Lohnenswerter Film
„Die schwarzen Brüder“ ist eine 2012 entstandene Kinofilmverfilmung des gleichnamigen Buchs von Lisa Tetzner und möglicherweise ihrem Mann Kurt Held, der als Jude 1941 in der Schweiz nicht unter seinem Namen publizieren durfte. Die Geschichte beruht in ihren Grundzügen auf wahren Vorkommnissen. Für einen Film, der sich hauptsächlich an Kinder und junge Menschen wendet, sich durchaus aber auch für Erwachsene eignet, handelt es sich keine einfache Kost: Wegen der Not mussten Tessiner Bergbauern ihre Söhne, meist zwischen acht und 15 Jahren alt, für ein halbes Jahr nach Mailand als Kaminfeger verkaufen.
Aufgrund der Verletzung seiner Mutter erleidet auch Giorgio (Fynn Henkel), 14-Jährige Hauptfigur, dieses Schicksal. Doch schon bei der Überfahrt über den Lago Maggiore kommt es zur Katastrophe: Das Boot gerät in einen Gewittersturm, und statt 15 kann der „Sklavenhändler“ Luini nur vier Jungen an die „Meister“ in Mailand „liefern – eine Parallele zum heutigen Schlepperunwesen mit Flüchtlingen. Wie auf einem Viehmarkt werden sie an die Kaminfegermeister versteigert. Ein ähnliches Schicksal wie diese Kaminfegerjungen („Spazzacamini“), das hier um 1840 spielt, erlitten auch viele Jungen und Mädchen, die aus Westtirol für ein halbes Jahr zu reichen Bauern geschickt und auf den „Kinermärkten“ in Oberschaben „verkauft“ wurden: die „Schwabenkinder“. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts kam dieser Kinderhandel zum Erliegen.
In Mailand solidarisieren sich die Kaminfegerjungen als „schwarze Brüder“ aus dem Tessin gegen ihre Meister und gegen die „Wölfe“, eine Mailänder Jugendbande, welche die „schwarzen Brüder“ neben deren Meistern drangsalieren. Die Arbeitsbedingungen in den engen Kaminen, welche die Jungen vom Ruß reinigen müssen, werden anschaulich geschildert und führen zum Tuberkulosetod von Alfredo, einer weiteren Hauptperson. Eine kleine Liebesgeschichte, ein Pfarrer, der den Jungen schließlich beisteht, eine missglückte Flucht und ein Unfall, aber auch die sehr gute, stilgerechte Darstellung der bedrückenden Verhältnisse im ärmlichen Mailand sorgen für Spannung, wobei der Film einige dramaturgische Zuspitzungen gegenüber dem Buch vornimmt. Ohne zu viel zu verraten – die Dinge wenden sich zum Besseren, Luini kann wegen des Tods der elf Jungen am Lago Maggiore überführt und der Schweizer Gendarmerie übergeben werden.
Am beeindruckendsten ist an dem Film die Darstellung der düsteren Verhältnisse in Mailand, auch wenn es einige lustige Szenen und ein fast schon utopisches Ende gibt – für welche der Film in mehreren Kritiken zu Unrecht als zu verharmlosend kritisiert wurde. Den Darstellern nimmt man wegen ihrer Abgehärmtheit ihre Rollen gut ab; kritisieren muss man allenfalls, dass der Film eigentlich mit schon zu alten Jugendlichen besetzt ist, weil diese mehr Stunden am Tag ihre Rollen spielen konnten. (Kaminfegerjuingen müssen kleiner und schlanker sein.) Besonders beeindruckt die gerade in ihrer Zurückgenommenheit sehr gute Leistung des 15-jährigen Fynn Henkel als Giorgio. Leider sind die „schwarzen Brüder“ der einzige größere Film mit ihm in der Hauptrolle; wenige Jahre zuvor spielte er schon sehr gut eine der Hauptfiguren in den ersten Folgen der Kinderserie „Tiere bis unters Dach“. Offenkundig war er ein sehr großes Talent, vergleichbar Jonas Nay, verunglückte aber mit noch nicht einmal 19 Jahren tödlich, drei Jahre nach Entstehen der „schwarzen Brüder“. Neben ihm bleiben die anderen bekannten Schauspieler - Moritz Bleibtreu, Richy Müller, Ruby O. Fee und Waldemar Kobus – eher blass.
Neben den beeindruckenden Stadtbildern, welche Mailand um 1840 illustrieren, gibt es eingangs und am Ende des Films sehr beeindruckende Landschaftsaufnahmen aus dem Tessin, obwohl sie nicht am Originalort – Sonogno im Verzascatal –, sondern im benachbarten Maggiatal und an einem Berg mit Tiefblick auf den Lago Maggiore entstanden – und kurioserweise in einer Felsenszene an den Katzensteinen nahe Euskirchen bzw. Köln.