Michel Legrand: Hier & Demain
Hier & Demain
5
CDs
CD (Compact Disc)
Herkömmliche CD, die mit allen CD-Playern und Computerlaufwerken, aber auch mit den meisten SACD- oder Multiplayern abspielbar ist.
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- Label: Decca
- Bestellnummer: 10874650
- Erscheinungstermin: 15.4.2022
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*** Papersleeves & Booklet (engl. & frz.) in Stülpdeckelbox
Michel Legrand, Gestern und Morgen
»Die Seele von Michel Legrand ist weiß und schwarz; er ist so barock und impressionistisch wie der Blues. Diese Métissage ist genau das, was den intimsten Teil von mir berührt.«
Damien Chazelle
Michel Legrand sagte einmal: »Schon als Kind war es mein Ziel, ganz in der Musik zu leben. Ich träumte davon, dass mir nichts entgehen würde. Das ist der Grund, warum ich mich nie nur auf eine Art von Musik beschränkt habe. Ich liebe es, zu spielen, zu dirigieren, zu singen und zu schreiben, und zwar in jeder Stilrichtung. Die Vielfalt bewahrt mich vor Uniformität«
Legrand definierte damit seine Position als unklassifizierbarer, atypischer und bulimischer Musiker. Oder vielmehr seine Positionen im Plural: Komponist, Dirigent, Pianist, Sänger, Autor und Regisseur. Er war der richtige Mann für alles, was mit Musik zu tun hatte, ein Mann, der die Grenzen zwischen Jazz, Musical, symphonischer Musik und Pop rigoros aufheben wollte. Als Superstar der Musik im Plural, als kauziger, systemfremder Schöpfer und dreifacher Oscar-Preisträger hat uns Michel Legrand ein umfangreiches Werk hinterlassen, dessen Konturen noch zu definieren sind, ein Werk, das Themen und Melodien enthält, die seit mehreren Jahrzehnten unser kollektives Gedächtnis durchdringen.
Seine Karriere hatte auch eine faszinierende Dimension, nämlich die eines Lebens, das sich unter ständiger Missachtung der Zeitzonen rund um den Globus beschleunigte. Seine letzte Dimension im Jahr 2018 entsprach dem Leben des Mannes, d. h. seiner Hyperaktivität: die Veröffentlichung seiner Memoiren »J'ai le regret de vous dire oui«, seine Musik für den Film »The Other Side of the Wind« von Orson Welles sowie die Uraufführung der Bühnenversion von Peau d'âne am Théâtre Marigny in Paris.
Michel verstarb Ende Januar 2019, nachdem er die Arbeiten an seinen Werken abgeschlossen hatte.
Die weltweiten Pressereaktionen auf das Verschwinden dieses Schöpfers, der sich dem Lauf der Zeit zu widersetzen schien, unterstrichen eine grundlegende Wahrheit: Das Reich von Michel Legrand war weitaus größer, als es von außen betrachtet schien. In gewisser Weise ist diese neue Anthologie mit dem Titel »Hier Et Demain« - das heißt gestern und morgen - ein Versuch, eine Karte dieses Reiches zu zeichnen. Sie erzählt die Geschichte eines Schicksals und, noch besser, sie erfindet eine Zukunft dafür
CD 1
Neuauflagen und neue Lesarten
Michel Legrand wurde zum ersten Mal in seinem abwechslungsreichen Berufsleben für das gebucht, was man die Philips-Jahre nennen kann, die Zeit, in der Jacques Canetti, der seine Talente entdeckte, ihm das Schreiben von Arrangements für seine Künstler anvertraute, zu denen Jacques Brel, Juliette Greco, Jacqueline François, Henri Salvador und Catherine Sauvage gehörten...
»Ich ging in die populäre Musik wie ein Kind in eine Konditorei«, pflegte er zu sagen. »Ich hatte die Technik, um ein Arrangement in weniger als einer Stunde durchzuziehen. Da ich den Sänger als Schutzschild hatte, konnte ich Risiken eingehen, und so versuchte ich immer, eine originelle Idee für Kontrapunkt, Rhythmen und Farben zu finden. Meine Arrangements waren Orchesterkonzerte, in die der Sänger versuchte, sich einzufügen.«
Legrand verlegte sich nach und nach vom Arrangieren auf das Komponieren, wo er einige denkwürdige Stücke vor allem für Filme schrieb, und seine Lieder führten später ein neues Leben abseits der Leinwand. Zum Beispiel die Lieder von Delphine und Maxence, die er in dem Musical Les Demoiselles de Rochefort vertonte.
Hatte er, als er sie schrieb, eine Vorstellung davon, wie oft sie gelesen werden würden?
»Das ist eine seltsame Sache«, erinnert er sich. »Das Thema, für das ich mich am wenigsten begeistern konnte, war das, das Jacques Demy gewählt hatte. Ohne jedes Argument. Ich fand es simpel, fast banal, zu sehr wie eine Lektion... man hätte fast meinen können, es sei eine kleine Etüde für die Finger eines Anfängers... Aber mein Instinkt hat mich im Stich gelassen: es ist die Melodie aus dem Film, die jedem auf der ganzen Welt auffallen würde.«
Lange Zeit war sich Legrand nicht bewusst, wie sehr seine Lieder die Berufung der Menschen prägen würden, und sie haben bei mehreren Künstlergenerationen einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Das wurde ihm erst 2009 bewusst, nach einer entscheidenden Begegnung mit der glühenden Sopranistin Natalie Dessay, und 2015, als sein Album »Michel Legrand Et Ses Amis« veröffentlicht wurde.
Dieses Album zog Künstler wie Thomas Dutronc, Lambert Wilson und Brigitte wie ein Magnet an. Später kamen junge französische Gesangstalente wie Clara Luciani und Juliette Armanet hinzu; Legrand gefiel ihre Klavierversion von »Moulins De Mon Cœur« bei der Eröffnung des Festivals von Cannes 2018.
Und genau das ist das Prinzip hinter dieser ersten CD: neue Lesarten von Liedern, neue Versionen und ikonoklastische Bearbeitungen, von der Salsa-Versenkung von »Yuri Buenaventuras Chanson Des Jumelles« bis zum Lyrismus der koreanischen Sängerin Youn Sun Ha bei »Sans Toi« und vom halsbrecherischen Jazz-Walzer »La Femme Coupée En Morceaux«, der von Camille Bertault getragen wird, bis zu Macha Mérils gemurmeltem »Celui-Là«, einem Titel aus dem Tribute-Album des Pianisten Hervé Sellin.
Zusammen erinnern die Titel an den berühmten Ausspruch von Claude Nougaro:
»Jeder geht seinen eigenen Weg und kämpft den einzigen Kampf, der es wert ist: im Takt zu singen... und einfach zu singen.«
CD 2
Sänger
»Meiner Meinung nach«, so Legrand, »kann ein Lied, das schön ist, genauso viel Wert haben wie einige Stücke von Wagner.« Das ist ein Weg, um jede Hierarchie in der Musik zu vermeiden, um Musik im Plural zu erfassen, ohne vorgefasste Meinungen.
