Laura Carbone - eine verführerische, zärtlich-wilde Schamanin.
Herausfordernde Kunst basiert häufig auf einer individuell stark ausgeprägten Persönlichkeit. Die Musikerin Laura Carbone profitiert nicht nur von ihren deutschen und italienischen Wurzeln, sondern macht klangliche Kreativität und feinfühlige Spiritualität zu ihren Markenzeichen. Mit der wandelbaren Stimme regt sie die Empfindungen der Menschen an und als Medium geht sie auf Tuchfühlung mit Sehnsüchten, Ängsten, Hoffnungen und Glücksgefühlen. "The Cycle", das vierte Album der in Berlin ansässigen Künstlerin, stellt Kreisläufe in den Mittelpunkt der Überlegungen, was sinnbildlich für die Jahreszeiten, aber auch für das Leben stehen kann. Auf dreizehn Songs schlägt sie also gedanklich einen Bogen vom Werden bis zum Vergehen.
Der Song-Zyklus beginnt mit "Mourning Each Day Away", wo Sehnsucht in intensiv aufgeladene Noten gegossen wird: "Ich sehne mich nach jemandem, der mich hält. Ich wünsche mir, dass du dieser Jemand bist". Aber es hilft manchmal kein Hoffen und kein Bangen, denn längst nicht alle Wünsche gehen in Erfüllung. Was eventuell bleibt, ist die Trauer über verpasste Gelegenheiten. Der Song steht aber auch für Erneuerung und präsentiert deshalb den Frühling im Sinne der Darstellung der Jahreszeiten bei "The Cycle". Laura nimmt uns mit in ein Wechselbad der Gefühle. Intime, akustische Folk-Gitarren erschaffen eine belastbare Struktur und die von Fantasie erfüllten Bass- und Keyboard-Figuren weisen den Weg in eine verschwommene Scheinwelt. Der Gesang wagt einen Spagat zwischen gedankenverlorener Träumerei und brutaler Realität, wobei die Wahl-Berlinerin die unterschiedlichen Stimmungslagen geschickt miteinander koordiniert. Sogar Wut findet einen passenden Platz in diesem dynamisch vielfältig ablaufenden Art-Rock-Emotionstaumel.
Für "Oh Rosalie" wird der Druck und das Energielevel noch erhöht. Dabei fusionieren eingängige Pop-Strömungen mit rauschhaften Schwingungen, was zu einer akustischen Kernschmelze führt.
"Lose My Love" braucht eine Weile, bis sich der Track aus seiner genussvollen, selbstgefälligen Schläfrigkeit befreit und sich stetig mit mächtigem Steigerungspotential zu einem aufbrausenden Monster mit schnarrend-kreischenden Gitarren-Wirbeln entwickelt. Dann gibt es kein Halten mehr und der Track endet in einem überschäumenden Klang-Inferno. Laura lässt sich davon gerne inspirieren und versetzt sich gesanglich in einen ekstatischen Zustand.
"Silver Rain" zelebriert die hypnotische Wirkung eines monotonen Rhythmus, der in Verbindung mit einer angenehmen Melodik den Boden für umschmeichelnde Pop-Nuancen vorbereitet. Gemeinsam bringt das durch die sich gegenseitig anstachelnden Gegensätze einen reibenden Reiz mit sich.
Die filigrane, vom Piano dominierte Ballade "Red Velvet Fruit" entwirft hingegen eine morbide, geisterhafte Atmosphäre, bei der der Stimme die Hauptrolle für die Erzeugung von Gänsehaut-Momenten zugesprochen wird.
