Meisterwerk für Erwachsene
Ein großartiger Film!!
Der Regisseur Nicolas Refn macht so viel richtig, dass es mich fast umgehauen hat!
Vor allem zeigt er echte Menschen,
und Menschen, die man wirklich mögen kann, denen man Glück wünscht,
und deren Motive für das, was sie tun, man versteht.
(Ich werde in meiner Besprechung einige Szenen anschneiden, Andeutungen machen und versuchen,
dem Leser Lust zu machen, diesen Film anzusehen.
Echte SPOILER (das Verraten wichtiger Ereignisse/des Schlusses/...) habe ich bewusst vermieden -
aber man kann über den Film kaum schreiben, ohne dass klar wird,
dass es kein Hollywood-Film ist, und dass er demnach auch kein Hollywood-Ende haben kann...)
Also los.
Am wichtigsten sind die Menschen (gar nicht mehr so selbstverständlich im Kino...):
Vor allem sind das natürlich der Driver (zu Ryan Gosling schreibe ich weiter unten noch etwas),
Irene, die es nicht gerade leicht hat, die aber ganz unspektakulär ihren Weg geht,
still und ruhig, ohne Jammern oder Theatralik -
und die ihr persönliches Glück von Anfang an nur zögernd oder gar nicht verfolgt.
Aus Ehrgefühl (ihr Mann ist im Gefängnis, sie will ihn nicht verraten)
und sicher auch aus Lebenserfahrung (heißt: aus Enttäuschung):
sie weiß, dass das Leben kein Film, kein Märchen ist.
Und dennoch öffnet sie sich ganz langsam für den Driver,
und um so trauriger ist es, dass bald allen klar wird, wie wenig Chancen die beiden haben.
Und Irenes Sohn Benicio hat eine ganz wunderbare - realistische! und wiederum ganz unspektakuläre - Rolle:
er ist - ohne, dass es dem Zuschauer je aufgedrängt wird -
mit großer Selbstverständlichkeit das Wichtigste in Irenes Leben,
er ist einfach "da", die Liebe spürbar - Punkt.
Schön gemacht!
Aber auch die Gegenspieler des Drivers haben zum Teil gute Gründe für das, was sie tun -
Bernie, der Gangsterboss, versucht sogar noch - kurz vor dem Ende -,
den Driver in Schutz zu nehmen.
Und als schließlich beiden - in der (vor-)letzten Szene im Restaurant - klar ist,
wie es wohl ausgehen wird, bleibt er fair:
"Deinem Mädchen wird nichts passieren.
Was ich Dir nicht garantieren kann", sagt er sinngemäß.
In dieser Szene ist einfach atemberaubend,
wie Refn erzählt:
das, was kommen muss (am geöffneten Kofferraum) schneidet er ineinander mit den letzten, entscheidenenden Worten und Gesten des Gesprächs im Restaurant.
Und es wird klar,
dass der Driver weiß,
was das bedeutet, was Bernie sagt.
Und er scheint es sogar zu akzeptieren mit einem wunderbaren leisen traurigen Lächeln,
und an wen er dabei denkt ist klar...
Von solchen großen Szenen ist der Film voll!
Szenen, die oft von ganz wenigen Worten leben,
dafür aber zwar zurückhaltender, spärlicher, jedoch "genauer" und echter Gestik und Mimik:
Wie z.B. der Boss und Freund des Drivers bemerkt (hab seinen Namen vergessen),
dass Bernie unerwartet mitten in der Nacht in seiner Garage steht.
Und ihm klar wird, was das bedeutet.
Und er sagt, "das bedeutet nichts Gutes, dass Du hier eingebrochen bist."
Und dann später in der gleichen Szene Bernies tröstendes (!!) "Es ist vorbei! Es tut nicht weh!" -
berührende Worte in einer ausweglosen Situation,
und beide (!!) können einem so Leid tun, dass es schmerzt.