Lieder zogen sich wie ein roter Faden durch Legrands Karriere, die 1955 mit »La Valse des lilas begann«, einem Gründungserfolg, der zugleich die Taufe seiner Zusammenarbeit mit dem Lyriker Eddy Marnay war. Ein Jahr später lernt er einen jungen Schriftsteller von 27 Jahren kennen...
»Claude Nougaro«, erklärt Legrand, »hatte eine Syntax, die erstaunlich reif war:
Sie war bodenständig, prägnant und hatte viel Rhythmus. Nougaro verband die französische Sprache mit dem Blues, dem Swing und dem Bop, und das alles klang so natürlich.«
Gemeinsam warben Michel und Claude bei angesagten Sängern, damit diese die von den beiden geschriebenen Lieder aufgriffen. Oder bis Legrand Nougaro dazu überredete, sie selbst zu singen, obwohl dieser sich dagegen sträubte.
Diese erste 10"-LP für Philips, die im Herbst 1962 veröffentlicht wurde, machte Nougaro dank »Le Cinéma«, »Les Don Juan« oder »Le Rouge Et Le Noir« über Nacht zum Schlagersänger.
Zwei Jahre später tritt Legrand selbst ans Mikrofon und nimmt nacheinander zwei Gesangsalben auf - und die Platten »Michel Legrand – Chante Et S'Accompagne« und »Sérénades Du XXème Siècle« balancieren zwischen Jazz und Romantik, ebenso wie seine 45rpm-Scheibe mit Duetten mit Nana Mouskouri, von der »Quand On S'Aime« stammt. 1965 lud Brel Legrand ein, als Vorgruppe für ihn im Olympia-Theater zu singen.
Michel sagt dazu: »Ich habe das als Zeichen der Freundschaft und auch als eine Art Anerkennung aufgefasst. Brel schien mich zu drängen, in diese Richtung zu gehen, so wie ich Nougaro ermutigte, Sänger zu werden. Wollten wir alle aneinander gekettet sein?«
1968 wurde »Les Moulins De Mon Cœur«, die französische Adaption des amerikanischen Songs »The Windmills Of Your Mind«, erstmals von Alain Delon aufgenommen, aber nicht auf Schallplatte veröffentlicht. Der Komponist griff es auf und machte es zum Haupttitel seines dritten Albums als Sänger, das 1969 unter dem Titel »Michel Legrand – Chante Les Moulins De Mon Cœur veröffentlicht wurde.
Der Titelsong wurde in einem langsameren Tempo aufgenommen und klang introspektiver als die Originalversion in »The Thomas Crown Affair«. Es folgten 1981 eine eher herbstliche Platte, »Attendre«, für die Legrand alle Texte schrieb (eine Premiere), mehrere Filmsongs (Un Parfum De Fin Du Monde In Les Uns Et Les Autres) und schließlich 2005 ein Album zu Ehren von Claude Nougaro. Für letzteres sang Legrand zum ersten Mal »Mon Dernier Concert«, das auf einem unveröffentlichten Text des Dichters aus Toulouse basiert.
Legrand sagte: »Die Worte hatten eine dämmrige Schönheit, die mein Herz durchdrang. Kaum hatte ich zu Hause die Tür geschlossen, legte ich das Manuskript auf mein Klavier. Fünfzehn Minuten später war das Lied fertig. Es hatte etwas Großartiges, Erhebendes an sich, und um dieses Gefühl zu verstärken, schrieb ich absichtlich eine Orchestrierung, die einen CinemaScope-Sound hatte, in einem Geist, der fast an eine Ravel erinnert. Das Lied war ein Abschiedslied, mein Abschied von Claude Nougaro.«
Heute schließt das gleiche Lied diese zweite CD ab. Es ist schwer, es anzuhören, ohne an Michel Legrand zu denken, angesichts der unglaublich bewegenden Verse des Dichters:
»Mon Dernier Concert
Sera-t-il Donné
A Tombeau Ouvert
Ou Guichet Fermé?«
Nota: Französische Doppeldeutigkeiten lassen sich nicht leicht übersetzen; die Interpretationen lauten: »Wird mein letztes Konzert »wie eine Fledermaus aus der Hölle« (volkstümlich gesprochen, aber wörtlich »in einem offenen Grab«) oder »mit geschlossener Kasse« (die wörtliche Bedeutung, aber allgemein verwendet, um »nur Stehplätze« oder »ein volles Haus« zu bezeichnen.«
CD 3
Jazz
Am 28. Februar 1948 ging der junge Michel Legrand in den Salle Pleyel in Paris, um Dizzy Gillespie zu sehen. Er bleibt und sieht sich beide Konzerte nacheinander an. Zu dieser Zeit studiert er am Pariser Konservatorium und ist Schüler von Henri Challan und Nadia Boulanger, aber Dizzy zu hören, erschüttert ihn.
Mehr noch als ein elektrischer Schlag traf ihn das Ereignis wie ein Erdbeben.
Diese Offenbarung des modernen Jazz stellte alle seine Überzeugungen auf den Kopf und gleichzeitig auch seine eigene Identität.
Er sah es folgendermaßen: »Bebop ist eine andere Stimme, eine andere Melodie, eine Alternative zum Konservatorium. Bach, Mozart, Ravel... das war meine Muttersprache. Jazz war meine erste Fremdsprache. Sinfoniker oder Bebopper? Welchen Weg sollte ich einschlagen? Wie würde ich mich entscheiden? Oder besser gesagt, warum wählen? Gab es überhaupt eine Möglichkeit, all diese Kulturen zu kombinieren oder zu verschmelzen? Diese existenzielle Frage stellte ich mir, seit ich sechzehn war, und sie war die Grundlage für mein ganzes Leben als Komponist.«
Michel Legrand hat sein ganzes Leben damit verbracht, der grundlegenden Magie hinter dem Doppelkonzert von Gillespie auf die Spur zu kommen. Als erstes entstand die unverzichtbare Platte Legrand Jazz, die er 1958 aufnahm, als Columbia und Philips ihm freie Hand für ein Album gaben (als Dank für die phänomenalen Verkaufszahlen von I Love Paris).
Legrand war gerade 26 Jahre alt. Die Platte gab ihm die Möglichkeit, Phil Woods, John Coltrane, Herbie Mann, Bill Evans und Miles Davis zu treffen (und zu dirigieren).
