Vielschichtig, fantasievoll und melodisch verzwickt: Daniel Rossen nutzt die Veröffentlichungs-Pause von Grizzly Bear für einen originellen Solo-Ausflug.
Es ist eine Bürde, wenn man als Frontmann einer angesehenen Band auf Solo-Pfaden wandelt, denn die Fans erwarten dann eine besonders außergewöhnliche Tat oder etwas nicht ins bisherige Gruppengefüge Passendes. Ansonsten hätten die gesonderten Aktivitäten schließlich auch im bisherigen Verbund erscheinen können. Und wenn es sich dann noch um solch eine exquisite Formation wie Grizzly Bear handelt, dessen Daniel Rossen nun eigenverantwortlich tätig ist, dann hängt die Messlatte besonders hoch. Qualität verpflichtet eben.
"You Belong There" fällt dadurch auf, dass das Werk in seiner verschnörkelten Pop-Art eher den Grizzly Bear-Schöpfungen ähnelt, als den skurrilen Pop-Experimenten, die Rossen zusammen mit Fred Nicolaus als Department Of Eagles entwarf. Vergleicht man wiederum "Painted Ruins", die letzte Grizzly Bear-Platte aus 2017 mit "You Belong There", so weisen beide Werke einen ähnlichen Komplexitätsgrad auf. Bei "Painted Ruins" waren es die weichen Melodien, die die ausladend-verschlungenen Instrumentalpassagen leicht verdaulich machten. Beim ersten Solo-Album von Daniel Rossen stechen dagegen interessant verflochtene Sound-Ideen prominent hervor, um die Gehörgänge, die erwartungsfroh auf Anregung hoffen, zu erfreuen. Das gelingt, ohne sich dabei als Hörer mit schwierig nachvollziehbaren Klängen einlassen zu müssen. Man sollte dieser Musik auch kein Etikett wie Progressive- oder Art-Rock aufkleben, sondern die Töne einfach als intelligente Unterhaltungsmusik genießen.
Wabernde Schwingungen verleiten bei "It’s A Passage" dazu, die Gedanken in Träumereien abschweifen zu lassen. Unterstützende, gezielt gesetzte, herausfordernde Noten lösen die Gefühlsduselei verlässlich auf und sorgen dann für eine beständige Wachsamkeit. Die lebhafte akustische Gitarre lässt an spanische Flamenco-Musik denken, der Synthesizer verbreitet mahnende, drohende Akkord-Schübe, Schlagzeug und Bass sind der Fels in der Brandung und Daniel Rossen singt so bewegt und anrührend wie ein gefallener Engel. Das ist eine Stimme, die nicht durch Macht, sondern durch Einfühlungsvermögen überzeugt.
Bei dem theatralisch ineinander verschachtelten Song "Shadow In The Frame" bildet - wie häufiger auf "You Belong There" - die Interaktion zwischen der akustischen Gitarre, die sowohl klassisch wie auch folkloristisch ausgerichtet sein kann, zusammen mit der elastischen Rhythmus-Abteilung eine treibende Kraft. Für das Stück "You Belong There" werden düstere, aufwühlende Klangkaskaden aufgebaut, die Unheil ankündigen. Die Bedrohung löst sich jedoch zu Gunsten eines friedlichen Endes allmählich auf. Nicht alle Befürchtungen werden also wahr, das Leben hält dann und wann auch ein Happy-End bereit.
Gegensätze ziehen sich an, wie Gelassenheit und Hektik in "Unpeopled Space". Neben- und übereinander sind sie für die Erschaffung von Bewegungsenergie innerhalb des Tracks zuständig. So wie bei einem Bimetall unterschiedliche Wärmeausdehnungs-Beschaffenheiten für das Verbiegen des Werkstücks verantwortlich sind, so sind an dieser Stelle die unterschiedlichen emotionalen Aggregatzustände der Garant für einen Song mit permanent aktiviertem Erregungspotential. Mit "Celia" wird dann ein kurzer, trauriger Track mit niedergeschlagenem Gesang eingestreut, der sakrale Züge trägt.
Wasserfallartige Piano-Kaskaden eröffnen "Tangle", das kurz danach wild strudelnd am Rande der Kakophonie taumelt. Das Durcheinander wird daraufhin kurz aufgefangen, verliert im Anschluss aber umso mehr die Fassung und flirtet mit dem Irrsinn. In der zweiten Hälfte gewinnt das Stück an Konturen, sträubt sich aber dennoch gegen einen vorhersehbaren Ablauf. Das ist mutig und eigentümlich. Bertold Brecht, Kurt Weill und Scott Walker hätten ihre Freude daran gehabt.
Mit "I`ll Wait For Your Visit" ist Daniel Rossen zurück im neoklassischen Pop-Art-Umfeld und unterlegt den pulsierenden Song mit rasanten Jazz-Grooves, perlenden Klavier-Läufen und lyrischen Zwischenstopps. Der atmosphärisch dichte, einfallsreich-verspielte Folk-Jazz von "Keeper And Kin" bedient schließlich sehnsüchtige Aspekte, erfüllt aber auch künstlerisch hochwertige Erwartungen. Als Ergebnis kann von empathischer Avantgarde gesprochen werden.
Für "The Last One" trifft Country-Folk auf Jazz und geht eine abenteuerliche Affäre ein, bei der beide Stile zu einer zwar offensichtlich gelassenen, aber unterschwellig gereizten Verbindung fusionieren. "Repeat The Pattern" führt zunächst auf eine falsche Fährte, weil sich das Stück anscheinend als harmlos-bedächtiger Barock-Pop zu erkennen gibt. Der Reiz des Songs liegt tatsächlich in seiner Sorglosigkeit, die durch opulente Arrangements so aufgewertet wird, dass sich ein feierlich-anrührender Sound ergibt.
Daniel Rossen, der sein Solo-Werk im Heimstudio in Santa Fe aufnahm und dafür Kontrabass, Gitarre, Cello und die Holzblasinstrumente selber einspielte, zeigt Geschmackssicherheit. So kommt es, dass trotz der gebotenen anspruchsvollen, dramatischen Gestaltung die Leichtigkeit des Seins zumindest im Hintergrund stets mitschwingt und den Kompositionen einen gelassenen Unterton mitgibt. Schönheit und Einfallsreichtum kennzeichnen die verwunschenen und verschrobenen Klanglandschaften, die auch nach etlichen Hördurchgängen nicht alle Perspektiven gänzlich preisgeben möchten.
Daniel Rossen wurde am 5. August 1982 in Los Angeles geboren und fing im Jahr 2000 an, Musik zu machen. Im Jahr 2004 stieg er bei Grizzly Bear mit dem Album "Horn Of Plenty" ein. Rossen nennt Van Dyke Parks und Paul McCartney als Einflüsse und diese Kombination veranschaulicht auch seinen Ansatz der luxuriös-eigentümlichen Inszenierung in Verbindung mit einer melodisch-eingängigen Extravaganz der Lieder. In diesem Spannungsfeld zwischen Fantasie und solidem Handwerk kann sich Daniel Rossen jedenfalls optimal entfalten. Wer neben Grizzly Bear auch Steven Wilson, Efterklang, David Sylvian, Tim Bowness oder Elbow schätzt, der wird auch an "You Belong There" große Freude haben.