Laura singt für "Horses" in einer Tonlage, die sowohl lässig-lasziv als auch müde klingt und in ihrer selbstbewussten, sinnlichen Darstellung an Chrissie Hynde von den Pretenders denken lässt. Das Lied entwickelt durch diese attraktive Kombination eine inbrünstig schmachtende Präsenz, die einen süßen Duft verströmt. Im Jahreszeiten-Zyklus wurde das Lied dem Sommer gewidmet, was durch seine Gelassenheit untermauert wird. "Die Passion und den Mut, die es braucht, um sich zu trauen, für sich einzustehen" sind die Antriebe, die als philosophische Botschaft hinter den verführerischen Noten stecken.
"Run" gehört zu der Kategorie von Songs, die psychedelische Züge tragen, dabei auch Aggressionen zulassen und bedrückende sowie panische Situationen erzeugen, sich aber gegen diese bedrohlichen Vorkommnisse auflehnen. Der Verlauf gleicht einem Vulkan, der sich vom inaktiven Zustand allmählich zur vollständigen Eruption hin entwickelt.
Der sphärisch angehauchte, am Gospel geschulte Folk-Rock "I Miss The Soft Touch Of Rain" neigt zur Dramatik, welche durch Carbones raumgreifenden Lead-Gesang heraufbeschworen und genährt wird. Gegen Ende des Stückes sorgen überraschende Flamenco- und Country-Töne noch für frischen Elan und beruhigende Tendenzen in der vorher aufgewühlten Sound-Landschaft.
Gitarren-Rückkopplungen, extravaganter Gesang und freigeistige, selbstständig agierende Begleitmusiker lassen "Tuesday" zu einer nervlich überspannten Grenzerfahrung am Rande eines durchkomponierten, aber dennoch rauschhaft-aufregend gestalteten Songs werden, der mit improvisierten Experimenten durchzogen ist. Das macht aus Lauras Sicht den Herbst in der persönlichen Betrachtung der Jahresuhr aus.
"Season Without Light" bringt die nächste klangliche Herausforderung mit sich, denn hier mischen sich exotische, auf- und abschwellende Klangschalen-Schwingungen unter die sachlich-klaren Akkorde einer akustischen Gitarre. Laura lässt ihre Stimmbänder manchmal elfenhaft erklingen, wodurch der Track eine weitere esoterische Ausrichtung erhält.
Langsam, weich, vorsichtig und sensibel wurde "The Good" gestaltet, sodass der Song nur durch die in schwindelnde Höhen aufsteigende Stimme aus seiner selbst gewählten Idylle - die den Winter im Jahreszeiten-Reigen symbolisiert - hervorsticht. Die Moral dieses Liedes liegt in der Erkenntnis, sein Schicksal nicht in die Hände von anderen zu legen, sondern aufgrund der eigenen Erfahrungen bei sich selbst zu ergründen, was einem guttut.
Die sowohl versponnenen als auch kraftvollen Folk-Rocker "(You’re A) Star" und "Phoenix Rise" verfügen über eine fein gesponnene, klug auskomponierte, sich dynamisch verändernde Melodie, was die Songs als musikalische Erben des Westcoast-Sounds der Endsechziger Jahre ausweist.
In den 66 Minuten Laufzeit von "The Cycle" bringt die engagierte Künstlerin einige Stil-Wendungen unter. Gesanglich schlüpft sie dabei in sanfte oder robuste Rollen: "Deine Stimme ist dein kraftvollstes Geschenk. Sie hat die Fähigkeit zu inspirieren, zu heilen, zu erschaffen und die Welt zu verändern", kommentiert die Sängerin die Bedeutung ihrer entschlossenen Gesangsbeiträge.
Zusammen mit ihrer Band erschafft Laura Carbone teilweise magische Klangräume, die unter anderem nach unterirdischen Gewölben oder nach Prunksälen klingen. Diese Abwechslungen zeigen die kreativen Möglichkeiten der Künstlerin auf, die dadurch ein interessantes Werk erschaffen hat, das aber auch Durchhaltevermögen bei der Hörerschaft voraussetzt. Und das ist gut so, denn was gibt es beim Musik hören Schlimmeres, als unterfordert zu sein?