»Die Idee, die ich hatte, war einfach«, sagte Legrand. »Da sie mir unbegrenzte Mittel zur Verfügung gestellt hatten, wählte ich genau den umgekehrten Ansatz und steckte diesen Reichtum in eine begrenzte Anzahl großartiger Solisten. Die Arrangements waren klar und modern, um den Refrains einiger sehr eigensinniger Spieler einen würdigen Rahmen zu geben.«
Der Jazz von Legrand, heute ein historisches Album, war der Beginn von Freundschaften, die sich über die Jahre fortsetzen sollten, wie die mit Phil Woods (Michel schrieb 1974 ein Album für ihn, ein Feuerwerk mit dem Titel Images) oder mit Miles Davis (die beiden taten sich erst viel später für den Schwanengesang des Trompeters 1990, den Soundtrack für den Film Dingo, wieder zusammen) Außer mit Phil Woods arbeitete Legrand noch mit drei weiteren Saxophon-Legenden zusammen, nämlich mit Gerry Mulligan, Bud Shank und... Stan Getz, die Zeit, die für die Aufnahme des Konzeptalbums »Communications '72« benötigt wurde, dessen Hülle der Maler Raymond Moretti illustrierte.
Sechzig Jahre lang hat Legrand die Welt des Jazz in all ihren Facetten erkundet, mit Besetzungen vom Trio bis zur Big Band, vom Soloklavier bis zum Quintett experimentiert und ist dabei auf Schlüsselfiguren wie Sarah Vaughan, Toots Thielemans, Stéphane Grappelli, Ray Brown und Shelly Manne gestoßen, nicht zu vergessen ›die kubanische Achse‹ von Chucho Valdés und Arturo Sandoval.
Michel mochte es auch, wenn seine Kompositionen nicht mehr in seinen Händen lagen, sondern neu interpretiert wurden, so bahnbrechend wie die Stücke, die er für Richard Rodgers oder John Lewis komponiert hatte. Zu seinen Favoriten unter den wiederaufgenommenen Werken gehören »La Valse Des Lilas« in einem Arrangement von Gil Evans für Miles Davis und »Je Vivrai Sans Toi (I Will Say Goodbye)« vom Bill Evans Trio in einem Zustand der Schwerelosigkeit.
Sie brachten Michel zum Lächeln: »Meine Faszination für diese Versionen hat nichts mit Selbstbefriedigung zu tun. Ich habe bei den Aufnahmen keine Rolle gespielt. Es ist meine Musik, transzendiert von zwei Genies, die direkt mit Gott verbunden sind.«
CD 4
Instrumental-Pop
Die ursprüngliche Geburtsurkunde von Michel Legrand auf Schallplatte war eine instrumentale 33rpm-LP, die 1954 von Philips und Columbia herausgegeben wurde. Sie trug den Titel »I Love Paris« und enthielt Stücke zum Thema der französischen Hauptstadt. Für sein erstes Album unter eigenem Namen bemühte sich der junge Legrand, das zu tun, was man ihm gesagt hatte... und keine Aufträge anzunehmen.
»Bei diesem Projekt«, erklärt er, »habe ich versucht, ein wenig Mut zu beweisen und die übliche Routine mit Unterhaltungsplatten zu durchbrechen. Ich wollte, dass jeder Titel eine eigene Farbe hat und mit diesen Akkordeon-Klischees spielt und sie auseinander nimmt, angefangen mit einem Glockengeläut als Wink in Richtung Notre-Dame.«
In der Geschichte der Schallplatten ist »I Love Paris« ein Symbol für den Übergang von der alten zur neuen Welt, von der 78er zur LP, und es war eine Revolution in Bezug auf Dauer und künstlerisches Konzept. Dieses Album, auf dem Legrand »nur« als Dirigent und Arrangeur genannt wird, macht die Bezeichnung »Michel Legrand und sein Orchester« zu einem weltweiten Markenzeichen. Es löste auch eine ganze Reihe von thematischen Ablegern in Form von LPs aus, die wie Postkarten aus dem Ausland wirkten:
Schlösser in Spanien gesellte sich zu Ferien in Rom oder Ferien in Wien, ganz zu schweigen von Legrand in Rio, das erschien, kurz bevor Tom Jobim die Bossa-Nova-Rhythmen in Brasilien patentierte.
Während seiner gesamten Karriere blieb Michel Legrand dem Format der Instrumentalalben treu, die die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich gezogen hatten. Einige von ihnen sollten ein unerwartetes Schicksal erleiden, wie »Archi-cordes« im Jahr 1964, ebenfalls ein Projekt, das die bestehenden Traditionen in Frage stellte, und auf dieser Platte nahm der Komponist dieselben »Yé-Yé«-Pop-Rhythmen, die er so sehr verabscheute, und pervertierte sie von innen heraus.
»Damals«, erklärt Legrand, »wollte ich den Twist und den Hully Gully ein für alle Mal loswerden, ganz zu schweigen von dem sehr kitschigen Trend, der darin bestand, riesige Orchester mit sirupartigen Streichern im Gleichklang spielen zu lassen. Als wir das Stück aufnahmen, wurde unser Tontechniker auf uns aufmerksam und nahm die Bässe heraus, um das obere Register noch weiter nach oben zu schieben. Die gestrichenen Saiten klangen, als würden sie mit Rasierklingen gerieben, die von Säure zerfressen wurden...«
Es war ein fröhlich subversives Album mit durchschnittlichen Verkaufszahlen, das im 21. Jahrhundert einen zweiten Aufschwung erlebte, als sein Titel »Di-Gue-Ding-Ding« in Endlosschleifen für Werbespots, Radiojingles und sogar von Steven Spielberg für den Trailer zu seinem Film »Catch Me If You Can« recycelt wurde.
Es ist schwierig, in wenigen Zeilen die Instrumentalstücke aufzuzählen, die im Laufe von Legrands Karriere auf Vinyl erschienen sind, sei es als Cover seiner Filmmusik, als Hommage an die »42nd Street (Broadway Is My Beat)« oder als Hommage an den Mann, der »Night And Day« komponiert hat (The Album Of Cole Porter), ein Unternehmen, das es ihm ermöglichte, zum ersten Mal mit dem legendären Stéphane Grappelli aufzunehmen.
Legrand, ein renommierter Komponist, der schon mehr als einen Oscar zu Hause hat, hatte immer eine ehrliche Freude daran, sich auf seine frühesten Fähigkeiten als Arrangeur zu besinnen.
CD 5
Filme
Nachdem er sich mit »Les Amants Du Tage«, »Rafles Sur La Ville« oder »Le Triporteur« einen Namen gemacht hatte, machte sich Michel mit dem Aufkommen der Nouvelle Vague im französischen Filmschaffen einen neuen Namen und etablierte sich als einer der Künstler der Erneuerung des Genres.
Er arbeitete mit François Reichenbach, Jean-Luc Godard, Agnès Varda und natürlich mit Jacques Demy zusammen, seinem kreativen Mitstreiter, mit dem Legrand eine neue Form des Filmmusicals erfand.
