Ein wunderbarer Roman
Eine unbedingte Empfehlung!
In ihrem fulminanten Romandebüt „Tage mit Gatsby“ führt uns die Autorin Joséphine Nicolas in die Jahre 1924 und 1925 und damit in die Entstehungsphase eines der wohl bekanntesten und berühmtesten literarischen Werke des 20. Jahrhunderts, des „Großen Gatsby“ von F. Scott Fitzgerald. Entwickelt aus der Perspektive von Zelda Fitzgerald reisen wir mit ihr, ihrem Mann und ihrer Tochter Scottie von Long Island, NY, das die Familie einerseits aus finanziellen Gründen, andererseits, damit Scott die Ruhe für seinen Roman finden kann, verlässt, zunächst nach Paris, dann an die Cote d` Azur und von dort nach Italien. Für die junge Familie wird es zu einem der wohl prägendsten Jahre ihrer gemeinsamen Zeit werden.
Auf dieser Reise erleben wir die Fitzgeralds und ihren illustren Freundes- und Bekanntenkreis, Literaten, Künstler, Musiker der amerikanischen und europäischen Moderne, deren Namen noch heute klingen, und nehmen an rauschenden Festen und Empfängen teil, auf denen der junge Flapper und ihr „Chronist des Jazz Age“ von allen umschwärmt werden. Zeitgleich sehen wir das Paar höchst privat, mit all ihrer tiefen und oft auch zerstörerischen Liebe, nehmen an ihren Ängsten und Sorgen teil, werden Zeugen intensiver Auseinandersetzungen und Zerwürfnisse, und lernen, wie und warum sich Zelda Fitzgerald anstrengt, ihren eigenen künstlerischen Gestaltungsweg zu entwickeln, und auf welchen teils subtilen und teils offen patriarchalischen Pfaden ihr Mann diesen Weg nicht nur untergräbt und verhindert, sondern vielmehr Zelda’s Fähigkeiten zu seinem eigenen Vorteil nutzt, dies nicht zuletzt auch in der Entwicklung des „Großen Gatsby“, die wir hier in vielen Details verfolgen dürfen.
Joséphine Nicolas zeigt uns in wunderschöner Sprache Zelda’s Gefühls- und Gedankenwelt, ihre Ideen, ihre immer wiederkehrenden Selbstzweifel, aber auch ihren eindringlichen Wunsch nach intensiver Liebe und intensivem Leben, eine Welt, die dann offen wird für ihre Beziehung zu dem französischen Piloten Édouard Jozan. Diese Beziehung und ihre Konsequenzen wird das Leben des Paares für immer verändern.
Dieses Buch ist klug geschrieben und in seiner Ausdruckskraft so schön und großartig, so bildgewaltig und detailgetreu, so metaphorisch und kreativ, es nimmt Gefühl und Leben der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts so genau auf, dass ich es in meinem Bücherschrank direkt neben den „Großen Gatsby“ platziert habe. Es ist ein Muß für die Freunde dieser Zeit, für die Freunde von moderner Literatur und Kunst, aber auch für die Freunde der kritischen Auseinandersetzung damit, was es bewirken kann, wenn man Menschen in ihrer persönlichen und kreativen Entfaltung durch Ausübung welcher Macht auch immer beschränkt. Somit ist es für mich ein Buch fürs ganze Leben.
Nicht unerwähnt bleiben soll das hervorragende Literaturverzeichnis, das uns die Autorin am Ende des Buches zur Verfügung stellt. Es beinhaltet eine Chronologie von Zelda’s Werken und weiterführende Literatur um die erzählte Geschichte, zeigt somit zum einen die umfangreiche Recherche, die Josephine Nicolas vorgenommen hat, ist aber zum anderen - und das ist mindestens genauso wichtig - geeignet, das Leserwissen auf interessante und sicherlich auch höchst vergnügliche Weise zu vertiefen.