Fast jede Szene mit dem Driver und Irene ist großartig -
ihre ersten Begegnungen, kurz und fast ohne Worte,
dann ihr Treffen in der Werkstatt,
der Ausflug im Auto (Danke an den Boss des Drivers!),
über Treffen in oder vor (!!) ihrer Wohnung im 4. Stock
bis zu den letzten Momenten,
in denen schon so viel zwischen ihnen ist, was nicht sein kann oder darf -
und zumindest er weiß es.
Und schließlich ist sein Ziel nicht mehr zu überleben,
sondern sie zu beschützen -
wie kann man davon unberührt bleiben?!?
Natürlich (und oft geschrieben) ist der Film von der Handlung her - und von den "Typen" -
nun wirklich nicht "neu" oder originell.
Aber Refns Kunst (und die seiner herausragend guten Schauspieler!) besteht darin,
aus Typen echte, glaubhafte Menschen zu machen -
und in meinen Augen vollbringt er da ein kleines Wunder:
eine uralte Geschichte so zu erzählen,
dass sie fesselt, mitnimmt,
und dass dennoch eine "schwebende",
ruhige Stimmung entsteht - bis er dann wieder an den Nerven zerrt...
Die Dialoge, die Gesten, die Mimik bleiben so spärlich,
dass sie gerade dadurch ganz besonderes Gewicht bekommen -
fast jedes Wort ist wichtig.
Und den Schauspielern gibt Refn soviel Zeit, soviel Raum,
Großaufnahmen und (grandiose!) Beleuchtung,
dass jede Veränderung etwas sagt -
und dass es zeitweise ungeheure Freude macht, den "Menschen" zuzusehen.
Z.B. auch, wie Irene und der Driver sich näher kommen,
so sanft, so zögernd, so behutsam!
Und das lange Schweigen zwischen ihnen ist nicht peinlich,
sondern im Schweigen entsteht eine wunderbare Nähe,
Hoffnungen und Träume werden fast spürbar... -
das ist einfach großartig erzählt.
(Und hat mit "thriller natürlich nichts zu tun).
Ein paar Worte zu Ryan Gosling:
ich halte ihn für eine Idealbesetzung.
Er "grinst" tatsächlich "wie ein Frettchen"
(so schrieb jemand in einer Negativ-Kritik auf amazon.de. Ich weiß zwar nicht, wie Frettchen grinsen.
Aber ich denke, ich weiß, wie das gemeint ist).
Aber das passt zu ihm!
Sein Driver ist (in meinen Augen) nicht cool.
Beim Autofahren - JA!!
Mit Irene dagegen und mit Benicio,
da ist er zurückhaltend, leise,
unsicher -
und einfach nett!!
Er lächelt ein jungenhaftes,
freundliches und etwas unsicheres Lächeln,
da ist "cool" ziemlich weit weg, und das ist gut so.
Aber wenn er dann um das Leben der beiden
(und anfangs auch um das von Irenes Mann) kämpft,
da ist er zum Teil extrem schnell in seinen Entscheidungen
(nur so kann er überleben!)-
und dann sehr hart, sehr kompromisslos in der Umsetzung,
wenn er es für nötig hält.
Aber auch da ist er nicht teilnahmslos - er ist aufgeregt,
sogar am Steuer (als er auf Irenes Mann wartet), und
man spürt seine Angst. Und später seine zunehmende Verzweiflung.
Und ganz deutlich wird seine Liebe und Fürsorge für Irene und Benicio,
die ihm zum Schluss über sein eigenes Leben gehen -
aber er hört tatsächlich nie auf zu kämpfen
(da habe ich mich getäuscht in ihm - glücklicherweise...). -
Ganz am Anfang hatte ich vermutet, Irene und der Driver landen noch im Bett -
aber schnell wird klar,
dass hier zwischen zwei Menschen etwas viel Größeres entsteht:
echte Vertrautheit, Vertrauen, gemeinsame Sorge für ein geliebtes Kind und sicher Träume von einem gemeinsamen Leben als Familie -
nicht gerade der Stoff aus dem thriller (oder blockbuster...) sind,
aber ein wunderbarer Boden, auf dem der Zuschauer der Liebesgeschichte mit ganzem Herzen folgen kann.