Der Film, der 1964 bei den Filmfestspielen in Cannes die Goldene Palme gewann (und auch den Prix Louis Delluc), war »Les Parapluies De Cherbourg«, der unter dem englischen Titel »The Umbrellas Of Cherbourg« einen weltweiten Siegeszug antrat. »Trotzdem«, so Legrand, »Umbrellas« ist ein Film, der nicht »mit«, sondern »gegen« gemacht wurde.«
Legrand vertonte weiterhin die Träume von Demy (Les Demoiselles De Rochefort, Peau D'âne, Trois Places Pour Le 26), auch wenn er 1968 nach Los Angeles ging, um »Sauerstoff zu tauschen« (seine eigenen Worte). Nach dem unglaublichen Erfolg von »The Thomas Crown Affair«, aus dem der Song »The Windmills Of Your Mind« stammt (sein erster Oscar), entschied sich Michel, sowohl in Paris als auch in Hollywood zu arbeiten und zeichnete für »Summer Of '42« (sein zweiter Oscar), »Lady Sings The Blues«, »Jamais Plus Jamais«, »Yentl« (sein dritter Oscar) und »Prêt-À-Porter« verantwortlich.
Für Michel Legrand war die Filmmusik ein zweiter Dialog, und er bleibt der einzige europäische Komponist, dessen Filmografie seinen Namen in einer Reihe mit den Regisseuren Norman Jewison, Jacques Deray, Sydney Pollack, Robert Altman, Jean-Paul Rappeneau, Joseph Losey, Louis Malle, Andrzej Wajda und Claude Lelouch aufführt... ganz zu schweigen von den verpassten Gelegenheiten mit anderen Regisseuren, die seine Musik hätten haben können, sowie von den stürmischen Episoden oder anderen Misserfolgen (wie zum Beispiel mit Jean-Pierre Melville oder Richard Lester).
Man muss sagen, dass man selten einen Musiker gesehen hat, der sich in so vielen verschiedenen Filmfamilien engagiert hat wie Michel Legrand. Was haben Chris Marker, James Bond, Oum Le Dauphin und Clint Eastwood gemeinsam?
Die Antwort lautet: Michel Legrand. Das Schreiben von Filmmusik ermöglichte es diesem großen Komponisten - in Frankreich bekannt als »Le Grand Michel«, wobei sein Nachname aus zwei Wörtern besteht, um seine Exzellenz zu unterstreichen -, eine Synthese zwischen seinen verschiedenen Kulturen zu schaffen, Barockmusik, modernen Jazz und symphonische Musik zu einem einzigen Weg zu verschmelzen, seinem eigenen. Magisch, gewalttätig, poetisch...
und mit einer Verbindung, die Bach mit Miles Davis und Gil Evans mit Strawinsky verbindet, erkundet Legrands Komposition alle möglichen Landschaften und Sprachen und schöpft viel Vergnügen aus ihren Überlagerungen.
Mit anderen Worten: Es gibt fast so viele Legrands, wie es Filme gibt, die von Legrand vertont wurden. Eine unerwartete Begegnung mit dem Regisseur Xavier Beauvois ließ 2014 die Verbindung des Komponisten zur Leinwand wieder aufleben; das Ergebnis waren zwei abendfüllende Spielfilme, »La Rançon De La Gloire« und »Les Gardiennes«.
Beauvois: »Man sagt, man solle keine Angst vor Superstars haben. Aber Michel war gar nicht so: Er wohnte nur ein Stockwerk höher. Die Begegnung mit ihm hat meinen Geist in Bezug auf die Musik befreit. Zwischen uns war es ein intellektueller Wettbewerb und ein Austausch.«
Und dann kam 2018 das verblüffende Abenteuer: »The Other Side Of The Wind«, der Film, den Orson Welles nie fertiggestellt hat. Im Jahr 1973 notierte Welles in seinem Tagebuch: »Ruf Legrand wegen der Musik an.«
Die Produzenten hielten sich an seine Anweisungen... fünfundvierzig Jahre später. Auch das war eine Möglichkeit für den Komponisten, eine unerhörte kreative Situation zu erleben, nämlich Musik für einen Filmemacher zu schreiben, der nicht anwesend war. Das letzte Testament von Orson Welles ist also auch das von Michel Legrand, in einer unangenehmen Umkehrung der Zeit.
Stéphane Lerouge
»Die Seele von Michel Legrand ist weiß und schwarz; er ist so barock und impressionistisch wie der Blues. Diese Métissage ist genau das, was den intimsten Teil von mir berührt.«
Damien Chazelle
Michel Legrand sagte einmal: »Schon als Kind war es mein Ziel, ganz in der Musik zu leben. Ich träumte davon, dass mir nichts entgehen würde. Das ist der Grund, warum ich mich nie nur auf eine Art von Musik beschränkt habe. Ich liebe es, zu spielen, zu dirigieren, zu singen und zu schreiben, und zwar in jeder Stilrichtung. Die Vielfalt bewahrt mich vor Uniformität«
Legrand definierte damit seine Position als unklassifizierbarer, atypischer und bulimischer Musiker. Oder vielmehr seine Positionen im Plural: Komponist, Dirigent, Pianist, Sänger, Autor und Regisseur. Er war der richtige Mann für alles, was mit Musik zu tun hatte, ein Mann, der die Grenzen zwischen Jazz, Musical, symphonischer Musik und Pop rigoros aufheben wollte. Als Superstar der Musik im Plural, als kauziger, systemfremder Schöpfer und dreifacher Oscar-Preisträger hat uns Michel Legrand ein umfangreiches Werk hinterlassen, dessen Konturen noch zu definieren sind, ein Werk, das Themen und Melodien enthält, die seit mehreren Jahrzehnten unser kollektives Gedächtnis durchdringen.
Seine Karriere hatte auch eine faszinierende Dimension, nämlich die eines Lebens, das sich unter ständiger Missachtung der Zeitzonen rund um den Globus beschleunigte. Seine letzte Dimension im Jahr 2018 entsprach dem Leben des Mannes, d. h. seiner Hyperaktivität: die Veröffentlichung seiner Memoiren »J'ai le regret de vous dire oui«, seine Musik für den Film »The Other Side of the Wind« von Orson Welles sowie die Uraufführung der Bühnenversion von Peau d'âne am Théâtre Marigny in Paris.
Michel verstarb Ende Januar 2019, nachdem er die Arbeiten an seinen Werken abgeschlossen hatte.
