Großes Kunstwerk voll Tragik und bitterer Satire
Taxidermia ist ein sehr kunstvoller, überaus anspruchsvoller Film.
Das ist Fakt, bedeutet allerdings hier nicht, dass nicht auch durchschnittliche Zuschauer
ihren Spaß haben, bzw. sehr gut unterhalten werden können.
Sicherlich ist der Film keine leichte Kost, direkt langweilig dürfte ihn allerdings niemand finden.
Das große "Problem" an Taxidermia ist, dass er überaus provokant ist... schockierend, teilweise ekelhaft und anstößig.
Dazu gesellt sich eine große Portion schwarzer Humor, beißende Satire und bittere, ernste Tragik.
Ein explosives Gemisch also, an dem sich die Geister scheiden, egal ob Cineast, oder
Durchschnittszuschauer.
Von was handelt das Ganze, wo liegt der Sinn?
Der Film beginnt mit einer Stimme aus dem Off.
Ein Mann, begleitet von einer englischen Dolmetscherin hält einen Vortrag.
Er ist bei der Einleitung, Thema ist die Lebensgeschichte eines gewissen Lajos Balatoni, viel mehr erfährt man nicht.
Unter den Worten "...für jedes Ende hat auch der Anfang eine Bedeutung" beginnt das erste Kapitel des Films.
Die Geschichte von Lajos' Großvater, dem Soldaten Vendel Morosgoványi - während des Krieges statiniert auf einem einsamen Außenposten,
privater Diener des Leutnants und seiner Familie, dabei täglich dessen Schikanen und Erniedrigungen ausgesetzt.
Nachts spielt er wortwörtlich mit dem Feuer, vertreibt die Einsamkeit und Kälte. Sobald er unbeobachtet ist, gibt er sich außergewöhnlichen
Arten der Selbstbefriedigung hin, oder beobachtet die beiden schönen Töchter des Leutnants.
Als er eines Tages die fettleibige, ältere Frau des Leutnants schwängert, bezahlt er dafür mit seinem Leben.
Sein Sohn wird allerdings geboren und nachdem man ihm das missgebildete Ringelschwänzchen am Steiß abgezwickt hat, erkennt
ihn der Leutnant stolz als "seinen" Sohn an.
Die Hauptfigur des zweiten Kapitels ist geboren: der schwergewichtige Wettbewerbsesser Kalman Balatoni.
Wir befinden uns im sozialistischen Ungarn Mitte der 60er Jahre. Hier wird der Sozialismus aufs Korn genommen,
alles wirkt lächerlich überzogen. Wettessen ist Staatssport und wird großangelegt zelebriert und mit viel (militärischer) Propaganda
inszeniert... mit Scharen an Jungpionieren an allem Tamtam, wie trostlosen bunten Wimpeln und Fähnchen in Einheitsfarben.
Es wird gefressen und gekotzt was das Zeug hält.
Hinter den Kulissen kämpft der "Star" Kalman um die Liebe der Wettesserin Gizzela. Sie finden schließlich zueinander, heiraten
und bekommen einen gemeinsamen Sohn: der mickrige, spindeldürre Lajos Balatoni.
Ungarn heute: der Tierpräparator Lajos Balatoni ist die Hauptfigur des dritten Kapitels.
In seiner Einsamkeit und Ausgestoßenheit ist er sicher die tragischste Figur des Films.
Neben seiner Tätigkeit als rennomierter Tierpräparator in einer riesigen, eigenen Werkstatt kümmert er sich pflichtbewusst um
seinen alten, verbitterten Vater und dessen 3 monströse Katzen. Gefangen in seiner eigenen Haut ist er täglich dem Spott und er
Mißgunst seines Vaters ausgesetzt und auch seine Annäherungsversuche an die hübsche Kassiererin im Supermarkt bleiben ohne Erfolg...
An dieser Stelle möchte ich aufhören über den Inhalt zu erzählen, geschweige denn weitere Details verraten.
Man sollte nun grob einen Eindruck haben, wie Taxidermia tickt.
Handwerklich, wie darstellerisch ist Taxidermia allerhöchstes Niveau. Hier wurde nichts dem Zufall überlassen,
jedes Bild, jede Kameraeinstellung wurde perfekt durchkomponiert. Ein filmisches Kunstwerk, das alle Register zieht.
Alles ist genau aufeinander abgestimmt, wirkt und lebt durch das Zusammenspiel von Bild, Ton, Dramaturgie.
Der kalte, trübe Stützpunkt in den 40ern, das blasse Bunt, die trostlosen Farben der 60er, genau wie der neonbleiche Supermarkt im letzten
Teil.
Nicht ohne Grund war Taxidermia als Ungarns Beitrag für den Auslands-Oscar im Gespräch.
Mein Fazit:
Taxidermia ist ein Kunstwerk mit vielen Facetten. Ein ehrlicher Film, ohne pseudointellektuelle Einschläge.
Das, was gewollt wird, wird hier auch gekonnt. Keine flachen Botschaften, kein geheuchelter Tiefsinn.
Den Film mit anderen zu vergleichen fällt sehr schwer. Der Vergleich mit Tarantino fällt heraus, meiner Meinung nach Schwachsinn.
Entfernte Verwandte sind eher Alex van Warmerdam's "Die Noorderlinger",
oder der französische Kultfilm "Delicatessen".
In erster Linie ist Regisseur György Palfi allerdings ein komplett eigenständiger Film gelungen, der so recht in keine
Schublade passen will. Ein filmisches Meisterwerk, das den Zuschauer auf tausend Arten berührt,
ihn schließlich sprachlos zurücklässt... ob man ihn schlussendlich mag oder nicht.
P.S.: Den deutschen Untertitel "friss oder stirb" finde ich übrigens sinnlos und reißerisch.
Das zeigt eher, wie hilflos selbst der Veleih im Umgang mit dem Film ist... und Horror oder Splatter sollte hier übrigens niemand erwarten.