Ein vielschichtiger Roman, auf den man sich einlassen muss
‚Antichristie‘ ist ein Buch, auf das man sich einlassen muss und das sicher nicht jedermanns Sache ist. Das liegt zum einen an der ungewöhnlichen Erzählweise, zum anderen an der intensiven Auseinandersetzung mit den behandelten Themen.
Die 50-jährige Protagonistin Durga fährt nach London, um im Rahmen eines Writer’s Room an dem Drehbuch für eine Neuverfilmung von Agatha Christie zu arbeiten. Diese soll dem heutigen „politisch korrekten“ Zeitgeist angepasst werden. Unfreiwillig reist Durga plötzlich durch die Zeit ins Jahr 1906 und wird im Körper eines jungen Mannes Teil des indischen Widerstands gegen die britische Kolonialherrschaft.
Die Handlung des Romans springt fortwährend zwischen diesen beiden Zeitebenen hin und her. Dabei betrachtet die Autorin die britische Kolonialgeschichte und die Geschichte des indischen Widerstandes (der gar nicht so friedlich war, wie gemeinhin angenommen) aus heutiger Sicht, gespickt mit einer gehörigen Portion Feminismus.
Parallel dazu werden im Erzählstrang um den Writer’s Room die Themen Kolonialismus und Rassismus vertieft und die Frage aufgeworfen, ob alte Werke verändert werden sollten (Stichwort: cancle culture).
Die Erzählweise ist anspruchsvoll. Nicht nur, weil die Zeitebenen teilweise sehr eng miteinander verknüpft sind, sondern auch, weil es durch die Vielzahl der Personen nicht immer einfach war, der Handlung zu folgen. Bemerkenswert ist, dass fast alle Figuren, die in der Vergangenheitszeitlinie auftauchen, auf realen historischen Personen beruhen. Eine begleitende Wikipedia-Recherche hilft hier ungemein ;-)
Nichtsdestotrotz erzählt die Autorin ihre Geschichte auch mit einem feinen Humor, der immer wieder die Absurdität der Situation ihrer Protagonist*in zum Ausdruck bringt. In diesem Zusammenhang haben mir auch die vielen Anspielungen und Zitate auf Doctor Who sehr gut gefallen.
Ich gebe zu, dass ich selten das Nachwort eines Buches lese. Dieses hier fand ich jedoch sehr interessant, da die Autorin die Entstehung des Buches beschreibt, was die Geschichte für mich abgerundet hat. Außerdem gibt es am Ende noch ein Personenverzeichnis mit allen im Buch vorkommenden Personen (realen und fiktiven).
Fazit. ‚Antichristie‘ hat mir trotz der herausfordernden Erzählweise gefallen. Ich habe viel über die britische Kolonialgeschichte gelernt und mir hat die moderne Perspektive darauf und das Aufzeigen von Parallelen zur heutigen Zeit gefallen. Die Idee der Zeitreise, bei der die Protagonistin zwar ihr Alter und ihr Geschlecht, nicht aber ihre Hautfarbe ändert, war originell und die vielen Anspielungen auf Doctor Who haben Spaß gemacht. Ein anspruchsvoller Roman, den ich jedem empfehlen kann, der bereit ist, sich darauf einzulassen.