Die weltweiten Pressereaktionen auf das Verschwinden dieses Schöpfers, der sich dem Lauf der Zeit zu widersetzen schien, unterstrichen eine grundlegende Wahrheit: Das Reich von Michel Legrand war weitaus größer, als es von außen betrachtet schien. In gewisser Weise ist diese neue Anthologie mit dem Titel »Hier Et Demain« - das heißt gestern und morgen - ein Versuch, eine Karte dieses Reiches zu zeichnen. Sie erzählt die Geschichte eines Schicksals und, noch besser, sie erfindet eine Zukunft dafür
CD 1
Neuauflagen und neue Lesarten
Michel Legrand wurde zum ersten Mal in seinem abwechslungsreichen Berufsleben für das gebucht, was man die Philips-Jahre nennen kann, die Zeit, in der Jacques Canetti, der seine Talente entdeckte, ihm das Schreiben von Arrangements für seine Künstler anvertraute, zu denen Jacques Brel, Juliette Greco, Jacqueline François, Henri Salvador und Catherine Sauvage gehörten...
»Ich ging in die populäre Musik wie ein Kind in eine Konditorei«, pflegte er zu sagen. »Ich hatte die Technik, um ein Arrangement in weniger als einer Stunde durchzuziehen. Da ich den Sänger als Schutzschild hatte, konnte ich Risiken eingehen, und so versuchte ich immer, eine originelle Idee für Kontrapunkt, Rhythmen und Farben zu finden. Meine Arrangements waren Orchesterkonzerte, in die der Sänger versuchte, sich einzufügen.«
Legrand verlegte sich nach und nach vom Arrangieren auf das Komponieren, wo er einige denkwürdige Stücke vor allem für Filme schrieb, und seine Lieder führten später ein neues Leben abseits der Leinwand. Zum Beispiel die Lieder von Delphine und Maxence, die er in dem Musical Les Demoiselles de Rochefort vertonte.
Hatte er, als er sie schrieb, eine Vorstellung davon, wie oft sie gelesen werden würden?
»Das ist eine seltsame Sache«, erinnert er sich. »Das Thema, für das ich mich am wenigsten begeistern konnte, war das, das Jacques Demy gewählt hatte. Ohne jedes Argument. Ich fand es simpel, fast banal, zu sehr wie eine Lektion... man hätte fast meinen können, es sei eine kleine Etüde für die Finger eines Anfängers... Aber mein Instinkt hat mich im Stich gelassen: es ist die Melodie aus dem Film, die jedem auf der ganzen Welt auffallen würde.«
Lange Zeit war sich Legrand nicht bewusst, wie sehr seine Lieder die Berufung der Menschen prägen würden, und sie haben bei mehreren Künstlergenerationen einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Das wurde ihm erst 2009 bewusst, nach einer entscheidenden Begegnung mit der glühenden Sopranistin Natalie Dessay, und 2015, als sein Album »Michel Legrand Et Ses Amis« veröffentlicht wurde.
Dieses Album zog Künstler wie Thomas Dutronc, Lambert Wilson und Brigitte wie ein Magnet an. Später kamen junge französische Gesangstalente wie Clara Luciani und Juliette Armanet hinzu; Legrand gefiel ihre Klavierversion von »Moulins De Mon Cœur« bei der Eröffnung des Festivals von Cannes 2018.
Und genau das ist das Prinzip hinter dieser ersten CD: neue Lesarten von Liedern, neue Versionen und ikonoklastische Bearbeitungen, von der Salsa-Versenkung von »Yuri Buenaventuras Chanson Des Jumelles« bis zum Lyrismus der koreanischen Sängerin Youn Sun Ha bei »Sans Toi« und vom halsbrecherischen Jazz-Walzer »La Femme Coupée En Morceaux«, der von Camille Bertault getragen wird, bis zu Macha Mérils gemurmeltem »Celui-Là«, einem Titel aus dem Tribute-Album des Pianisten Hervé Sellin.
Zusammen erinnern die Titel an den berühmten Ausspruch von Claude Nougaro:
»Jeder geht seinen eigenen Weg und kämpft den einzigen Kampf, der es wert ist: im Takt zu singen... und einfach zu singen.«
CD 2
Sänger
»Meiner Meinung nach«, so Legrand, »kann ein Lied, das schön ist, genauso viel Wert haben wie einige Stücke von Wagner.« Das ist ein Weg, um jede Hierarchie in der Musik zu vermeiden, um Musik im Plural zu erfassen, ohne vorgefasste Meinungen.
Lieder zogen sich wie ein roter Faden durch Legrands Karriere, die 1955 mit »La Valse des lilas begann«, einem Gründungserfolg, der zugleich die Taufe seiner Zusammenarbeit mit dem Lyriker Eddy Marnay war. Ein Jahr später lernt er einen jungen Schriftsteller von 27 Jahren kennen...
»Claude Nougaro«, erklärt Legrand, »hatte eine Syntax, die erstaunlich reif war:
Sie war bodenständig, prägnant und hatte viel Rhythmus. Nougaro verband die französische Sprache mit dem Blues, dem Swing und dem Bop, und das alles klang so natürlich.«
Gemeinsam warben Michel und Claude bei angesagten Sängern, damit diese die von den beiden geschriebenen Lieder aufgriffen. Oder bis Legrand Nougaro dazu überredete, sie selbst zu singen, obwohl dieser sich dagegen sträubte.
Diese erste 10"-LP für Philips, die im Herbst 1962 veröffentlicht wurde, machte Nougaro dank »Le Cinéma«, »Les Don Juan« oder »Le Rouge Et Le Noir« über Nacht zum Schlagersänger.
Zwei Jahre später tritt Legrand selbst ans Mikrofon und nimmt nacheinander zwei Gesangsalben auf - und die Platten »Michel Legrand – Chante Et S'Accompagne« und »Sérénades Du XXème Siècle« balancieren zwischen Jazz und Romantik, ebenso wie seine 45rpm-Scheibe mit Duetten mit Nana Mouskouri, von der »Quand On S'Aime« stammt. 1965 lud Brel Legrand ein, als Vorgruppe für ihn im Olympia-Theater zu singen.
Michel sagt dazu: »Ich habe das als Zeichen der Freundschaft und auch als eine Art Anerkennung aufgefasst. Brel schien mich zu drängen, in diese Richtung zu gehen, so wie ich Nougaro ermutigte, Sänger zu werden. Wollten wir alle aneinander gekettet sein?«
1968 wurde »Les Moulins De Mon Cœur«, die französische Adaption des amerikanischen Songs »The Windmills Of Your Mind«, erstmals von Alain Delon aufgenommen, aber nicht auf Schallplatte veröffentlicht. Der Komponist griff es auf und machte es zum Haupttitel seines dritten Albums als Sänger, das 1969 unter dem Titel »Michel Legrand – Chante Les Moulins De Mon Cœur veröffentlicht wurde.
Der Titelsong wurde in einem langsameren Tempo aufgenommen und klang introspektiver als die Originalversion in »The Thomas Crown Affair«. Es folgten 1981 eine eher herbstliche Platte, »Attendre«, für die Legrand alle Texte schrieb (eine Premiere), mehrere Filmsongs (Un Parfum De Fin Du Monde In Les Uns Et Les Autres) und schließlich 2005 ein Album zu Ehren von Claude Nougaro. Für letzteres sang Legrand zum ersten Mal »Mon Dernier Concert«, das auf einem unveröffentlichten Text des Dichters aus Toulouse basiert.
