Eine Geschichte, die mich zutiefst bewegt hat
Die in einem kleinen Dorf nahe Odessa in der Ukraine geborene Russland-Deutsche Lydia Judt ist gerade 16 Jahre alt, als sie im März 1944 mit ihrer Mutter Marianna und ihren vier Geschwistern in einen Gulag nach Sibirien verschleppt wird. Hier arbeiten sie jahrelang als Zwangsarbeiter, fällen Bäume und heben Brunnen aus, bis sie weiter verfrachtet werden in die Kolchose Gartejewka. Auch hier haben sie sich gerade häuslich niedergelassen, schon geht es ein paar Jahre später weiter nach Karaganda in Kasachstan. Nach 12 endlos scheinenden Jahren, Lydia ist inzwischen verheiratet und hat 8 Kinder geboren, von denen noch 6 leben, wird ihnen endlich die Freiheit geschenkt. Und nach weiteren 12 Jahren gelingt es ihnen endlich nach Westdeutschland zu kommen. Denn dort ist ihre Heimat, die sie bisher nie gesehen haben. Und sie hat das Mantra ihres Vaters bewahrt: Zusammenhalten: Einer für alle – alle für einen. Und das um jeden Preis.
Es ist der absolute Wahnsinn, den Lydia hier erlebt. Im Winter bei eisiger Kälte mit bis zu 50° minus, im Sommer bei brütender Hitze. Ein ums andere Jahr hart, entbehrungsreich und von Kummer und Sorgen geprägt, gibt die Frau nie auf. Ist ihren Geschwistern eine fürsorgliche Schwester, ihrer Mutter eine große Stütze, ihren Kindern eine liebevolle Mutter und ihrem späteren Mann Thomas eine Frau, die ihn jahrelang nicht im Stich lässt, egal, was er ihr auch antut. Sie kämpft im Winter gegen die brutale Kälte, gegen Kleiderwanzen, Hunger und Kopfläuse und im Sommer gegen Stechmücken und Schnacken. Aber nie verliert sie die Geduld, hat für jeden ein nettes Wort und passt sich jeder Gegebenheit neu an. Ich habe diese Frau so bewundert, wie sie mit ihrer 5-jährigen Tochter, ihrem zweijährigen Sohn und hoch schwanger auf einem Bahnhof mangels Über- oder Unterführung unter verschiedenen Zügen durch kriecht. Immer in der Angst, dass der gleich losfahren könnte. Und dass sie so lange bei einem Mann bleibt, der gar nicht zu schätzen weiß, was er an ihr hat. Der im Gegenteil, seinen Lohn versäuft und sie mit ihren Nöten und Sorgen allein lässt.
Ich habe mich so für Lydia gefreut, als sie von einem Arzt die Mitteilung bekommt, dass die Ausreise aus Russland über die baltischen Länder einfacher sein soll, als wie aus Russland direkt. Und sie dann wahrhaftig über Lettland nach Deutschland ausreisen können.
Autorin Hera Lind hat mich mit dieser Geschichte so berührt und auch fassungslos gemacht. Ich musste das Buch immer mal wieder weg legen, weil ich das Grauen, das mich beim Lesen hier und da gepackt hat, erst mal verdauen musste. Immer unter dem Wissen, dass es sich hier um eine wahre Geschichte handelt, die Lydia im hohen Alter noch aufgeschrieben hat. Ihre Kinder Rosa, Lisa, Johannes, Lydia und Jakob erzählen gegen Ende des Buches auch Geschichten, die sie in Erinnerung behalten haben.
Ein Schicksal einer Familie, das mich tief berührt und bewegt hat. Das zeigt, was Menschen alles aushalten und schaffen können. Und wie wichtig Zusammenhalt ist.
Gerade in der heutigen Zeit ein Buch, dass viele Menschen lesen sollten um zu merken, dass ihr Meckern und Stöhnen nichts ist gegen das, was einige unserer Vorfahren durchgemacht haben. Auch meine Mutter und meine Großeltern, an die ich beim Lesen immer wieder denken musste. Wir wissen gar nicht, wie gut es uns immer noch geht!