Die Abhängigkeiten zwischen Text und Musik, welche extreme Emotionen hervorbringen, spielen bei "Beach Day" von Another Sky eine entscheidende Rolle.
Es gibt endlich Nachschub von Another Sky, dem 2017 in London gegründeten Quartett, das 2020 ihr erstes Album "I Slept On The Floor" veröffentlichte. Das Werk enthielt zum Großteil interessanten Dream- und Art-Pop sowie kratzbürstigen Post-Punk. Im Mittelpunkt dieser spannungsgeladenen Musik befand sich die schneidend intensive, teils verwirrend extravagante Sängerin Catrin Vincent. Sie lässt sich weder stilistisch noch geschlechtlich oder emotional eindeutig zuordnen und das ist gut so. Besonders eindringlich und herausfordernd sind ihre Falsett-Gesangs-Exkursionen, die die Hör-Nerven unter Umständen mächtig anstrengen können.
Hohe Gesangs-Töne offenbaren eventuell Einblicke in eine mysteriöse Zwischenwelt: Geschlechter-Rollen verschwimmen in einem Bereich, in dem irdische und überirdische Erscheinungen sowie psychische Innen- und Außenansichten auftauchen. Eine Stimme, die Rock-Musik und Kunstlied bedienen kann, nimmt dadurch verschiedene Gestalten an. Wir befinden uns dann in einem Wirbel aus Geräuschen, der aus einer Vielzahl von Gefühlsregungen gespeist wird: Sind das eventuell die Klänge des Leidens oder doch der Lust? Wird etwa tiefes Entsetzen oder vielleicht eher heftiges Erstaunen ausgedrückt? Alles ist möglich, nichts muss so sein, wie es beim ersten Eindruck erscheint. Glaubwürdigkeit bestimmt das Handeln. Die textlichen Aussagen klären in der Regel über Zusammenhänge und Zuordnungen der Wahrnehmungen auf. Verletzlichkeit, Angst, Zorn, Mut und Willensstärke haben die Gedanken von Catrin Vincent beeinflusst und tragen zum kontrastreichen Eindruck von "Beach Day" bei.
Das flexibelste Instrument, das es gibt, ist die menschliche Stimme. Sie demonstriert hier ihre Wandlungsfähigkeit und Macht. Und im Einklang mit gleich gesinnten, eingestimmten Instrumentalisten kann daraus ein überzeugendes, packendes, gediegen-verzückendes Gesamtpaket entstehen.
Der Song "Beach Day" schleicht sich vorsichtig aus dem Nebel ins Licht. Er wartet mit absurd übertriebenem, jubilierendem Gesang auf, der sich mehr und mehr als Markenzeichen durchsetzt. Coole E-Gitarren-Akkorde, ein beharrlich-unauffällig klopfendes Schlagzeug, ein stützend-verbindender, sich energisch aufschwingender Bass und glitzernde Keyboard-Verzierungen erzeugen eine erwartungsvolle Stimmung, die sowohl vertraute als auch exotische Akzente bereithält.
Der Falsett-Gesang begibt sich für "The Pain (Makes Me Feel Like I'm Alive)" in seltsame Höhen, sodass befürchtet werden muss, dass die Stimme plötzlich versagen könnte oder wegen der bizarren Schwingungen Glas zum Bersten gebracht wird. Unterschiedlich stark galoppierende Momente laufen hintereinander ab, was zu beflügelnden Effekten führt. Diese zeigen sich in gitarrenlastigen Passagen mit zerrenden Ausbrüchen, die dem Track eine prickelnde Schärfe verleihen. Es geht inhaltlich darum, mit sich ins Reine zu kommen, also auch darum, mit den Fehlern der Vergangenheit wohlwollend zum eigenen Nutzen abzuschließen.
Das Prinzip der sich überlagernden Gegensätze - ein Yin & Yang der Gefühle - setzt sich fort und zieht sich wie ein roter Konzept-Faden durch das Album.
Nach einer ungeduldig wirkenden Einleitung brechen brachiale, vehement zupackende Grunge- und Heavy Rock-Klanggewitter-Schübe über "A Feeling" herein, die von Augenblicken der Einkehr unterbrochen werden. ""A Feeling" entstand nach einem Gespräch mit einem Ultrakapitalisten. Ich habe meinen Job durch den Lockdown verloren und sie sagten, ich solle akzeptieren, dass es meine Strafe dafür sei, "einfach nicht hart genug gearbeitet zu haben"". So kommentiert Catrin Vincent die Motivation zur Entstehung des Songs. Kein Wunder, dass er so viel Wut enthält.
Der sprudelnd frische Pop-Punk "Uh Oh!" mag es übermütig und spielt flankierend mit futuristischen Effekten. Die Musiker finden sogar vor ungebremstem Tatendrang kein schonendes Gegengewicht zu ihrem wilden Eifer. Allerdings wird auf eine aufreizend hohe Lead-Stimme als Stimulation verzichtet.