Legrand sagte: »Die Worte hatten eine dämmrige Schönheit, die mein Herz durchdrang. Kaum hatte ich zu Hause die Tür geschlossen, legte ich das Manuskript auf mein Klavier. Fünfzehn Minuten später war das Lied fertig. Es hatte etwas Großartiges, Erhebendes an sich, und um dieses Gefühl zu verstärken, schrieb ich absichtlich eine Orchestrierung, die einen CinemaScope-Sound hatte, in einem Geist, der fast an eine Ravel erinnert. Das Lied war ein Abschiedslied, mein Abschied von Claude Nougaro.«
Heute schließt das gleiche Lied diese zweite CD ab. Es ist schwer, es anzuhören, ohne an Michel Legrand zu denken, angesichts der unglaublich bewegenden Verse des Dichters:
»Mon Dernier Concert
Sera-t-il Donné
A Tombeau Ouvert
Ou Guichet Fermé?«
Nota: Französische Doppeldeutigkeiten lassen sich nicht leicht übersetzen; die Interpretationen lauten: »Wird mein letztes Konzert »wie eine Fledermaus aus der Hölle« (volkstümlich gesprochen, aber wörtlich »in einem offenen Grab«) oder »mit geschlossener Kasse« (die wörtliche Bedeutung, aber allgemein verwendet, um »nur Stehplätze« oder »ein volles Haus« zu bezeichnen.«
CD 3
Jazz
Am 28. Februar 1948 ging der junge Michel Legrand in den Salle Pleyel in Paris, um Dizzy Gillespie zu sehen. Er bleibt und sieht sich beide Konzerte nacheinander an. Zu dieser Zeit studiert er am Pariser Konservatorium und ist Schüler von Henri Challan und Nadia Boulanger, aber Dizzy zu hören, erschüttert ihn.
Mehr noch als ein elektrischer Schlag traf ihn das Ereignis wie ein Erdbeben.
Diese Offenbarung des modernen Jazz stellte alle seine Überzeugungen auf den Kopf und gleichzeitig auch seine eigene Identität.
Er sah es folgendermaßen: »Bebop ist eine andere Stimme, eine andere Melodie, eine Alternative zum Konservatorium. Bach, Mozart, Ravel... das war meine Muttersprache. Jazz war meine erste Fremdsprache. Sinfoniker oder Bebopper? Welchen Weg sollte ich einschlagen? Wie würde ich mich entscheiden? Oder besser gesagt, warum wählen? Gab es überhaupt eine Möglichkeit, all diese Kulturen zu kombinieren oder zu verschmelzen? Diese existenzielle Frage stellte ich mir, seit ich sechzehn war, und sie war die Grundlage für mein ganzes Leben als Komponist.«
Michel Legrand hat sein ganzes Leben damit verbracht, der grundlegenden Magie hinter dem Doppelkonzert von Gillespie auf die Spur zu kommen. Als erstes entstand die unverzichtbare Platte Legrand Jazz, die er 1958 aufnahm, als Columbia und Philips ihm freie Hand für ein Album gaben (als Dank für die phänomenalen Verkaufszahlen von I Love Paris).
Legrand war gerade 26 Jahre alt. Die Platte gab ihm die Möglichkeit, Phil Woods, John Coltrane, Herbie Mann, Bill Evans und Miles Davis zu treffen (und zu dirigieren).
»Die Idee, die ich hatte, war einfach«, sagte Legrand. »Da sie mir unbegrenzte Mittel zur Verfügung gestellt hatten, wählte ich genau den umgekehrten Ansatz und steckte diesen Reichtum in eine begrenzte Anzahl großartiger Solisten. Die Arrangements waren klar und modern, um den Refrains einiger sehr eigensinniger Spieler einen würdigen Rahmen zu geben.«
Der Jazz von Legrand, heute ein historisches Album, war der Beginn von Freundschaften, die sich über die Jahre fortsetzen sollten, wie die mit Phil Woods (Michel schrieb 1974 ein Album für ihn, ein Feuerwerk mit dem Titel Images) oder mit Miles Davis (die beiden taten sich erst viel später für den Schwanengesang des Trompeters 1990, den Soundtrack für den Film Dingo, wieder zusammen) Außer mit Phil Woods arbeitete Legrand noch mit drei weiteren Saxophon-Legenden zusammen, nämlich mit Gerry Mulligan, Bud Shank und... Stan Getz, die Zeit, die für die Aufnahme des Konzeptalbums »Communications '72« benötigt wurde, dessen Hülle der Maler Raymond Moretti illustrierte.
Sechzig Jahre lang hat Legrand die Welt des Jazz in all ihren Facetten erkundet, mit Besetzungen vom Trio bis zur Big Band, vom Soloklavier bis zum Quintett experimentiert und ist dabei auf Schlüsselfiguren wie Sarah Vaughan, Toots Thielemans, Stéphane Grappelli, Ray Brown und Shelly Manne gestoßen, nicht zu vergessen ›die kubanische Achse‹ von Chucho Valdés und Arturo Sandoval.
Michel mochte es auch, wenn seine Kompositionen nicht mehr in seinen Händen lagen, sondern neu interpretiert wurden, so bahnbrechend wie die Stücke, die er für Richard Rodgers oder John Lewis komponiert hatte. Zu seinen Favoriten unter den wiederaufgenommenen Werken gehören »La Valse Des Lilas« in einem Arrangement von Gil Evans für Miles Davis und »Je Vivrai Sans Toi (I Will Say Goodbye)« vom Bill Evans Trio in einem Zustand der Schwerelosigkeit.
Sie brachten Michel zum Lächeln: »Meine Faszination für diese Versionen hat nichts mit Selbstbefriedigung zu tun. Ich habe bei den Aufnahmen keine Rolle gespielt. Es ist meine Musik, transzendiert von zwei Genies, die direkt mit Gott verbunden sind.«
CD 4
Instrumental-Pop
Die ursprüngliche Geburtsurkunde von Michel Legrand auf Schallplatte war eine instrumentale 33rpm-LP, die 1954 von Philips und Columbia herausgegeben wurde. Sie trug den Titel »I Love Paris« und enthielt Stücke zum Thema der französischen Hauptstadt. Für sein erstes Album unter eigenem Namen bemühte sich der junge Legrand, das zu tun, was man ihm gesagt hatte... und keine Aufträge anzunehmen.
