Nur nicht lockerlassen: "What A Relief" von Katie Gavin erweist sich mit etwas Geduld als ein verlässlicher und interessanter Begleiter.
"What A Relief" ist das erste Album, das Katie Gavin unter eigenem Namen veröffentlicht. Dabei ist die aus Illinois stammende Musikerin unter Eingeweihten längst keine Unbekannte mehr. Denn sie fungiert als Sängerin und Komponisten des Damen-Trios MUNA, das sich 2013 in Los Angeles gründete und bislang drei Alben herausbrachte. Ihre Musik bezeichnen die Ladys auf ihrer Bandcamp-Seite als "kraftvoll und politisch, gezeichnet von Narben aus Sucht, Missbrauch und Isolation."
Ebenfalls auf Bandcamp bewirbt Katie ihr Debüt in allen Schattierungen, die es musikalisch und textlich zu bieten hat: ""What A Relief" bedient sich der unvorsichtigen Selbstbeherrschung und des bodenständigen Pop-Gefühls von Sängerinnen wie Alanis Morissette und Fiona Apple und nutzt deren Hartnäckigkeit als Leitstern für die eigene Reise zur Selbstfindung. Das Werk ist erfrischend in seiner Bereitschaft, Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind, auch wenn es hartnäckig nach einem freundlicheren, weiseren und liebevolleren Leben strebt."
Intimität, Demut und Melancholie: für das Eröffnungs-Stück "I Want It All" vereinigen sich diese drei Eigenschaften des musikalischen Ausdrucks. Unsicherheit, Unzufriedenheit und Verwirrung sind drei weitere Emotionen, die in der Poesie des Liedes stecken. Alle Zustände zusammen finden sich in einer filigranen Country-Folk-Verflechtung wieder, die durch eine zart schmelzende Melodie und schüchternem Gesang besticht und betört. Das ist beinahe zu schön, um wahr zu sein.
"Aftertaste" geht danach einen anderen Weg und wird nach verhaltenem Anfang zu einem engagierten Country-Pop mit konzentrierten, erzählerisch starken und temperamentvoll-optimistischen Abschnitten. Der Beginn einer neuen Beziehung bahnt sich poetisch an, das löst schließlich in der Regel Glücksgefühle bis hin zur Euphorie aus.
Für "The Baton" sinniert Katie Gavin darüber, was sie ihrer Tochter mit auf den Weg geben würde, wenn sie eine hätte. Es geht ihr hauptsächlich darum, zu vermitteln, dass es wichtig sei, früh Selbstständigkeit zu erlangen, um gegen alle äußeren Einflüsse möglichst sicher gewappnet zu sein. Sinnbildlich übergibt man durch die Erziehung den Erfahrungs-Staffelstab von Generation zu Generation weiter. Wieder ist es die bittersüße Leidenschaft des Country, die dem Track seine Gefühlstiefe verleiht. Wobei dieser Stil sowohl traditionell als auch durch elektronische Töne angereichert dargeboten wird.
Auch die Geschichte von "Casual Drug Use" erscheint rührend und voller Lebensweisheit: Die Protagonistin trifft eine Frau, die in ihrem Auto lebt. Diese Begegnung bringt sie dazu, über ihr eigenes Dasein nachzudenken. Dabei kommt ihr in den Sinn, dass sie dazu neigt, auftretende Schwierigkeiten durch gelegentlichen Drogenkonsum erträglich zu gestalten. Sie weiß im Grunde genommen, dass ihr dieses Verhalten nicht guttut, trägt jedoch die Hoffnung in sich, jederzeit aus dieser Angewohnheit ausbrechen zu können. Aber Verhaltensänderungen sind manchmal schwer umsetzbar. Musikalisch werden Erinnerungen an die intelligent arrangierten Folk-Rock-Songs der Indigo Girls und die coolen Pop-Songs von Fleetwood Mac wach.
"As Good As It Gets" hält eine interessante Fragestellung parat: Kann eine Beziehung auch dann dauerhaft bestehen, wenn sich kein absolutes Hochgefühl einstellt? Ist das Handeln nach purer Vernunft ausreichend? Katie Gavin hat ein instinktives Gespür für reizvolle Pop-Songs, die zwar eingängig, aber keinesfalls beliebig sind, sondern mit geschickt eingebauten Raffinessen aufwarten. Reife Komponierkunst trifft auf geschmeidige Leichtigkeit.
"Sanitized" beherbergt eine mysteriöse Grundhaltung. Zumindest, was die inhaltliche Bedeutung angeht. Geht es etwa um eine Abtreibung oder "nur" um eine Menstruation: "Vielleicht habe ich die Liebe missverstanden. Oh, ich habe unser Baby mit der Badewanne ausgeschüttet. Da geht sie hin, unsere Tochter." Für die Untermalung dieser Überlegungen steht eine glockenartige Tonschleifen-Minimal-Art-Hintergrund-Struktur bereit, die eine seltsame, undeutlich-bedrohliche Twin-Peaks-Stimmung heraufbeschwört. Daneben existiert noch ein unschuldig klingender Gesangsbeitrag. Welch anregender Kontrast!
