David Keenan ließ sich Zeit für sein erstes Album, überzeugt damit aber jetzt auf ganzer Linie.
Um die Kunst von David Keenan richtig einordnen zu können, ist es notwendig, etwas über seine Biografie und Motivation zu erfahren. Der Musiker ist nahe der irischen Kleinstadt Dandulk aufgewachsen, die zwischen Dublin und Belfast an der Grenze zu Nordirland liegt. Politische Spannungen gehörten also stets zum alltäglichen Umfeld im Leben des Musikers. Reibungspunkte, Kontroversen und emotionale Ausnahmesituationen spielen wohl deshalb eine gewichtige Rolle in den Kompositionen des außergewöhnlichen Talentes. Dundalk mag nicht der Nabel der Welt sein, aber die Bedürfnisse, Ängste, Wünsche und Leiden der dort lebenden einfachen Leute lösten Assoziationen aus, die neben den Beziehungen zu feingeistigen Literaten wie Samuel Beckett den Weg zu den Song-Ideen ebneten.
Eine obsessive Leidenschaft für die englische Brit-Pop-Combo The La`s gab schließlich den Anstoß für einen Umzug nach Liverpool, als er 17 war. Geldmangel zwang ihn dazu, dort als Straßenmusiker aufzutreten, was als Konsequenz seine Kommunikationsfähigkeit und sein Selbstvertrauen stärkte. Mit der Erkenntnis, dass eine aufopfernd-anstrengende Art zu musizieren nur mit Disziplin sowie geistiger und körperlicher Gesundheit aufrecht zu erhalten ist, kehrte er vor ein paar Jahren nach Irland zurück, verschickte Demo-Aufnahmen und brachte so seine Karriere allmählich zum Laufen.
Seitdem entstehen seine mutigen, intensiv-schneidenden Schöpfungen, die von Leidenschaft, Wut, konstruktiver Melancholie und missionarischem Eifer geprägt sind. Und der Wahnsinn lugt auch manchmal um die Ecke. Davids ungebremst durchdringender Gesang lässt dabei Erinnerungen an David Gray, Kevin Coyne, John Martyn, Damien Rice, Jeff Buckley oder David Crosby aufkommen. „Ich möchte riskieren, alles auseinander zu reißen, um vielleicht etwas Neues zu entdecken, und ich bin bereit, dieses Risiko einzugehen.“, hat er einmal in einem Interview betont und in diesem Sinne wirkt sein erstes Album, das hauptsächlich innerhalb von einer Woche in einer Situation zwischen Chaos und Ruhe in dem Hellfire Studio am Fuß der Dubliner Berge eingespielt wurde, abenteuerlich, drastisch, aufrichtig und bewegend.
Die Eigenkomposition „James Dean“ wurde bereits 2018 auf der EP „Strip Me Bare, Vol. 2“ veröffentlicht und symbolisiert sowohl Zärtlichkeit wie auch Verwundbarkeit. Es geht inhaltlich um einen Traum, in dem die jung gestorbene Schauspieler-Ikone James Dean gesund und munter einem ruhigen Leben nachgeht: Er arbeitet für die irische Eisenbahn. Der schmerzlich-schroffe Folk-Song, der Solo zur verstärkten Gitarre vorgetragen wird, ist durch ausladende stimmliche Extravaganzen gekennzeichnet. So macht David gleich zu Beginn seines Werkes darauf aufmerksam, dass berechenbarer Mainstream nicht sein Ding ist.
In voller Band-Besetzung, mit verlässlich aufmunternder Rhythmus-Abteilung und volksnaher, schmückender Geige ausgerüstet, hinterlässt „Unholy Ghosts“, das vollständig während einer Zugfahrt von Amsterdam nach Köln geschrieben wurde, oberflächlich ein schwungvolles Folk-Rock-Bild. Der Wille zum Aufbegehren und eine kritische Beobachtungsgabe lassen sich aber nicht andauernd unterdrücken: Die aggressiven Untertöne, die eine ungestüme Energie aussenden, können nicht zurück gehalten werden und so wird das Lied beinahe zum bersten gebracht.
