Bubble-Gum-Pop in verschiedenen Gangarten: Weil Gwen es sich wert ist, Courtney Love!
Auf ihrem Debütalbum LOVE.ANGEL.MUSIC.BABY von 2004 mimt Gwen Stefani, die zu dieser Zeit eine Pause von der Band No Doubt eingelegt hat, ganz das "Orange County Girl". Miss Stefani stammt aus Kalifornien, das für Prunk und Protz bekannt ist, und packt jene kostbare Liebe, die sie sich ersehnt, in Metaphern aus Luxus... weil sie es eben wert ist (RICH GIRL und LUXURIOUS). Nebenbei gibt es einen fetten Diss gegen Courtney Love im Hit HOLLABACK GIRL, dem wohl bekanntesten und stets tagesaktuellen Stück der Platte. Damals hat Love in einem Interview mit dem Magazin Seventeen behauptet, Stefani sei wie ein Cheerleader auf der Highschool, während Love, cool wie sie doch sei, lieber jenes Mädchen bleibt, das sich zum Rauchen mit den bösen Jungs hinter der Schule trifft. Stefani scheint diesen abschätzigen Kommentar der Cobain-Witwe als Inspiration für LOVE.ANGEL.MUSIC.BABY genommen zu haben. Die LP ist aber, so oberflächlich sie wirken und so verwöhnt und keck sich Gwen auch geben mag, generell nie wirklich aus der Mode gekommen. Anders als beim Nachfolger THE SWEET ESCAPE von 2006, der seinen Anker noch stärker im R&B-Bereich abwirft, hört man hier noch rockige Nachwehen aus ihrer Zeit bei No Doubt heraus (WHAT YOU WAITING FOR?). Ansonsten wechselt Pop die Gangart zwischen radiotauglicher, zeitloser Ballade (COOL), retroresken 80s-Synthies (Anspieltipps: THE REAL THING und SERIOUS) und elektronischen Albernheiten (HARAJUKU GIRLS). Zur zuletzt genannten Kategorie erscheint CRASH kompositorisch besonders erwähnenswert, verwertet er den Sample vom Warngeräusch eines nicht angelegten Sicherheitsgurtes und paart ihn mit einem eingängigen Keyboardarrangement.
Das ist er also, jener emanzipierter Power-Pop, der die 2000er so sehr definiert. Dazu treten noch namhafte Macher wie Nellee Hopper auf (Madonna, Sade), die LOVE.ANGEL.MUSIC.BABY zu einem Klassiker, einem Ding mit Boden machen.
Die schwarze Doppel-LP wird derzeit laut Aufdruck der Einschweißfolie in Mexiko gepresst, weswegen sie wohl so teuer wie ein Import angeboten wird (und sie es letztlich auch ist). Die Investition lohnt sich jedoch, weil LOVE.ANGEL.MUSIC.BABY auf Platte das einzig Wahre ist. Normalerweise übertreibt RICH GIRL es gewaltig, wenn es um seine Basszeichnung geht. Die Bässe schwingen nämlich hässlich nach... bei den digitalen Pendants auf CD und im Streaming jedenfalls. Auf Platte entfaltet sich das gesamte tiefe Fundament des Albums. Auch LUXURIOUS klingt einfach formidabel mit seinem wummernden Bass. Die Platten sind dabei nur bis zur Hälfte bespielt, um verzerrende Momente bzw. Inner Groove Distortion zu vermeiden. Klar, alle 3 Lieder muss man die Seite wechseln, aber so ist das nun einmal beim Plattenhören. Im Inneren der Klapphülle findet man die 12 Liedtexte von LOVE.ANGEL.MUSIC.BABY. Die billigen weißen Innenhüllen stehen für das typische Standardprocedere jedes 2000er Albums auf Vinyl (musste sofort an die Erstpressung von Nelly Furtados LOOSE denken, welche identische Inner Sleeves besitzt und genauso das Vinyl vollfusselten wie die vorliegende LP). Wenn man diese gegen gefütterte Innenhüllen austauscht, die es ab einem bestimmten Bestellwert bei jpc auch noch gratis gibt, dann hat man lange etwas von der rauschfreien, dennoch nicht ganz ebenen Schallplatte von LOVE.ANGEL.MUSIC.BABY. Von ihren nur 3 Studioalben in rund 20 Jahren ist das Debüt von Gwen Stefani aus meiner Sicht das künstlerisch interessanteste... und nachhaltiger als alles, was die gute Courtney Love je im Musikgeschäft gemacht hat - fünf Sterne.