Allerspätestens mit "Sketches" wird klar, dass Katie Gavin eine außerordentlich fantasievolle Beobachterin und poetisch begabte Künstlerin ist: "Ich habe Gemälde gesehen, die aus dem wirklichen Leben berichten. Und ich habe echte Leben gesehen. Die sind im Vergleich dazu nur Skizzen. Ich kann das behaupten, weil ich ein Teil von ihnen war". Was zauberhaft lyrisch klingt, ist in Wirklichkeit ein Teil der Betrachtung einer toxischen Beziehung: "Als ich "Sketches" schrieb, dachte ich wirklich, dass ich in diese Person verliebt war, aber mir wurde klar, dass es nur eine Skizze von dem war, was ich für Liebe halte." Die belastete Gefühlslage wird behutsam durch einen intimen Folk-Rahmen ausgefüllt, der mit sphärischen Schwingungen ins Tal der Tränen führt, um durch Einfühlungsvermögen nach dem Schmerz das Tal der Glückseligen entstehen zu lassen.
Unter Könnern funktioniert eine bestimmte Konstellation zur Erzeugung bittersüßer Klänge immer wieder hervorragend, weil sie schlicht zu Herzen geht. Wenn im Bluegrass-Modus eine Geige schluchzt, darüber eine sehnsüchtige Melodie liegt, die von mitfühlendem Gesang getragen wird und das Ganze mithilfe einer stabil agierenden akustischen Gitarre, einem zirpenden Banjo und einem sanft brummenden Bass geerdet wird: Dann entstehen himmlische, verzückende Schwingungen. Dieser Sound-Effekt klappt auch bei "Inconsolable", das Traurigkeit über Gefühlskälte in sich trägt: "Warum siehst du nicht, dass ich dich liebe, sogar wenn du dein schlimmstes Verhalten an den Tag legst?"
Bei "Sparrow" geht es ums Werden und Vergehen, aber auch darum, wie sich eine kurzsichtige Handlung rächen kann: "Die Bäume hatten eine Krankheit. Sie wollten eine schnelle Lösung. Eine chemische Behandlung. Um ihr Unrecht wiedergutzumachen. Nun, es hat das Virus auf jeden Fall getötet. Aber niemand hat es bemerkt. Ooh, bis der Frühling gekommen war. Dass die Vögel alle starben. Die Erde war vergiftet worden."
"Sparrow" lässt sich stilistisch als ein ruhig fließender Folk-Tronic-Song mit Country-Referenzen bezeichnen. Solides Handwerk geht vor Extravaganz, traditionelle Muster bekommen Vorfahrt vor intellektuellen Experimenten.
Anders, nahezu umgekehrt, ist das Vorgehen bei "Sweet Abby Girl" geregelt. Das sich um die Zeit mit ihrem verstorbenen Hund drehende Stück fußt auf zirpenden, sausenden Synthesizerklängen, zappeligen Trommeln und verzerrten Gitarren-Tönen, die im Hintergrund rumoren. Katie setzt sich gesanglich für galante Stabilität ein und unterstützt nach Kräften die liebliche Melodie bei ihrer die Seele streichelnden Wirkung.
In "Keep Walking" dreht es sich um eine unverhoffte Konfrontation mit der Vergangenheit. Das Ignorieren der verflossenen Liebe scheint eine Option zu sein, mit der Situation umzugehen. Dennoch können Wunden aufgerissen werden. Auf jeden Fall bereitet das Zusammentreffen bei den Beteiligten gemischte Gefühle. Der Song lässt letztlich Zuversicht entstehen. Es schwingt sogar eine gewisse unterschwellige karibische Ausgelassenheit mit.
Mit einer schonungslosen Bestandsaufnahme ist bei "Today" zu rechnen: "Ich baute ein Königreich ganz für mich allein. Ich wollte Freiheit, ich wollte keine Hilfe. Ich wusste nicht, dass ich mein Grab schaufelte", heißt es da. So erschütternd die Aussage ist, so tröstlich ist die Musik. Im Mittelpunkt steht Katies introvertierter Gesang und eine akustische Gitarre, die stoisch-unbeirrt immer die gleichen monotonen Akkorde wiederholt. Sensibilität und Zuverlässigkeit gehen eine heilende Allianz ein.
Der Unterhaltungswert von "What A Relief" wächst mit jedem Hördurchgang. Wirken die Country-Pop-Nummer zunächst noch wie kommerziell motivierte Ausrutscher, so fügen sie sich spätestens nach dem dritten Durchlauf als schwungvolle Auflockerungen in das vielfältige Geschehen positiv ein. Es ergibt sich von ganz allein, dass im Laufe der Zeit aus einer ganz netten Platte eine beglückende Hörerfahrung wird, ohne dass man sich die Lieder mühsam "Schönhören" muss. Dazu tragen der aparte, stets sympathisch-unaufdringliche Gesang von Katie und die Begleit-Musikerinnen und -musiker - zu denen auch MUNAs Josette Maskin gehört - maßgeblich bei. Sie unterstützen jede Gefühlsregung authentisch und originell. Die intelligente Lyrik nimmt diese gefällige und kultivierte Musik ins Schlepptau und wertet das Gesamtbild damit unauffällig auf. Alle Zutaten ergeben zusammen eine bekömmliche, nahrhafte Mischung. Wobei die Intimität die erschütternde Komponente der Songs darstellt und der Pop-Einfluss der Schmierstoff für die unstillbare Lebensfreude ist.
Aber warum bekam das Album den Namen "Welche Erleichterung"? Ist die Erleichterung über das Gelingen des Solo-Ausflugs gemeint? Oder die Erleichterung, alle Wechselfälle des Lebens bisher einigermaßen schadlos überstanden zu haben? Zumindest scheint es Katie Gavin aufgrund der herrschenden Lage gutzugehen, und das ist doch die Hauptsache.