Das zweite Album von Falkevik zeichnet sich durch anspruchsvolle Eingängigkeit und nachvollziehbare Komplexität aus.
Man stelle sich vor, es gäbe keine Genre-Schubladen, also zum Beispiel keine Einteilung in Kategorien wie Jazz oder Pop. Dann könnte Musik nur anhand ihrer Wirkung oder daran, welche Klang-Assoziationen Instrumente oder Stimmen hervorrufen, beschrieben werden. Die entstehenden Empfindungen könnten auch die Bezeichnungen von Duftnoten bekommen, wie blumig-süßlich oder prickelnd-herb. Aber Musik mit Worten zu beschreiben sei ja laut Frank Zappa genauso sinnvoll, wie zu Architektur zu tanzen. Dieser Ausspruch soll den Sinn oder Unsinn entlarven, der sich dahinter verbirgt, einen komplexen Zustand schriftlich zu erfassen. Natürlich wird ein durch Klänge erzeugtes Gefühl individuell unterschiedlich wahrgenommen, aber Sprache und Schrift sind so mächtig, dass es durch sie gelingen kann, gedankliche Vorstellungen eindrucksvoll und bildhaft darzustellen.
Und was hat das jetzt alles mit "New Constellations", dem zweiten Album des Trios Falkevik aus Norwegen zu tun? Genauso viel, wie mit jeder anderen Veröffentlichung, die den Anspruch erheben darf, so objektiv und leidenschaftlich wie nur möglich beschrieben zu werden. Die Falkevik-Klänge sind aber zugegebenermaßen - wie jede komplex-vielfältige Musik - am Ende doch mehr als die Summe ihrer Teile oder das Ergebniss jeglicher Erklär-Versuche. Aber dennoch sollte es gelingen, die Töne durch einen Reigen von Assoziationen in ein rechtes Licht zu rücken, einfach weil es sich anspruchsvolle Musik verdient hat, dass man sich für sie tüchtig ins Zeug legt.
Für Falkevik ergibt sich die Frage nach einer angemessenen Beurteilung auch deswegen, weil die Gruppe eine wirkungsvolle Form des musikalischen Ausdrucks gefunden hat, bei dem der Fusionsgedanke eine zentrale Stellung einnimmt. In Folge dessen würde sich eine Auseinandersetzung auf Basis einer Genre-Einteilung nur auf die Definition des Pop- oder Jazz-Einflusses beschränken müssen. Das würde zu Lasten der Würdigung des Verschmelzungs-Gedanken gehen. Deshalb nun also eine Rezension, die sich auf Gedankengänge stützt, die spontan beim Hören der Musik entstanden. Dabei floss noch die eine oder andere Referenz zu gleichgesinnten Künstlern ein.
Falkevik besteht aktuell aus der Namensgeberin Julie Falkevik Tungevåg, die für die Kompositionen und die Bedienung der Tasteninstrumente zuständig ist. Neben ihrem unaufgeregten Gesang sorgt sie durch die Einspielung von elektronischen Effekten für einen möglichst abwechslungsreichen Sound. Ellen Brekken spielt sowohl einen elektrisch verstärkten wie auch einen akustischen Bass und Marius Trøan Hansen ersetzt Veslemøy Narvesen und Elisabeth Mørland Nesset am Schlagzeug und an den Percussion-Instrumenten. Vielleicht resultiert aus dem Wechsel an den Drums sogar der Titel "New Constellations".
Auf Kurs bleiben, sich nicht von seiner Meinung, Einstellung oder Denkrichtung abbringen lassen, das steckt hinter dem Titel "Keep The Coordinates". Das ist heutzutage wichtiger denn je. Dazu gehört es auch, wachsam zu bleiben und Beeinflussungen gewissenhaft von allen Seiten zu prüfen, bevor man sich auf irgendwelche Parolen einlässt. Das Stück lässt ausgeglichenen Optimismus erkennen. Das Schlagzeug federt cool, der Bass ist ein kräftiger Begleiter und das Piano präsentiert sich als gutmütiger und selbstbewusster Wegweiser bei diesem vollmundig-melodischen Song. Julies Stimme ist ausgeruht-flüssig und verfügt über ein kontrolliert-laszives Timbre. Dem Titel entsprechend halten die Musiker (-innen) den beschriebenen musikalischen Kurs, obwohl es zwischendurch noch ein etwas aufgewühltes Piano-Solo gibt, das aber nicht außer Kontrolle gerät.
"When We Let Go" verbreitet Alarmstimmung, denn es geht um die Beschwörung von Leitsätzen. Der Gesang ist manchmal in einem Frequenzbereich unterwegs, der an Sirenen erinnert. Das Klavier wogt in Erregung und der standhafte Bass versucht, die Stimmung grummelnd unter Kontrolle zu bringen. Daneben gibt es auch schwelgende Momente, nach denen der Track immer wieder Fahrt aufnimmt, was dem Stück einen maritimen Eindruck in Form von unterschiedlichem Seegang verschafft.