Im Video zu „Altar Wine“ geht es laut Regisseur Mark William Logan um die Dämonisierung des Weiblichen durch religiöse Institutionen, den Missbrauch unseres Planeten durch den Kapitalismus und das Trauma, das unsere Ahnen durch Unterdrückung an uns weiter geben. Schwere Kost also, die David dazu gebracht hat, sich quasi in Exorzismus-Manier auszutoben. Er berichtet jedenfalls davon, dass er sich noch nie so weit am Rande des Irrsinns bewegte - aber letztlich auch befreit gefühlt hat - wie beim Dreh zu diesem teils verstörenden Kurzfilm. Die Musik verhält sich dazu sowohl mystisch verhangen und poetisch verhalten wie auch rebellisch auflehnend.
Die Ballade „Love In A Snug“ verharrt nicht in Sentimentalität, sondern präsentiert einen leidenden Sänger zwischen Tragik und Hoffnung. Diese nahegehende Berg- und Tal-Fahrt wird durch flexible, inspirierte Begleitmusiker in Szene gesetzt. Sie verzieren das Stück mit kunstvollen Tönen, die sowohl traditionelle folkloristische Muster bedienen, wie auch jazz-rockige Klänge zulassen. Für das bitter-süße Piano-Stück „Tin Pan Alley“ bietet Keenan danach die ganze Palette seines ausdrucksstarken Gesanges auf, was dem Stück ehrfurchtsvolle Dramatik verleiht.
Die verschlungen-introvertierte Art eines Westcoast-Hippie-Songs leitet „Good Old Days“ ein, bevor der Track durch den sich allmählich steigernden Mystic-Folk-Überbau nahrhaft angereichert wird. Das mündet in eine Session, die so klingt, als würden die Dexys Midnight Runners und die Waterboys gemeinsam musizieren. Binnen einer Minute entwickelt sich dann „The Healing“ von einem introvertierten Stück über einen Fake-Walzer zu einem rockigen HipHop-Reggae-Verschnitt. Diese unüblichen Abläufe und Zutaten kommen wechselseitig zum Einsatz, ohne dass dadurch ein zusammengestückelter Eindruck entsteht. Im Gegenteil: Der Track steigert sich zum Schluss noch zu einem entfesselten gemeinschaftlichen Höhepunkt.
Sechs Minuten lang hadert David bei „Origin Of The World“ mit seinen Gefühlen. Das Lied läuft erwartungsvoll, aber gleichförmig ab. Die letzte Minute füllt das Team dann mit gehetzt-unruhigen Klängen auf, die die innere Zerrissenheit des Protagonisten dokumentieren. „Eastern Nights“ ist wieder eine Solo-Nummer mit einer einsamen elektrischen Gitarre als einzigen Verbündeten. Der Track bemüht sich sperrig und unbeholfen darum, eine eindrucksvolle Melodie zu erzeugen, ergeht sich aber letztlich in einem gedankenverlorenen Seelengesang.
„Evidence Of Living“ lebt lange von der innigen Zwiesprache zwischen Piano und Stimme. Beinahe unmerklich werden schwebende Orgelklänge dazu gesteuert, bevor irrlichternde Streicher, ein schwelgender Chor, ein mächtiges Schlagzeug sowie eine nun präsentere Orgel das anrührende Stück zu Ende bringen. Das epische, achtminütige „Subliminal Dublinia“ arbeitet sich im Anschluss von einem energischen, wortreichen Folk-Song zu einer hypnotischen Beschwörung voran, die durch einen monotonen Chor zwischenzeitlich noch intensiviert wird.
Der 26jährige poetische Singer-Songwriter kann in der Plattensammlung zwischen Nick Cave und Benjamin Clementine angesiedelt werden, da sein kompromissloser Ausdruck und seine individuelle Klasse zu den Charakteren beider Musiker passt. Seine Songs mögen nicht beim ersten Hören zünden, aber die Energie und Inbrunst des Vortrags sorgen dafür, dass sie mindestens eine zweite Chance verdient haben. Spätestens dann leuchtet die einsame Klasse des kreativen Komponisten und Interpreten, der seine Texte als anspruchsvolle Lyrik formuliert, hell auf. „A Beginner`s Guide To Bravery“ ist nämlich die eindrucksvolle Schöpfung eines ganz großen hingebungsvollen Individualisten.