Psycho statt Thriller
Das Buch wird als (Psycho-)Thriller angepriesen, was es meiner Meinung nach nur sehr bedingt trifft. So bin ich mit völlig falschen Erwartungen an den Start gegangen und wurde erst einmal ziemlich enttäuscht, lediglich das Ende zog dann wieder an und konnte einigermaßen entschädigen.
Das Buch wird aus der Perspektive von Alan erzählt, einem Psychiater, der die Aufgabe hat, das Opfer einer Vergewaltigung bei der Traumabewältigung zu unterstützen. Die Krux an der Sache ist aber, dass das Mädchen, Jenny, einer Behandlung unterzogen wurde, die die Erinnerung an das Ereignis ausgelöscht hat. Leider ging diese Behandlung aber nach hinten los, denn statt sich besser zu fühlen, war Jenny schließlich so verwirrt und verzweifelt, dass es sich das Leben nehmen wollte. Hier kommt Alan ins Spiel: er soll helfen, die Erinnerungen wieder ans Licht zu bringen, so dass Jenny sich damit auseinandersetzen und das Ereignis letztendlich hinter sich lassen kann.
Alan berichtet von den Sitzungen mit seinen Patienten, den Gesprächen mit der Polizei und natürlich seiner eigenen Rolle in dem Ganzen, die vom anfänglichen Beobachter zum manipulativen Fädenzieher anwächst, der seine ärztliche Macht zu seinen eigenen Gunsten ausnutzt.
Was auf den ersten Seiten recht spannend begann, flaute leider sofort wieder ab und wurde von langwierigen Erklärungen und Beschreibungen ausgebremst. Vieles war interessant, aber oft wünschte ich mir auch es möge endlich wieder etwas mehr passieren und Alan sollte vor allem nicht so viel abschweifen.
Immerhin: gegen Ende hat es ja doch noch geklappt mit der Spannung. Die Auflösung kam durchaus überraschend, aber nicht enttäuschend, da der Täter vorher schon einmal erwähnt und nicht plötzlich aus dem Hut gezogen wurde. So konnte man als Leser noch darüber nachgrübeln, ob man nicht von selbst darauf hätte kommen können.
Schade fand ich, dass Alan mit seiner Aktion durchgekommen ist - ich habe nur wenig Mitleid mit ihm, warum er seine Mitmenschen derartig manipuliert hat, und das aus objektiv betrachtet völlig unnötigen Gründen. Seine Erläuterungen, warum er nicht früeher etwas gesagt hat, finde ich nicht ausreichend überzeugend. Er hätte ja auch wieder einen anonymen Tipp geben können, oder so wie bei Bob wenigstens etwas andeuten - wo er doch so meisterlich die Menschen in die gewünschte Richtung lenken konnte. Das hätte durchaus schon zu einer frühzeitigen Ergreifung des Täters führen können, allerdings wäre das Buch dann natürlich auch sehr schnell zu Ende gewesen. Trotzdem: diese Stelle fand ich einfach nicht überzeugend.
Faszinierend war, wie Alan sich vom einfühlsamen Helfer selbst quasi zu einem Fall für den Psychiater entwickelt hat. Seine anfängliche Arroganz hat sich ja wirklich bis ins Unendliche gesteigert, dass er sich heraus nimmt so zu agieren. Und der Grund ist ein absoluter Witz - sorry, aber dafür kann ich kein Verständnis aufbringen. So viele Menschen zu manipulieren, nur um den guten Ruf zu schützen, wo doch ein Hinweis an die Polizei schon gereicht hätte, das kann ich echt nicht nachvollziehen. Deshalb: Daumen runter!
Fazit: interessant, aber völlig anders als erwartet. Spannung baut sich erst im letzten Viertel auf - das war mir für einen Thriller einfach zu wenig. Unter anderer als dieser falschen Flagge hätte das Buch vermutlich besser abgeschnitten.