Ausgleichende balladeske Ausdrucksformen tragen für "I Never Had Control" zu einem sich in leidenschaftlicher Hingabe suhlendem Stück bei. Die Essenz des Leidens, der Verzweiflung und des Flehens finden sich in Noten wieder, die vor Inbrunst vibrieren. Gefühlslagen von schmerzlicher Intensität treten hervor und hinterlassen eine fiebrige Erregung inmitten von hinreißend erblühender Schönheit.
"Death Of The Author" entpuppt sich als Wolf im Schafspelz. Über eine lange Zeitspanne hinweg täuscht der Song so etwas wie eine kontrolliert-seriöse Folk-Rock-Atmosphäre vor. Bis dann plötzlich alle Dämme zu brechen scheinen und mächtige Sound-Wände eine Lärm-Flutwelle erzeugen.
""Burn The Way" wurde nach einem Gespräch mit jemandem geschrieben, der den Klimawandel leugnet. Es geht um das Gefühl, machtlos zu sein und vor dem Verhalten einer Person davonlaufen zu müssen, bevor man ihre Realität annimmt", erklärt die Komponistin. Das Lied wirbt für sich mit peitschend-dröhnenden Attacken, die den Weg für hymnische Gesangseinlagen freimachen. Der Track benutzt alarmierende, elektrisch verstärkte New-Wave-Tonfolgen, die Ideen von Killing Joke, Siouxsie & The Banshees und The Comsat Angels einbeziehen und feiern.
Beim aggressiven "Psychopath" findet man überwiegend breitschultrigen Hardrock im Gepäck, der von einem nach vorn gemischten, grob-massivem E-Bass angetrieben und von giftigen, gehetzten E-Gitarren dominiert wird. Aus der Auseinandersetzung mit den Taten des bekannten Psychopathen quillt Verachtung heraus und gipfelt in der Aussage: "Wie konntest du das all deinen Freunden antun?"
Minimalistisch-hypnotische Partituren lassen "Playground" vordergründig unnachgiebig erscheinen. Durch den konzentrierten, empathischen Gesang verliert der Song jedoch seine strenge Form und wächst zu einem rührend-erregendem Erlebnis heran.
Schwungvoll, beinahe tanzbar, geht es bei "City Drones" zu. Der kompakt gestaltete Track baut ordentlich Druck auf und hält diesen bis zum Schluss unbeirrt und konstant aufrecht.
Der Refrain von "I Caught On Fire" begibt sich auf leisen Sohlen, fast unmerklich, sozusagen hinterlistig, auf den Weg ins Gehirn. Er überlistet dabei die natürlichen Schutzmechanismen, die vor allzu romantischen Schnulzen-Angriffen schützen sollen und nistet sich gefühlvoll-gefällig ein.
"Star Roaming" kann auf diesem Gebiet nicht überzeugen, sucht melodisch und vom Songaufbau her eine gewisse U2-Nähe und verliert sich dadurch in lauen Allgemeinplätzen.
"Star Roaming" geht dann nahtlos in das meditativ-sphärische "Swirling Smoke" über, das sich vorsichtig Minimal Art-Rhythmen einverleibt, ohne dabei als typische Electronic-Dance-Music durchzugehen.
Die Kompositionen auf "Beach Day" verströmen den herben Duft des Aufruhrs und des Zweifels. Deshalb traut man auch den lieblichen Passagen nicht über den Weg, weil meistens eine verunsichernde Bedrohung in der Luft liegt. Jack Gilbert (Gitarre), Naomi Le Dune (Bass), Max Doohan am Schlagzeug und Catrin Vincent als Sängerin, Pianistin und Song-Autorin haben eine ganze Reihe von merkwürdig verschachtelten Psycho-Drama-Kombinationen auf Lager. Das mag man gelungen, oder nicht nachvollziehbar oder zu anstrengend finden, auf jeden Fall ist das Vorgehen der Gruppe im besten Sinne des Wortes als progressiv, also fortschrittlich, zu bezeichnen.
Nachdem die Band nach einer Überschwemmung ihr Equipment verloren hatte, war die Moral am Boden. Aber man darf ruhig an Wunder glauben, denn ein Pfarrer, der ein begeisterter Musikfan war, stellte die Krypta seiner Kirche als Studio zur Verfügung und trotz aller Einschränkungen, Entbehrungen und Schwierigkeiten durch die Lockdowns ging es dadurch weiter.
Another Sky haben ihre Ausnahme-Stellung mit "Beach Day" gefestigt. Sie sind eine gute Adresse für Menschen, die glaubwürdige Musik mit Ecken und Kanten suchen, in denen heftige Gefühlsausbrüche, stilistische Verrenkungen und extravagante Schlenker als Sinn bildende Provokationen zu Hause sein dürfen.
Bei "Beach Day" geht es inhaltlich um die "glühende Wut, die dich nach innen und tiefer in dich selbst führt, sowie um Ängste und all die verborgenen Wahrheiten, die du verzweifelt zu verbergen versuchst, während du dich selbst findest", lautet eine zusammenfassende Erklärung der Gruppe.
Das Quartett geht dahin, wo es weh tut. Es führt aber auch wohltuenden Balsam mit sich, um die entstandenen Wunden zu versorgen. "Beach Day" plagt sich mit ernsten Problemen. Ein Tag am Strand kann dann dabei helfen, die Welt etwas entspannter zu sehen.