Individueller Jazz mit Zukunft
Schweiz, Norwegen und Schweden, Musiker verschiedener Nationalitäten, und dann noch ein deutscher Albumtitel – was soll nur hieraus entstanden sein? Aus der Schweiz stammen der Pianist und der Bassist, aus Schweden die Cellistin, die auch ihre Stimme einsetzt, und der Schlagzeuger, bleibt als Norweger noch der Trompeter. Nun, es ist bereits das zweite Album des Augur Ensembles, eines Kollektivs, dass eine ganz besondere Variante des Jazz oder von Musik schlechthin darbietet. Meistens klingt es nicht so, wie man es kennt, irgendwie habe ich von Beginn an das Gefühl, man habe gewisse Strukturen auf den Kopf gestellt. Denn manchmal scheinen die Melodien harmonisch leicht angeschrägt zu sein, die geahnte Entwicklung eines Songs schlägt dann doch Haken und wirft das Gedachte über den Haufen, unberechenbar, nicht greifbar, voller Nuancen, die so gar nicht in das Schema gängiger Hörgewohnheiten passen.
Oft schwebt die Musik, der Trompeter Erik Dørsdal lässt mich an Kollegen aus dem hohen Norden wie Arve Henriksen oder Mathias Eick denken, verhalten bläst er verhallt und in der Weite der Landschaft verloren scheinend seine manchmal nicht fließenden Statements und verleiht der manchmal märchenhaft wirkenden Stimmung noch einen Hauch Gespenstisches dazu.
Der Pressemitteilung zufolge greift das Augur Ensemble auf eine alte Art des Musizierens zurück: Komponieren, Arrangieren und Improvisieren werden als gleichberechtigte gestalterische Mittel behandelt. Das vorhandene Material wird umgedeutet, besprochen, verworfen oder konkretisiert, wobei gleichzeitig improvisatorische Freiräume geöffnet werden, um auf der Bühne ein möglichst lebendiges Stück Musik präsentieren zu können.
Die Bühne ist mein Hörraum, und die Freiräume spüre ich, vernehme diese Offenheit, die von der Musik ausgeht, diese besondere Atmosphäre, die mich nötigt, zu verharren, zu verweilen bei jeder einzelnen Note, damit mir ja nichts entgeht. Da ergänzen sich Einflüsse und Elemente mannigfaltigen Ursprungs, Jazz ist es auch, aber nicht nur, Kammermusik in Anteilen, Minimal Music, von großer Dynamik beseelt und sehr herausfordernd. Allein die Kombination von Cello, Bass, Stimme und Trompete gewährt in einigen Passagen einen Einblick in eine Welt, die unbekannt zu sein scheint, ja, die etwas innehat von Zukunft, von noch nicht in dieser Form Dagewesenem.
Das ist kein Jazz, der swingt, das ist trotz vieler frei gestalteter Elemente kein Free Jazz, hier spielen alle Musiker einzeln und kollektiv ihre Vorstellungen der Musik aus, und oft ist es plötzlich ein Instrument, das auf weiter Flur steht, bis sich dann die anderen dazugesellen und spontan eine gemeinsame Richtung einschlagen, die wie eine Reise in ein neues Abenteuer erscheint. Und so fällt es mir schwer, die einzelnen elf Titel separat wahrzunehmen, weil ich den Eindruck habe, das Ganze läuft als durchgehende Suite ab. Und insgesamt betrachtet, geschieht alles in einer beindruckenden Ruhe und Gelassenheit, und überhaupt nicht steif und akademisch, sondern in einem sehr lasziven Umfeld, spielerisch und entdeckerisch. Ich freue mich, Teil dieser Entdeckungsreise zu sein und kann diesem Ensemble nur bescheinigen, auf einem sehr individuellen Weg zu sein, den es hoffentlich so weiter beschreiten wird!