Die Kinfolk-Reihe von Nate Smith zeigt Lebenslinien und -stationen auf, die in erinnerungswürdige Töne gegossen werden.
"Kinfolk: Postcards From Everywhere" war das zweite Album des Schlagzeugers, Produzenten und Songwriters Nate Smith. Es hat jetzt auch schon wieder vier Jahre auf dem Buckel. Mit "Kinfolk 2: See The Birds" erscheint jetzt der Nachfolger des Grammy-dekorierten Vorgängers. Kinfolk bedeutet Verwandtschaft. Smith lässt seine Verwandtschafts- und Entwicklungserfahrungen musikalisch Revue passieren und hat sie als Album-Trilogie angelegt.
"Kinfolk" widmete sich der Kindheit, "Kinfolk 2" beleuchtet die Jugend. Als Teenager lebte Nate in Chesapeake, Virginia und die Erlebnisse aus dieser Phase stehen vor seinem geistigen Auge auf und lassen eingebrannte Erinnerungen an das städtische Treiben, markante Orientierungspunkte und die Hackordnung an der Highschool lebendig werden. Nate fühlte sich dort als Außenseiter, aber die Musik gab ihm Trost, Halt und Orientierung. Seine Helden waren unter anderem Prince und Michael Jackson. Außerdem entdeckte er damals HipHop und Neo-Soul für sich.
"Kinfolk 2: See The Birds" transportiert neben diesen Einflüssen jede Menge Jazz-Variationen, hält sich dabei aber nicht an elitär geprägte Muster, sondern wildert auch bei Rock, Pop und Avantgarde. Nate Smith meint, dass die neuen Kompositionen den Enthusiasmus und die Inbrunst einer jugendlichen Garagenband verkörpern, sie scheren sich nicht um Regeln, sind furchtlos und streben nach Freude.
"Altitude" sorgt für eine Einleitung, die sich wie ein Inhaltsverzeichnis oder ein Überblick über das zu erwartende Repertoire anhört. Durch das glasklar perlende Xylophon von Joel Ross und den lautmalerischen Scat-Gesang von Michael Mayo erhält diese Visitenkarte durch die Einbeziehung von Stilmitteln, die ansonsten weitgehend vom aktuellen Jazz-Radar verschwunden sind, eine spezielle, neugierig machende Färbung.
Harte BreakBeats und ein angriffslustiger Rap von Kokayi lassen "Square Wheel" zunächst aufrührerisch klingen, bevor Michael Mayo mit seinem versöhnlichen Gesang die Wogen glättet. Gleichzeitig schaltet der Sound von eckigem HipHop auf manierlichen Smooth-Jazz um. Dieses Wechselspiel wiederholt sich noch mehrfach. Plötzlich übernimmt aber ein empört klingendes, zunehmend freier aufspielendes Saxophon den Ton, wobei die Rhythmus-Abteilung vertrackt, vehement und spritzig dagegen hält.
Beim Zwischenspiel "Band Room Freestyle" führt der Rapper Kokayi wieder ein großes, energisches Wort und über einen Bass-betonten Takt wird ständig der gleiche alarmierende Tusch gespielt, der einem Weck-Laut gleich kommt. In "Street Lamp" fließen allerlei Klänge ein, die ins kollektive Jazz-Bewusstsein gelangt sind und sich dennoch wie spontane Eingebungen anhören. Die Schattierungen berücksichtigen unter anderem freundlich-zurückhaltende Momente, erzählend-improvisierte Gitarren-Passagen, ein torkelnd-unentschlossenes Piano-Solo von Jon Coward und vehemente rhythmische Arbeiten, die sich allerdings nicht aufdrängen.
Bei "Don't Let Me Get Away" trägt Stokley Williams, der ehemalige Sänger und Schlagzeuger der Band Mint Condition, zur gesanglichen Geschlossenheit bei. Der Song groovt mild-elegant und verbreitet eine besänftigende Stimmung, die frei von Aggressionen ist. Für "Collision" steuert die Geigerin Regina Carter jauchzende und sehnsuchtsvolle Töne bei. Das Stück trägt kammermusikalische Modern-Jazz-Züge und erinnert deshalb an den transkulturellen Sound von Oregon, dem Jazz-World Music-Klassik-Ensemble um Ralph Towner.
Mit sphärischen Hintergrundgeräuschen und einem brodelnd-zischenden Schlagzeug-Solo leitet das kurze "Meditation (Prelude)" zu "Rambo: The Vigilante" über, das mit Vernon Reid, dem ehemaligen Gitarristen von Living Colour, einen musikalischen Helden von Nate Smith präsentiert. Dem gehetzten Schlagzeug und dem missmutig grummelnden Bass stehen Synthesizer-Schwebeklänge entgegen. Das Saxophon von Jaleel Shaw führt ein isoliertes Eigenleben und Vernon Reid stört mit seiner E-Gitarre auch brachial einen möglichen melodischen Song-Aufbau, so dass der Track keine Ruhe finden kann.
Amma Whatt, die American-Idol-Finalistin aus 2012 übernimmt für "I Burn For You" den sinnlichen Lead-Gesang. Jaleel Shaws Saxophon deckt tonal und atonal einige Ausdrucksmöglichkeiten ab und prägt dadurch das instrumentale Gesicht dieser spannenden Art-Pop-Landschaft. Das aus dem Opener "Altitude" bekannte und bewährte Team Joel Ross (Vibraphon) & Michael Mayo (Stimme) kommt auch beim Stück "See The Birds" zum Einsatz. Wiederum gibt es eine interessante Abwägung zwischen Eingängigkeit und Spieltrieb zu hören, wobei der Pegel eindeutig in Richtung Pop ausschlägt.
Die Gästeliste wird für "Fly (For Mike)" um Brittany Howard, der wuchtig-voluminösen Stimme der Alabama Shakes, komplettiert. Hier haucht sie einen schmirgelnden Soul, der sich so eindringlich um die Noten rankt, als würde sie mit jedem Atemzug einen Teil ihrer Seele freilegen. Dieser Late-Night Jazz ist an Intensität kaum zu übertreffen und setzt einen Schlusspunkt, der Lust auf ein ganzes Album voll mit solchen Edel-Balladen macht.
Das Album zeigt einen um Unabhängigkeit bemühten und nach Eigenständigkeit strebenden Musiker, der einige beachtliche Schöpfungen auf den Weg gebracht hat. "Kinfolk 2: See The Birds" ist ein Sammelsurium an Sounds und überfließenden Ideen, das jugendlichen Drang und schöpferische Freiheit sehr gut symbolisiert. Ein nahtloses Durchhören erfordert allerdings ein entsprechend breites musikalisches Interessen-Spektrum. Würde Nate Smith ein schlagkräftiges, hochkarätiges Song-orientiertes Werk mit Sinn für Melodie und Experiment zusammenstellen, was seine Ideen verdichtet, dann sollte er in Zukunft in einem Atemzug mit Jazz-Pop-Crossover-Größen wie Gregory Porter genannt werden.