Auf den Spuren von Nick Drake
Oren Lavie ist ein Amerikaner mit israelischer Herkunft, geboren 1976, der zur Zeit in Berlin lebt. Mit "The Opposite Side of the Sea" präsentiert er sein Debutalbum. Bei ihm kommt man an dem überstrapazierten Nick Drake-Vergleich nicht vorbei. Oren Lavie benutzt die gleiche Phrasierung wie der große Meister der Melancholie. Er dehnt häufig die letzten Wörter eines Satzes, lässt sie mit seiner warmen Stimme sanft fließend ausklingen, nimmt damit den Druck aus den Tönen und haucht ihnen dadurch eine gehörige Portion Romantik ein. Lavies Lieder sind nachdenklich, aber nicht depressiv. Er arbeitet stets aparte, gediegene Ideen ein, variiert geschickt das Tempo und schreibt Melodien mit überraschenden Wendungen. Oren Lavie singt unaufdringlich, aber mit Wiedererkennungswert und spielt Gitarre und Piano selbst. 3 Jahre hat er an dem Album gearbeitet, deshalb klingt es auch nicht wie ein Erstlingswerk, sondern eher altersweise. Der Opener "Her morning elegance" hilft seine Miete zu zahlen, denn er wurde als Titelmusik für die PRO 7 Serie "Verrückt nach Clara" verwendet. Das beschwingte Stück wird durch ein zurückgenommenes funkiges E-Piano, hingetupfte Vibraphoneinlagen, ein mit Besen bearbeitetes Schlagzeug und gelegentliche wohlige Cello-Parts geprägt. Der 2. Song "The man who isn`t there" ist eine Piano-Ballade, die durch Cellos unterstützt wird. Die Vision von der Auferstehung von Nick Drake ist hier gespenstisch nah. Das Titelstück kommt mit relativ harsch gespielten Cellos als Untermalung aus. Fast mantramäßig wird der Songtitel in den Text eingebaut, was die hypnotische Wirkung des Liedes verstärkt. "Locked in a way" ist eindringlicher Kammer-Folk. Bei "Ruby rises" kommt einem zunächst "Strawberry Fields Forever" in den Sinn, das Lied mutiert dann aber zu einer erhabenen Ballade. "A dream within a dream" hat die Harmonie einer David Crosby-Komposition, würde aber auch auf "Scott 4" von Scott Walker passen. Die Assoziationen schlagen Purzelbäume. Qualitativ fällt auch "Trouble don`t rhyme" nicht ab, eine weitere intensive Ballade mit dezentem Rauschen im Hintergrund. Wieder so eine charmante Idee, die den Liedern den Glanz des Besonderen verleihen. "A short goodbye" ist ein kleines Intermezzo in Moll. Auf "Caroline no" von "Pet Sounds" beklagt sich Brian Wilson darüber, dass sich seine Liebste die Haare abgeschnitten und dadurch an Weiblichkeit verloren hat. Hier bittet Oren Lavie: "Don`t let your hair grow too long" und begleitet sich dabei auf dem Piano und fügt eine geschmackvolle Cellountermalung ein. Oren war lange Zeit Theaterautor. Er hat wohl deshalb ein feines Gespür für Emotionen entwickelt. "Bei Blue Smile" nimmt einen der Harmoniegesang gefangen. Titel 11 heißt "Quarter past wonderful" und ist als "Unhidden Track" tituliert. Wahrscheinlich, weil sich der Tango-Rhythmus des Liedes nicht in das Gefüge der anderen Werke anschmiegt.
Fazit: Das Album ist rundum gelungen und man darf gespannt sein, ob der Künstler dieses Niveau weiter halten kann - dann wird er vielleicht wirklich ein Anwärter auf die Nick Drake-Nachfolge.