Die zweite Chance- Annetts persönliches Debüt
Ihr erstes Album „Bohème“ war mutig und Annett Louisan wagte sich endlich nach ihrer Zeit als Studiosängerin raus um ihr eigenes Publikum zu erobern. Sie lernte dabei zu kämpfen und einzustecken, auch wenn es teilweise unter die Gürtellinie ging, und sie wurde zunehmend selbstbewusster und stärker. Aber damals konnte sie eigentlich nur gewinnen. Es gab nichts was sie, außer ihrer geschützten Privatsphäre, zu verlieren gehabt hätte. Der Erfolg des Debütalbums war allerdings Glück und Fluch zugleich, denn schnell gerät man als Künstler in ein Schubfach. Doch man gewinnt auch viele Freunde für seine Musik. Doch wichtig ist, sie immer zu fordern und nicht Gefahr zu laufen, dass diese musikalische Liebe zur Falle wird und man als Künstler im Schubfach landet. Sonst endet die Beziehung dann wenn man sich entfaltet und entwickelt im Rosenkrieg. Bei einigen ist es leider dazu gekommen und dabei haben sie doch angeblich zugehört als Annett damals sang „Läuft alles perfekt“ und „Gekommen um zu sagen“. Aber haben sie es verstanden und gestehen sie eigentlich auch Annett zu diesen Schritt, den sie so gekonnt besungen hat, selbst zu gehen?
Die beiden Folgealben nach der „Bohème“ waren interessant und facettenreich, Annett entfaltete sich, wurde experimentierfreudiger und schien zunehmend Spaß im sonst schwierigen Musikgeschäft zu bekommen. Zu kämpfen hatte sie gelernt. Mit „Teilzeithippie“ begab sie sich in eine Zeit, die sie reflektierte aber selbst nicht erlebt hatte. Annett nahm viele Rollen an und nutzte ihr schauspielerisches Talent auf eine Weise die sie letztlich ihr Publikum auf Händen tragen lies. Es war ein tolles Album das viel Spaß machte.
Aber die Verkleidung legte sie nun ab und wagte den Schritt endlich sehr persönlich aus ihrem bewegten Leben zu erzählen. Neue Leute kamen ins Team, Menschen mit denen sie ihre neuen Gefühle und auch die Freude und den Schmerz, die sie in einer bewegten Zeit begleiteten, so in Musik so umsetzen konnte, dass sie sich selbst darin wieder fand.
Das „Zirkuskind“ stellte fest, dass ihm seine Wurzeln abhanden gekommen sind, aber nur so kann es wissen wo diese sich befinden. Der Suche nach der Mitte steht nichts mehr im Wege.
Annett machte etwas ganz anders als viele ihrer Kollegen. Sie setzte mit „In meiner Mitte“ auf kein Konzept, das sie irgendwann einengen und unglücklich machen wird. Sie vertraut sich ihrem Publikum an, fordert es auch mit sehr tiefsinnigen Texten heraus und traut ihm etwas zu, das viele andere Künstler ihrem Publikum leider nicht unterstellen, nämlich Intelligenz und Einfühlungsvermögen. Ich wusste leider gleich beim ersten Hören, dass Annett dafür wieder viel Unverständnis hinnehmen muss und Kritiker, die lediglich nach ihrem eigenen Geschmack bedient werden wollen, beginnen werden Annett Louisan weiß machen zu wollen wer sie ist und wie sie ihre Laufbahn weiter zu verfolgen hätte.
Man sollte Annett eine faire Chance geben und sich ohne Vorbehalte hinsetzen, mental fallen lassen und das aufnehmen was sie hier von sich preis gibt. Die kleine geliebte Blonde mit den frechen Ramond- Texten sollte der jungen Frau und Musikerin die mittlerweile viel erlebt und durchgemacht hat, kein Bein stellen.
Wer Annett auf einen Sockel gestellt hat und ihr Verantwortung übertrug sein Bild von einer Frau in seiner abgesteckten eigenen Welt auszufüllen ,der wird kaum eine Chance haben die neue freie Annett für sich zu entdecken und wird viel verpassen. Sie jedoch mit diesem Album erstmals zu entdecke, stelle ich mir interessant vor.
Annett stand quasi nach „Teilzeithippie“ im „Freien“ und legte ein fünftes Album auf mit dem sie fast völlig neu anfing. Sie nahm mit was sie bei sich hatte: ihr gutes Bauchgefühl, ihre Leidenschaft für die Musik, ihre Stimme ihr Herz und die Gabe sich in die Geschichten hinein zu leben und sie auf eine nahe gehende Weise, bei der ein Kopfkino statt findet, erwachen zu lassen. Annett Louisan hat mehr Mut bewiesen als so mancher vielleicht nachvollziehen kann. Und sie lag richtig. Kunst ist weder ein goldener Käfig noch eine Kugel am Fuß, sondern sie macht frei und verleiht der Fantasie Flügel, doch sie besteht auch niemals darin die Erwartungen anderer zu erfüllen, sondern etwas von sich an andere weiter zu geben. Wenn Annett das weiterhin in sich trägt, dann wird sie eventuell nicht so viele Leute wie so manch medienwirksamer Popstar um sich scharen, aber die die ihr treu bleiben und jene die sie nun für sich gewinnt können ihr ihre musikalische Seele anvertrauen und haben eine ehrliche, leidenschaftliche Musikerin vor sich, die umgekehrt weiß, dass sie sich fallen lassen kann wenn sie vor dieses Publikum.tritt.
Auf einzelne Titel möchte ich nicht eingehen und versuchen sie zu interpretieren. Das muss jeder für sich selbst tun und seine Geschichten und Erinnerungen erwachen lassen. Wer bedient werden will sollte in die Kneipe gehen, wer Kunst genießen und ehrliche Gefühle an sich heran lassen möchte und einen eigenen Kopf und ein offenes Herz hat, wird „In meiner Mitte“ lieben. Es fordert heraus, holt Erinnerung zurück, lässt einen mit der Akteurin lieben, lachen, träumen und leiden. Sie nimmt einen erst mit durch das Dickicht der Gefühle um dann einen Weg ins Freie zu finden und auf neue Dinge, das Leben und andere Menschen zuzugehen. Nicht alle werden mitgehen wollen oder folgen können. Doch sind Abschiede nicht auch ein Neuanfang? Eine neue Chance?
Ich glaube fest daran, dass Annett sich dessen was sie tut sicher ist und nicht ins Schwanken gerät. Bitte nicht dann, wenn sie gerade dabei ist ihr Publikum schweben zu lassen. Sie fühlt sich sichtlich wohl mit ihren neuen Liedern und nur so kann sich der emotional offene Zuhörer auch bei ihr wohl fühlen. Zu keinem Album vorher habe ich so einen persönlichen und engen Bezug entwickeln können.
Mit ihm hat Annett mein Herz erobert...und ganz sicher nicht nur meines...
Es gibt keine Lebensanleitungen und keinen erhobenen Zeigefinger. Den bekommt Annett von anderen oft zu sehen und doch begibt sie sich nie auf die selbe Ebene. „In meiner Mitte“ kann in einer hektischen und schnelllebigen Zeit für so manchen zum Refugium werden. Man muss es einfach nur zulassen und Musik, die bewegende Gefühlswelten und bewegte Lebenssituationen reflektiert, ohne Vorbehalte genießen können. Dann hat man die Chance in die Nähe der eigenen Mitte vor zu dringen.
Genießt das neue Album, aber konsumiert es bitte nicht!