Josh Tillman legt mit "Mahashmashana" einen Musterkoffer seiner Fähigkeiten vor und gibt damit eine sehr überzeugende Visitenkarte ab.
Joshua Michael Tillman alias Father John Misty komplettiert und festigt seine bisherigen Sound-Vorstellungen. Nach dem 2022er-Werk "Chloe And The Next 20th Century", das vom Swing, dem Great American Songbook und von ehrwürdigen Songwritern wie Harry Nilsson beeinflusst war, schenkt der umtriebige Singer-Songwriter mit "Mahashmashana" wieder ausschweifenden und wuchtigen Kompositionen seine Aufmerksamkeit. Das sechste Father-John-Misty-Album beinhaltet acht Stücke mit einer Laufzeit von 50 Minuten. Von denen ist keiner kürzer als vier Minuten und der längste läuft sogar über neun Minuten.
Für die Realisierung der aktuellen Platte hat sich der eigenwillige, 1981 in Rockville (!) (Maryland) geborene Künstler, wieder mit Drew Erickson, der schon beim Vorgänger-Werk für die Produktion mitverantwortlich war, zusammengetan. Der gleichgesinnte Jonathan Wilson besitzt ein Händchen für extravaganten Art-Rock und fungiert als kompetenter Gönner und Geldgeber. Josh hat sich erneut eine spezielle Form der Poesie ausgedacht, die neben klaren Aussagen auch jede Menge bizarre Wortkombinationen enthält. Gut so, das eröffnet Räume für eine breite Deutungsvielfalt.
Das Album "Mahashmashana" beginnt mit dem Song "Mahashmashana". Das Wort stammt aus dem Sanskrit, einer indischen Gelehrtensprache und bedeutet wörtlich übersetzt "großer Feuerbestattungsplatz". Im Hinduismus und Buddhismus wird diese Bezeichnung als Umschreibung für die Vergänglichkeit des Lebens und den sich nach dem Tode anschließenden Übergang in eine andere Daseinsform benutzt. So tiefgründig die Erklärung ist, so mächtig ist auch die Komposition. Und zwar nicht nur aufgrund ihrer opulenten Erscheinung, die einen aufwändigen Hollywood-Blockbuster mit packender Dramatik ausfüllen könnte, sondern auch wegen der Länge von fast neuneinhalb Minuten.
Souverän steuert Mr. Tillman den Song, lässt keine Langeweile aufkommen und nutzt die Gunst einer voluminösen Instrumentierung zur Erzeugung von großen Gefühlen: Wehmut, Leidenschaft, Optimismus und Zuversicht schwingen in den orchestral aufgeschichteten Noten mit.
"She Cleans Up" ist ganz anders drauf. Hier hört man punkigen Rock & Roll, der mit einer gehörigen Portion Funk-Erdung versehen wurde. Aufruhr liegt in der Luft und wildes Saxofon-Getröte heizt die Stimmung an. Ein motivierendes Gefühl befreit den Geist von jeglicher grüblerischen Beschränktheit und deshalb ist der Track eine Quelle zur Erlangung von Unbeschwertheit. Da es Verbindungen zwischen Tillman und den schwedischen Viagra Boys gibt, weist die Komposition in ihrer lässig rockenden Grundhaltung nicht ohne Grund Ähnlichkeiten mit deren "Punk Rock Loser" auf.
"Josh Tillman And The Accidental Dose" wurde knifflig-vielschichtig und spannungsgeladen zusammengesetzt und dabei mit einer köstlichen Melodie versehen. Dynamiksprünge, überraschende Einschübe und kurze Soli gehören zu dieser kunstvollen Gestaltung wie selbstverständlich dazu. Die dabei prominent eingesetzten Streichinstrumente streicheln die Sinne, erzeugen Schockmomente und lassen die Luft wie bei großer Hitze flirren.