»Bei diesem Projekt«, erklärt er, »habe ich versucht, ein wenig Mut zu beweisen und die übliche Routine mit Unterhaltungsplatten zu durchbrechen. Ich wollte, dass jeder Titel eine eigene Farbe hat und mit diesen Akkordeon-Klischees spielt und sie auseinander nimmt, angefangen mit einem Glockengeläut als Wink in Richtung Notre-Dame.«
In der Geschichte der Schallplatten ist »I Love Paris« ein Symbol für den Übergang von der alten zur neuen Welt, von der 78er zur LP, und es war eine Revolution in Bezug auf Dauer und künstlerisches Konzept. Dieses Album, auf dem Legrand »nur« als Dirigent und Arrangeur genannt wird, macht die Bezeichnung »Michel Legrand und sein Orchester« zu einem weltweiten Markenzeichen. Es löste auch eine ganze Reihe von thematischen Ablegern in Form von LPs aus, die wie Postkarten aus dem Ausland wirkten:
Schlösser in Spanien gesellte sich zu Ferien in Rom oder Ferien in Wien, ganz zu schweigen von Legrand in Rio, das erschien, kurz bevor Tom Jobim die Bossa-Nova-Rhythmen in Brasilien patentierte.
Während seiner gesamten Karriere blieb Michel Legrand dem Format der Instrumentalalben treu, die die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich gezogen hatten. Einige von ihnen sollten ein unerwartetes Schicksal erleiden, wie »Archi-cordes« im Jahr 1964, ebenfalls ein Projekt, das die bestehenden Traditionen in Frage stellte, und auf dieser Platte nahm der Komponist dieselben »Yé-Yé«-Pop-Rhythmen, die er so sehr verabscheute, und pervertierte sie von innen heraus.
»Damals«, erklärt Legrand, »wollte ich den Twist und den Hully Gully ein für alle Mal loswerden, ganz zu schweigen von dem sehr kitschigen Trend, der darin bestand, riesige Orchester mit sirupartigen Streichern im Gleichklang spielen zu lassen. Als wir das Stück aufnahmen, wurde unser Tontechniker auf uns aufmerksam und nahm die Bässe heraus, um das obere Register noch weiter nach oben zu schieben. Die gestrichenen Saiten klangen, als würden sie mit Rasierklingen gerieben, die von Säure zerfressen wurden...«
Es war ein fröhlich subversives Album mit durchschnittlichen Verkaufszahlen, das im 21. Jahrhundert einen zweiten Aufschwung erlebte, als sein Titel »Di-Gue-Ding-Ding« in Endlosschleifen für Werbespots, Radiojingles und sogar von Steven Spielberg für den Trailer zu seinem Film »Catch Me If You Can« recycelt wurde.
Es ist schwierig, in wenigen Zeilen die Instrumentalstücke aufzuzählen, die im Laufe von Legrands Karriere auf Vinyl erschienen sind, sei es als Cover seiner Filmmusik, als Hommage an die »42nd Street (Broadway Is My Beat)« oder als Hommage an den Mann, der »Night And Day« komponiert hat (The Album Of Cole Porter), ein Unternehmen, das es ihm ermöglichte, zum ersten Mal mit dem legendären Stéphane Grappelli aufzunehmen.
Legrand, ein renommierter Komponist, der schon mehr als einen Oscar zu Hause hat, hatte immer eine ehrliche Freude daran, sich auf seine frühesten Fähigkeiten als Arrangeur zu besinnen.
CD 5
Filme
Nachdem er sich mit »Les Amants Du Tage«, »Rafles Sur La Ville« oder »Le Triporteur« einen Namen gemacht hatte, machte sich Michel mit dem Aufkommen der Nouvelle Vague im französischen Filmschaffen einen neuen Namen und etablierte sich als einer der Künstler der Erneuerung des Genres.
Er arbeitete mit François Reichenbach, Jean-Luc Godard, Agnès Varda und natürlich mit Jacques Demy zusammen, seinem kreativen Mitstreiter, mit dem Legrand eine neue Form des Filmmusicals erfand.
Der Film, der 1964 bei den Filmfestspielen in Cannes die Goldene Palme gewann (und auch den Prix Louis Delluc), war »Les Parapluies De Cherbourg«, der unter dem englischen Titel »The Umbrellas Of Cherbourg« einen weltweiten Siegeszug antrat. »Trotzdem«, so Legrand, »Umbrellas« ist ein Film, der nicht »mit«, sondern »gegen« gemacht wurde.«
Legrand vertonte weiterhin die Träume von Demy (Les Demoiselles De Rochefort, Peau D'âne, Trois Places Pour Le 26), auch wenn er 1968 nach Los Angeles ging, um »Sauerstoff zu tauschen« (seine eigenen Worte). Nach dem unglaublichen Erfolg von »The Thomas Crown Affair«, aus dem der Song »The Windmills Of Your Mind« stammt (sein erster Oscar), entschied sich Michel, sowohl in Paris als auch in Hollywood zu arbeiten und zeichnete für »Summer Of '42« (sein zweiter Oscar), »Lady Sings The Blues«, »Jamais Plus Jamais«, »Yentl« (sein dritter Oscar) und »Prêt-À-Porter« verantwortlich.
Für Michel Legrand war die Filmmusik ein zweiter Dialog, und er bleibt der einzige europäische Komponist, dessen Filmografie seinen Namen in einer Reihe mit den Regisseuren Norman Jewison, Jacques Deray, Sydney Pollack, Robert Altman, Jean-Paul Rappeneau, Joseph Losey, Louis Malle, Andrzej Wajda und Claude Lelouch aufführt... ganz zu schweigen von den verpassten Gelegenheiten mit anderen Regisseuren, die seine Musik hätten haben können, sowie von den stürmischen Episoden oder anderen Misserfolgen (wie zum Beispiel mit Jean-Pierre Melville oder Richard Lester).
Man muss sagen, dass man selten einen Musiker gesehen hat, der sich in so vielen verschiedenen Filmfamilien engagiert hat wie Michel Legrand. Was haben Chris Marker, James Bond, Oum Le Dauphin und Clint Eastwood gemeinsam?
Die Antwort lautet: Michel Legrand. Das Schreiben von Filmmusik ermöglichte es diesem großen Komponisten - in Frankreich bekannt als »Le Grand Michel«, wobei sein Nachname aus zwei Wörtern besteht, um seine Exzellenz zu unterstreichen -, eine Synthese zwischen seinen verschiedenen Kulturen zu schaffen, Barockmusik, modernen Jazz und symphonische Musik zu einem einzigen Weg zu verschmelzen, seinem eigenen. Magisch, gewalttätig, poetisch...
und mit einer Verbindung, die Bach mit Miles Davis und Gil Evans mit Strawinsky verbindet, erkundet Legrands Komposition alle möglichen Landschaften und Sprachen und schöpft viel Vergnügen aus ihren Überlagerungen.
Mit anderen Worten: Es gibt fast so viele Legrands, wie es Filme gibt, die von Legrand vertont wurden. Eine unerwartete Begegnung mit dem Regisseur Xavier Beauvois ließ 2014 die Verbindung des Komponisten zur Leinwand wieder aufleben; das Ergebnis waren zwei abendfüllende Spielfilme, »La Rançon De La Gloire« und »Les Gardiennes«.
