eine geistig wache, angeregte Entspannung. Der Titel steht auch als Sinnbild für die verletzlichen Gefühle, die in einer frischen Beziehung vorherrschen. Solch eine fragile Verbindung sollte wie ein junges Pflänzchen gehegt und gepflegt werden, um gedeihen zu können. Entsprechend rücksichtsvoll und vorsichtig werden die Töne zusammengesetzt. Sie bilden einen zarten Schleier, der jedoch für Zuneigung und Hoffnung durchlässig bleibt. Böse Falle für Radio-DJ`s: Auch dieser Track wird ausgeblendet und bekommt dann noch ein sensibles, introvertiertes Outro verpasst.
Das kurze, instrumentale "Abundande" ziert sich nach anfänglichem Jubel, in einen gelösten Zustand überzugehen und verfällt stattdessen in einen zurückhaltenden Art-Jazz-Klang. "Masque" verbindet Minimal-Art-Abläufe mit inniger Spiritualität und verträumt-gelöstem, psychedelischem Folk-Jazz-Flair. Der Song entführt in ein musikalisches Märchenland, bei dem Singspiel, Kunst-Lied und Traum-Sequenzen eine wichtige Rolle spielen. Es geht bei den Masken ausnahmsweise mal nicht um Corona, sondern sinnbildlich um die Fassaden, hinter denen wir uns verstecken, wenn wir nicht wollen, dass unser wahres Ich zum Vorschein kommt, weil wir Schutz benötigen.
"Medium Rare" zeigt auf, dass Kunst und Kitsch manchmal eng beieinander liegen, sich aber zum gegenseitigen Vorteil gehaltvoll befruchten sollten. Der sentimentale Gesang und die gefühlvoll-weiche Begleitung treffen hier auf ein komplexes Instrumentengerüst mit feinsinnigen Abstufungen und originellen Einfällen. "Colours Of The Sunset" offenbart dann die Essenz aus allen Bestandteilen, die "Rare Pleasure" als Konzeptalbum prägen: Charmante Experimente, betörende Gesänge, eingängige Melodiephrasen und eine brillante, konstruktive Begleitung.
Mndsgn versucht mit "Rare Pleasure" eine Palette von Emotionen abzubilden, die wiederkehrende und einzigartige Momente im Leben ins Gedächtnis rufen. Heraus kommt eine individuelle Sicht, die für die Zuhörer und Zuhörerinnen etliche Identifikationspunkte bereit hält. Und falls diese Übereinstimmungen nicht nachvollzogen werden können, so entführen die Klänge zumindest in eine nicht alltägliche, anziehend-feinsinnige, verführerisch-elegante, exotische und freundlich gestimmte Welt, so dass sich das musikalische Abenteuer wie ein Kurzurlaub in unbekannte Gefilde anfühlt.
Aber es handelt sich eigentlich um eine Simulation dessen, was landläufig als Easy Listening bezeichnet wird. Wobei hier nichts "leicht" im Sinne von "banal" ist! Die geschmackvollen Details sind wichtig für die Beurteilung des Unterschieds zwischen Esoterik-Schund und Ambient-Kunst. Manche Klänge sind so weich und rund, dass das Gehirn sie eigentlich gar nicht richtig wahrnimmt und deshalb Tür und Tor für manipulative Prozesse geöffnet werden. Dieses Verfahren wird nicht genutzt, um seichte Töne zu verbreiten, sondern um facettenreich-anspruchsvolle Klänge ansprechend und appetitlich zu verpacken. Ringgo nutzt den Wohlklang mit der Absicht, niemanden von vornherein vor den Kopf zu stoßen, was er im Rap und HipHop ganz anders kennen gelernt hat.
Die aktuellen Töne dienen als selig machender Impfstoff gegen das allgegenwärtige Mittelmaß und als Bastion gegenüber den schrillen, Effekt-haschenden Dünnbrettbohrern und unflexiblen, auf Einheitsbrei konditionierten Chart-Abonnenten. Das ist ein guter Ansatz, um mehr Substanz unter die Leute zu bringen. Es wäre wünschenswert, wenn dieser Plan aufgehen würde. Aber es ist leider nicht grade verkaufsfördernd, sich stilistisch in einem Sound zu suhlen, der zwischen Steely Dan ("Aja"), Mark-Almond, Stereolab, Sergio Mendes ("Crystal Illusions"), Esquivel und Beach Boys ("Friends") angesiedelt ist. "Rare Pleasure" ist eine Life-Balance-Suite, die für Achtsamkeit, Lebensfreude und Ausgeglichenheit wirbt. Mndsgn befindet sich dabei mit seinem retro-gestützten, intellektuell-behaglichen Sound in guter Gesellschaft mit The High Llamas und Jazz Is Dead.
Die Pop-Symphonie "Rare Pleasure" wird vom Bewusstsein und vom Unterbewussten gespeist und singt ein Loblied auf das menschliche Dasein. Die Instrumente und Stimmen - die teilweise auch wie Instrumente eingesetzt werden - drücken mit jeder Idee das Besondere aus, das jedes Individuum grundsätzlich ausmacht: Die Fähigkeit zum selbstlosen Lieben, eine einzigartige Ausdruckskraft und eine natürliche Begabung, über den Tellerrand zu sehen. Das ermöglicht unter anderem, durch die Verzahnung von Realität und Wunschdenken Innovationen aufzuspüren und freizusetzen. So, wie es bei "Rare Pleasure" geschehen ist. Was für ein seltenes Vergnügen!