So ist der Höhepunkt dieser herzzerreißenden (und ich meine das so!) Liebesgeschichte tatsächlich der Kuss im Fahrstuhl -
und in diesem Moment bleibt die Zeit wirklich stehen,
die Sonne geht auf (das Licht im Fahrsstuhl!) - und die Welt ist verzaubert!
Und kaum traut man sich wieder zu atmen,
da überfährt einen die Gewalt mit so unerwarteter Heftigkeit,
dass ab diesem Moment für mich alles verloren schien.
(Beim Nachdenken nach dem Film erkläre ich mir die wirklich entsetzliche Brutalität dieses Angriffs damit, dass dem Driver im Aufzug, im Angesicht des Mitfahrers und seiner Waffe,
klar wird, dass er und das Mädchen (und Benicio, um den es auch immer geht!) keine Chance auf eine gemeinsame Zukunft haben.
Und das ist für ihn so unerträglich, dass die Gewalt eskaliert...). -
Mit ein bisschen Film-Erfahrung weiß man eigentlich fast immer,
wie wer jetzt reagieren könnte - oder sogar muss.
Auch deshalb habe ich nach dem missglückten Überfall auf den Pfandleiher -
spätestens aber ab der Szene im Hotel, in der der Driver und die Komplizin des Überfalls "Besuch" bekommen -
praktisch dauerhaft Höchstspannung gespürt,
obwohl der Rhythmus des Filmes - bis auf die Gewaltausbrüche - ja kaum schneller wird.
Die Spannung liegt vor allem auch daran,
dass man in der zweiten Hälfte des Films zumeist weiß, was geschehen muss.
Ganz am Ende, im Restaurant, scheint dann wirklich klar zu sein, wie es für den Driver ausgeht.
Bis dahin hat Refn es längst geschafft, dass man dem Driver und Irene (und wieder auch Benicio) so sehr wünscht, dass sie ein halbwegs gutes Ende finden,
an das man längst nicht mehr glauben kann.
Zu wissen, was kommen muss, macht sicher einen Teil aus dessen, was diesen Film so spannend und im besten Sinne "unterhaltsam" macht -
gerade wenn die (vorhersehbare, vorhergesehene) Konsequenz dann viel früher und viel heftiger als erwartet eintrifft -
z.B. als Bernie Nino darauf aufmerksam macht, dass es neben dem Driver und dem Mädchen ja noch einen dritten Mitwisser gibt,
der sich sogar im gleichen Raum befindet.
Ich könnte noch vieles schreiben -
z.B. zu Irenes Mann,
der zu keinem Zeitpunkt vom Drehbuch denunziert wird, sonder seine eigene, hilflose Größe hat.
Oder davon, wie wunderbar die Kamera den Driver begleitet, als er Benicio schlafend ins Bett legt -
so liebevoll, so ruhig und so selbstverständlich macht er das,
dass es fast weh tut, ihm dabei zuzusehen -
und dann im Verlauf des Films sogar ein zweites Mal (nochmal: eigentlich nicht der Stoff, aus dem thriller gemacht sind, oder?).
Am Ende bleibt:
ein Film voller Personen, die man nicht vergessen möchte.
Wunderbare Bilder in zum Teil berauschend schönem Licht.
Grandiose Dialoge -
oder auch genauso vielsagendes Schweigen,
Blicke und Gesten, die ganze Geschichten erzählen.
Große Taten -
und die Hauptpersonen haben wunderbare Motiven für das, was sie tun -
und Liebe und Verantwortung sind die größten unter ihnen.
Und schreckliche Brutalität, die den Zuschauer manchmal sprachlos zurücklässt.
Ein Film für Erwachsene. -