Beauvois: »Man sagt, man solle keine Angst vor Superstars haben. Aber Michel war gar nicht so: Er wohnte nur ein Stockwerk höher. Die Begegnung mit ihm hat meinen Geist in Bezug auf die Musik befreit. Zwischen uns war es ein intellektueller Wettbewerb und ein Austausch.«
Und dann kam 2018 das verblüffende Abenteuer: »The Other Side Of The Wind«, der Film, den Orson Welles nie fertiggestellt hat. Im Jahr 1973 notierte Welles in seinem Tagebuch: »Ruf Legrand wegen der Musik an.«
Die Produzenten hielten sich an seine Anweisungen... fünfundvierzig Jahre später. Auch das war eine Möglichkeit für den Komponisten, eine unerhörte kreative Situation zu erleben, nämlich Musik für einen Filmemacher zu schreiben, der nicht anwesend war. Das letzte Testament von Orson Welles ist also auch das von Michel Legrand, in einer unangenehmen Umkehrung der Zeit.
Stéphane Lerouge
- Tracklisting
Disk 1 von 5 (CD)
- 1 Chanson Des Jumelles feat. Yuri Buenaventura
- 2 La Chanson De Delphine feat. Clara Luciani & Vladimir Cauchemar
- 3 Alcatraz feat. Thomas Dutronc
- 4 Sans Toi feat. Youn Sun Nah
- 5 Les Parapluies De Cherbourg feat. Jasmine Roy & Al Jarreau
- 6 Sa Maison feat. Natalie Dessay
- 7 Noël Dd’Espoir feat. Madeleine Peyroux, Carla Bruni, Emilie Simon, Rufus Wainwright & Iggy Pop
- 8 Les Moulins De Mon Cœur feat. Juliette Armanet
- 9 La Femme Coupée En Morceaux feat. Camille Bertault
- 10 Vivre Sa Vie feat. Glauco Venier
- 11 J’ai Perdu Albert feat. Natalie Dessay & Laurent Naouri
- 12 Sans Toi feat. Henri Demarquette & Hervé Sellin
- 13 La Joueuse feat. Philippe Katerine
- 14 Les Parapluies De Cherbourg feat. Joe Hisaishi
- 15 Le Masque feat. Jean Guidoni
- 16 Ton Copain Des Jours De Pluie feat. Benjamin Legrand
- 17 Chanson Des Jumelles feat. Brigitte
- 18 Le Cinéma feat. Maurane
- 19 Celui-là feat. Macha Méril & Hervé Sellin
- 20 Chanson D’Un Jour D’été feat. Les Umbrellas
Disk 2 von 5 (CD)
- 1 Quand ça Balance
- 2 Les Moulins De Mon Cœur
- 3 Elle A… Elle A Pas…
- 4 Je Vivrai Sans Toi
- 5 Oum Le Dauphin
- 6 Comme Elle Est Longue À à Mourir Ma Jeunesse
- 7 L’Ame Sœur À L’Hameçon
- 8 Tu Tutoies Les Muses
- 9 Quand On S’Aime feat. Nana Mouskouri
- 10 La Valse Des Lilas
- 11 Trombone, Guitare & Compagnie
- 12 Qui Es-Tu
- 13 L’Amour En Scie
- 14 Les Enfants qui pleurent
- 15 Où Vont Les Ballons
- 16 Et Si Demain feat. Nana Mouskouri
- 17 Pour Nous
- 18 Dis-Moi
- 19 Toi Qui Passe
- 20 La Lune
- 21 Les Musiciens
- 22 Moi, Je Suis Là
- 23 Et La Mer
- 24 Un Parfum De Fin Du Monde
- 25 Mon Dernier Concert
Disk 3 von 5 (CD)
- 1 De Delphine À Lancien feat. Bud Shank
- 2 ‘Round Midnight feat. Miles Davis
- 3 Flight feat. Stan Getz
- 4 I Will Say Goodbye (Je vivrai sans toi) feat. Bill Evans
- 5 Vida Real feat. Arturo Sandoval
- 6 Orson’s Theme
- 7 Thème D’Elise feat. Bud Shank
- 8 Watch What Happens
- 9 Trombone À Tout Ffaire
- 10 What Are You Doing The Rest Of Your Life feat. Toots Thielemans
- 11 Couchés Dans Le Foin feat. Stéphane Grappelli
- 12 Con Alma feat. Arturo Sandoval
- 13 The Jitterbug Waltz feat. Miles Davis
- 14 This can't be love
- 15 Now, You’ve Gone feat. Stan Getz
- 16 Chanson De Solange feat. Bud Shank
- 17 Irma La Douce feat. Stéphane Grappelli
- 18 The Windmills Of Your Mind feat. Oscar Peterson
Disk 4 von 5 (CD)
- 1 Di-Gue-Ding-Ding
- 2 Night And Day
- 3 Summertime
- 4 Carioca
- 5 Bahia
- 6 Just One Of Those Things
- 7 Le Gars De Rochechouart
- 8 Bandol
- 9 Tabu
- 10 From This Moment On
- 11 J’ai Deux Amours
- 12 All Or Nothing At All
- 13 Apollo Strings
- 14 Cheek To Cheek
- 15 Orange Blossom Special
- 16 In The Still Of The Night
- 17 Twist Bop
- 18 La Danse Du Serpent (L’Empire du soleil)
- 19 Les Lavandières Du Portugal
- 20 True Love
- 21 Adios
- 22 I Get A Kick Out Of you
- 23 Siboney
- 24 Jazz Panorama
- 25 Perfidia
Disk 5 von 5 (CD)
- 1 Les Demoiselles De Rochefort
- 2 Les Demoiselles De Rochefort
- 3 Les Parapluies De Cherbourg
- 4 Peau D'âne
- 5 Peau D'âne
- 6 The Go-Between / Le Messager
- 7 The Three Musketeers / Les Trois Mousquetaires
- 8 Summer Of ’42 / Un Été 42
- 9 Les Mariés De L’An II
- 10 The Thomas Crown Affair / L’Affaire Thomas Crown
- 11 The Thomas Crown Affair / L’Affaire Thomas Crown
- 12 La Piscine
- 13 La Poudre D’Escampette
- 14 Lady Sings The Blues
- 15 The Hunter / Le Chasseur
- 16 The Other Side Of Midnight / L’Autre Côté De Minuit
- 17 Il Était Une Fois L'Espace
- 18 Breezy
- 19 Never Say Never Again / Jamais Plus Jamais
- 20 La Bûche
- 21 Cinq Jours En Juin
- 22 The Burning Shore / La Montagne De diamants
- 23 La Rançon De La Gloire
- 24 La Rançon De La Gloire
- 25 Les Gardiennes
- 26 The Other Side Of The Wind
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