Das ausgeruhte, beinahe meditative "Traveler" wird nur durch wortlosen Hintergrund-Gesang von Marius Trøan Hansen gestützt. Ansonsten handeln Piano, Bass und Schlagzeug gleichberechtigt und plätschern im positiven Sinne beruhigend dahin, wie ein Gebirgsbach, der noch ein Rinnsal ist. Zunächst fließen für das Stück "New Constellations" persönliche Erkenntnisse formelhaft auf Basis von tropfenden und rumpelnden Klängen ein. Danach wendet sich das Blatt. Das Stück bekommt aggressive, kraftvolle Züge verordnet, um dann in einen experimentell-rauschhaften Zustand zu verfallen. Danach beginnt dieser Ablauf wieder von vorn und das ganze Konstrukt wird von Textzeilen begleitet, die Anstrengungen, Bedrohungen und Zwänge aufzählen, welche das Leben schwer machen.
Ein lebensbejahend-luftiger Takt trägt "Changeable" über die Zeit, wobei Falkevik auch hier Dynamikabstufungen einbauen, so dass es auch lyrische und improvisierte Passagen zu hören gibt, die dem Song abwechselnd eine glatte oder raue Oberfläche verschaffen. Veränderungen können Angst machen, "Changeable" rät poetisch dazu, die Angst wie eine schöne Verkleidung zu ertragen. Der Velvet Underground-Gründer John Cale ging in diesem Punkt sogar noch einen Schritt weiter, als er einst behauptete, dass die Angst der beste Freund des Menschen sei. Als Schutzmechanismus mag das stimmen, wenn sie jedoch die Gedanken lähmt, ist sie kein guter Ratgeber. Der Instrumental-Titel "In Public" hält sowohl klare, kühle Strukturen von romantischer Güte, wie auch gewagte Spielereien mit präpariertem Klavier bereit. Das wirkt insgesamt nicht so schlüssig und überzeugend wie die bisherigen Beiträge.
Eine "Amputation" ist im wahrsten Sinne eine einschneidende Maßnahme mit katastrophalen Folgen für Leib und Seele. Hier geht es allerdings anscheinend um eine toxische Beziehung. Entsprechend wird das Stück auch von brutalen, unruhigen, beängstigenden und provozierenden Tönen begleitet. Das Tasteninstrument klirrt wie zerberstendes Glas und der Gesang scheint aus einem muffigen Keller zu kommen. Der Art-Punk von Peter Hammills "The Future Now" (1978) und "pH7" (1979) hört sich ähnlich klaustrophobisch an. Bei Hammill trägt der Geiger Graham Smith (ex-String Driven Thing) mit flirrend-nervösen Klängen zu der bedrückenden Spannung bei, hier ist es der norwegische Saiten-Spezialist Ola Kvernberg.
Ola Kvernberg ist auch bei "Amplify Me" eine Stütze und Bereicherung des Klangspektrums. Nach etwa zwei Minuten, in denen die Band einen hypnotischen Sound aufbaut, trägt er durch seine orientalischen Töne dazu bei, das Stück in fremde Gefilde eintauchen zu lassen. Die Lyrik ist nicht eindeutig, lässt deshalb auch mehrere Schlüsse zu. Vielleicht geht es um das ständige Streben nach mehr Ansehen oder Ruhm, dessen Druck nicht zu bewältigen ist. Deshalb wird eine andere Person gesucht, deren Energie zur Kompensation abgesaugt wird. "Energy Vampires" nannte der schon zitierte Peter Hammill solche Leute beim gleichlautenden Song vom Album "The Future Now" aus 1978.
"Walts" ist ein weiterer Instrumentaltitel, bei dem sich Tasten und Bass zu einem Dialog treffen, wobei sich die fragenden, nachdenklichen Töne immer mehr annähern und dann gar nicht mehr eindeutig voneinander zu unterscheiden sind. Wie schon beim Erstlingswerk, so wurde auch für "New Constellations" der letzte Track in schwedischer Sprache vertont. Unschuldig und rein, sowie ein wenig verloren und traurig klingt "Og så gikk eg med vill igjen", was soviel wie: "Und dann habe ich mich wieder verlaufen" heißt. Das Lied vermittelt eine innere Einkehr, die von kristallklaren, ausgeruhten Noten begleitet und mit viel Umsicht und Demut dargeboten wird.
Was darf von "New Constellations" erwartet werden? Wem der Vorgänger "Louder Than I`m Used To" von 2018 schon gefallen hat, der wird auch das zweite Werk von Falkevik schätzen. Die Stärken der Musiker (- innen) wurden konserviert und teilweise sogar ausgebaut. So ist zumindest hinsichtlich der Melodik noch eine Schärfung gegenüber den bisherigen Aufnahmen zu vernehmen. Den Gesang von Julie Falkevik Tungevåg einfach nur als schön und sauber zu bezeichnen, greift zu kurz. Er ist Motor und Seele der Musik. Seinetwegen werden aus intelligenten Kompositionen besonders ausdrucksstarke Songs. Bei der Musik kommen sowohl Wohlklang-Enthusiasten wie auch Kunst-Versteher auf ihre Kosten, denn die Kompositionen bieten anspruchsvolle Eingängigkeit wie auch nachvollziehbare Komplexität. In dieser Hinsicht steht Falkevik schon jetzt auf einer Stufe mit Norah Jones, Jaimie Cullum oder Gregory Porter.