Bei "Mental Health" offenbart Misty seine herausragenden Schnulzen-Sänger-Qualitäten, wobei er auf die Unterstützung eines weit ausholenden, weichen, üppig gestalteten Sound zählen kann. Mithilfe dieser Verbindung lässt er selbst solche Crooner-Urgesteine wie Andy Williams, Tony Bennett oder Barry Manilow alt aussehen. Wäre er mit dieser Stimmlage Verkäufer geworden, hätte ihm kein Kunde aufgrund seiner charmanten Ausstrahlung widerstehen können.
Das facettenreiche "Screamland" weist hintergründige, wenig auffallende und vordergründige, das Ohr einnehmende Bestandteile auf. Kaum merkbar ahmen Trommeln den Herzschlag im Ruhezustand nach, der sich trotz des stellenweise aufkommenden Getöses nicht aus der Ruhe bringen ließ. Auf der großen Bühne der gemischten Gefühle ist einiges los: Traurigkeit hält Einzug, Unbehagen breitet sich aus und tumultartige Szenen spielen sich ab. Sakrale Spiritualität findet genauso statt wie schrille Verzweiflung, die den Track bis zu seinem plötzlichen Ende begleitet.
Josh Tillman litt ab 2016 fünf Jahre lang unter einer Persönlichkeitsstörung, durch die er nicht richtig mit anderen Menschen und seinem "geistigen Ich" in Beziehung treten konnte. "Being You" setzt sich damit auseinander. Musikalisch bezieht sich die Ballade auf einen langsamen Trip-Hop, der mit entrückten kammermusikalischen Referenzen und behutsamen Jazz-Träumereien veredelt wurde.
Wurden dem Saxofon eben noch Zügel angelegt, so darf es sich für "I Guess Time Makes Fools Of Us All" funky und ungezwungen geben. Das Stück transportiert durch sein polyrhythmisch angelegtes Schema karibischen Schwung, der sich in der Mitte des achteinhalb Minuten langen Songs in einem kurzen Percussion-Solo tonangebend manifestiert. Weitere stimulierende Einzelaktionen von E-Gitarre und Saxofon schmiegen sich genauso passgenau in den durchgängig mild groovenden Ablauf ein.
"Summer`s Gone" reflektiert Sound-technisch das alte, sentimentale Hollywood, bei dem die Stars noch mindestens Halbgötter waren. Inhaltlich setzt Joshua den vergangenen Sommer mit einer ausgelaugten Liebe gleich: "Was wird aus der Sehnsucht. Wenn deine Liebe erschöpft ist?"
Josh Tillman ist mit seinen 43 Lebensjahren schon ein alter Hase im Showgeschäft. Er begann seine Karriere während der College-Zeit als Schlagzeuger, schrieb aber nebenher schon eigene Songs. Seine Demo-Aufnahmen gelangten in die Hände von Damien Jurado, der ihn spontan als Support-Act mit auf Tournee nahm. Von 2008 bis 2011 stieg Tillman als Drummer bei den Fleet Foxes ein, danach konzentrierte er sich wieder auf seine Soloarbeit. Unter dem Namen J. Tillman nahm Josh von 2006 bis 2010 acht regulär veröffentlichte, überwiegend intim-leise und melancholisch-verletzliche Alben auf, bevor er 2012 mit "Fear Fun" zu Father John Misty mutierte, der es eher vollmundig-schwelgerisch und hymnenhaft-prunkvoll mag.
Ist "Mahashmashana" die bisher überzeugendste Platte von Josh Tillman als Father John Misty? Wahrscheinlich, aber sie ist auf jeden Fall seine abwechslungsreichste. Ist "Mahashmashana" die letzte Platte von Josh Tillman unter dem Spitznamen Father John Misty? Vielleicht könnte die Feuerbestattungs-Verbindung im Titel ein versteckter Hinweis darauf sein. Was soll denn auch noch nach "Mahashmashana" an Steigerung folgen, wo sich das Werk in seiner satten, großzügigen, beinahe vollkommenen Fülle sowieso wie ein zufriedener, am Ziel angekommener Abgesang anhört? "Mahashmashana" ist ein Meisterwerk und lässt musikalisch keine und textlich einige Fragen offen.