Blow erzeugen auf "Shake The Disease" aufreizende, unter Umständen sogar heilsame Klänge, die nicht verschreibungspflichtig sind.
Wo ein Anfang ist, muss auch ein Ende sein. Und so ist zu vermelden, dass sich die Formation Blow aus Frankreich schon vor der Veröffentlichung ihres zweiten Albums "Shake The Disease", das am 14. Januar 2022 erscheint, aufgelöst hat. Quentin Guglielmi (Texte und Gesang), Thomas Clairice (Synthesizer und Bass) und Jean-Etienne Maillard (Gitarre) geben interne Differenzen für das Aus an, erklären aber auch, dass sie weiterhin unabhängig voneinander schöpferisch tätig sein wollen. Dennoch ist die Trennung bitter, denn das neue Werk präsentiert klug durchdachte, saftig produzierte Kompositionen mit Schwung und Tiefgang. Diese Kombination versprach interessante Zukunfts-Aussichten.
"Meguro" ist ein Stadtteil von Tokyo. Dazu lässt sich jedoch weder aus dem kryptischen Text noch aus dem offiziellen Video zu dem Lied eine Verbindung ableiten. Der Song hört sich an, als würden Rhythmen und Melodie eine schlüpfrige Vereinigung von Sinnlichkeit und Leidenschaft anstreben. Der Bass rumort wie ein brunftiger Stier, die Gitarre kitzelt erotisch, schemenhaft wehende Synthesizer-Töne bringen Romantik ins Spiel und der Gesang vermittelt Vertrauen und verspricht ausgelassenen Spaß. Ein perfekter Schlafzimmer-Sound!
Ein satter Bass, stimulierende Funk-Riffs, kitschig hervorgehobene, spitze, kreischende und klickende Gitarren sowie kribblig-aufregende Dynamik-Schwankungen lassen "Special" zu einem raffiniert-fordernden Dance-Track anschwellen. "Full Delight" pulsiert danach regelmäßig in forschem Tempo und wird dabei von einem erfrischend aufspielenden Schlagzeug als Taktgeber unterstützt, so dass sich die anschmiegsame Melodielinie nur schwer gegen diese eingeschwungenen, eilig voranschreitenden Gegebenheiten durchsetzen kann. Letztlich gibt es ein Remis zwischen der ausgeglichen-ruhigen Stimmlage und den sich sportlich-ausdauernd bewegenden Instrumental-Passagen.
Für "Lost Your Soul" wird in einen desillusioniert-gleichgültigen Gesangs-Modus gewechselt. Die gedrückte Stimmlage bewegt sich entlang des Falsett und das vokale Tempo bleibt durchgehend langsam, wobei der Refrain gebetsmühlenartig wiederholt wird. Auf diese Weise entsteht ein Track, dessen Rhythmus sich zwar aufbäumt, aber zwangsweise an die Kette genommen wird, so dass er sich nicht aufmunternd auswirken kann. Die Melodie mag sich auch nicht so richtig behaupten und entfalten. Aufgrund der irritierenden Fremdartigkeit ist das Stück allerdings hörenswert, weil es ungewöhnlich gegenläufig konstruiert ist.
"Keep On Fighting" beinhaltet eine deutliche Referenz an Daft Punk, Nile Rodgers-Gedächtnis-E-Gitarren-Akkorde inbegriffen. Der Song hat einen Killer-Groove, ist mit Hook-Lines gespickt und wirkt so euphorisierend, dass er das Lustzentrum des Gehirns lange Zeit blockiert, wenn er einmal gezündet hat. Ein Hit! "One Life" liebäugelt damit, die Gunst der Hörerschaft durch nüchterne Sachlichkeit zu erlangen. Das Tempo scheint gedrosselt zu sein, jedenfalls wird das Stück nicht von der Leine gelassen, damit der Club zum Kochen gebracht werden kann. Der Bass blubbert angenehm, das Schlagzeug swingt fröhlich, Synthesizer malen entweder sphärische Schäfchenwolken in den Äther oder geben munter ploppende Töne von sich. Und der Gesang streicht unauffällig-ausgleichend sowie versöhnend über das sachlich-lockere Geschehen hinweg.
Mit einer Rhythmik, die aufgrund ihrer afrikanischen Wurzeln an Paul Simons "Graceland" erinnert, betätigt sich "Free Fallin" als mild gesonnener, weltmusikalischer Electro-Pop-Botschafter, der vermitteln, aber sich nicht in den Vordergrund drängen möchte. "Duality" ist ein kurzes instrumentales Zwischenspiel, das wie ein unvollendeter Track klingt, dem noch kein Gesang zugeordnet wurde.
Der Song "Shake The Disease" gleitet quasi auf einer weichen, samtenen Noten-Oberfläche dahin. Ohne Ecken und Kanten verkörpert die Musik einen glatten Soft-Soul-Sound, der sich durch die einfühlsamen Harmonie- und Duett-Gesänge von Anna Majidson kuschelig anpasst, aber doch eine gewisse Distanzierung ausstrahlt. Diese Reibungen lassen das Lied bei allem Sanftmut unter der Oberfläche knistern. Mit "Scarlett Crush" verhält es sich ähnlich, auch wenn hier die Taktung etwas vehement-offensiver ausgelegt ist.
"Otherline" erinnert an den sperrigen Soul und Psychedelic-Rock von Lewis Taylor, der sein unkonventionelles Erstlingswerk 1996 veröffentlichte und mit diesem ebenso wie mit seinem zweiten, erst vier Jahre später erschienenen Werk "Lewis II" leider kommerziellen Schiffbruch erlitt. Künstlerisch sind die Alben allerdings vom Feinsten. Break Beats, geheimnisvolle Fills und eine Stimme, die zu einem gebrochenen Mann zu gehören scheint, lassen "Otherline" auf eine kunstvolle Weise skurril, zerrissen und extravagant erscheinen. "Suicide Love" verbindet zum Schluss meditative, hingebungsvolle Momente mit aufblühend-hellen Bestandteilen, so dass ein absichtlich in sich verwickeltes und verdrehtes Erscheinungsbild entsteht.
Blow erfinden die elektronische Pop-Musik auf Funk- und Soul-Basis nicht neu, sie legen aber mit "Shake The Disease" ein Zeugnis darüber ab, was alles in diesen Verbindungen an Möglichkeiten steckt. Das Trio beschränkt sich in ihrer Sinnsuche nicht nur auf den Party-Aspekt, sondern bringt auch eine Ebene der ernsthafteren Soundgestaltung mit ein. So entsteht ein Treffen von entgegengesetzten Kräften, die dem Yin & Yang entsprechen, was sowohl die Texte wie auch die Musik kennzeichnet. Deshalb kann das Album nicht nur als Spaß-Verstärker herangezogen werden, es funktioniert auch prächtig als ein Alltagsbegleiter, der unterschiedliche emotionale Ebenen vermittelt. Vielleicht können durch diese unterschiedlichen Stimulationen wirklich Krankheiten abgeschüttelt werden. Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert. Schade nur, dass sich die Band trotz dieses überzeugenden Werkes getrennt hat, aber jedes Ende ist schließlich auch ein neuer Anfang!